Der Internethändler Amazon steigt auf ausgewählten Märkten nun auch in das Liefergeschäft ein. Das wäre für den Platzhirsch DHL eine neue Bedrohung.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Viel Aufhebens macht Amazon über sein geplantes Pilotprojekt bis jetzt nicht. Doch im Münchner Handelsregister sind zwei neue Firmen namens Amazon City Logistics Beta und Amazon City Logistic Gamma seit Anfang Juli bereits zu finden. Sie sollen sich der „Erbringung logistischer Dienstleistungen, insbesondere Transport, Umschlag und Lagerung“, widmen. Auch Ausschreibungen für neue Stellen und interessierte Subunternehmer gibt es bereits. Bis jetzt will sich der Online-Händler dazu nicht äußern. Anderswo ist er schon weiter. In Großbritannien baut Amazon, das vor 20 Jahren sein erstes Buch verschickt hat, bereits ein Netz von Paketstationen aus – ähnlich den Packstationen von DHL in Deutschland.

 

Sollte Amazon tatsächlich auf lukrativen städtischen Märkten vom Paketkunden zum Paketlieferanten werden, dann wäre dies für den Platzhirsch DHL, der gerade erst von einem bitteren Streik erschüttert wurde, eine neue Bedrohung. Bis jetzt kooperiert DHL mit Amazon in München noch bei einem Zuliefer-Experiment. Im Mai haben die Firmen einen Pilotversuch gestartet, bei dem Pakete in die Kofferräume von geparkten Fahrzeugen abgelegt werden. In Zusammenarbeit mit Audi kann dafür der Paketbote bei speziell registrierten Kunden den Kofferraum öffnen.

Der Schritt von Amazon ist folgerichtig : Mit seinen Verteil- und Logistikzentren betreibt der Onlinehändler längst eine Infrastruktur, die einem Paketdienst ähnelt. Wenn Amazon selber Pakete bis zur Haustür ausliefert, hat das Unternehmen nicht nur die Qualität und das Tempo der Lieferung besser im Griff, sondern kann daraus auch ein neues Geschäftsfeld machen. In Großbritannien, wo Amazon seit dem vergangenen Jahr ein eigenes Auslieferungsnetz aufbaut, ist die Royal Mail bereits massiv unter Druck.

Die Technik für Online-Bestellungen ist inzwischen ausgereift. Die Unterschiede zwischen den Wettbewerbern werden hier immer kleiner. Heute entscheidet der kostenträchtige letzte Kilometer bis zur Haustür des Kunden über Erfolg und Misserfolg eines Internethändlers. Und hier beginnen die Konturen zwischen Onlinehändlern und Paketlieferanten zu verschwimmen. Paketdienste sind längst zu Lagerlogistikern geworden. Nun werden umgekehrt Onlinehändler zu Paketlieferanten, während traditionelle Handelsketten ihre Onlinepräsenz aufbauen und ebenfalls die Paketlogistik entdecken.

Bei der Frage, für welchen Händler sich ein Kunde entscheidet, steht immer öfter im Mittelpunkt, was die Lieferung kostet. Amazons jüngste Bilanzzahlen wurden vor allem durch überproportional wachsende Versandkosten getrübt, weil diese nicht an die Kunden weitergereicht werden können. Im vergangenen Jahr stiegen die Versandkosten deshalb um 31 Prozent schneller als der Umsatz.

Der US-Handelsriese Wal-Mart versucht in den USA zurzeit Amazon verschärft mit günstigen Lieferungen zu attackieren. Seit Mai bietet der Konzern für eine Jahresgebühr, die mit 50 Dollar nur halb so teuer ist wie das entsprechende US-Abo von Amazon, kostenlose Lieferungen für alle Produkte an. Der Onlinehändler Ebay testet ein solches Modell für den deutschen Markt. Laut Informationen auf dem Ebay-Verkäuferportal will man für eine Jahresprämie, die mit voraussichtlich 15 bis 20 Euro deutlich niedriger als die 49 Euro für das Amazon-Treueprogramm sein dürfte, unter anderem auch kostenlosen Versand anbieten. Gestartet werden soll in der zweiten Jahreshälfte 2015. Doch auch Amazon, das den generellen Gratisversand bisher für die Kunden seines Loyalitätsprogramms Amazon Prime reservierte, will hier nicht stehen bleiben. Im Juni startete man in den Vereinigten Staaten eine Offensive für den generellen Gratisversand von kleinen und leichten Produkten, bei denen bis jetzt die Versandkosten besonders abschreckend wirken.

Der Onlinehändler will aber vor allem mit Innovationen punkten: In New York und einigen anderen Städten experimentiert man für die Vorzugskunden von Amazon Prime mit Sofortlieferungen. Seit Mai bietet man in sechs US-Ballungsräumen, darunter New York und Miami, für die Amazon-Prime-Kunden Lieferungen binnen einer Stunde an, sofern die gewünschte Ware in ausgewählten, kooperierenden Läden vorrätig ist. Seit Juni ist der Service auch in London verfügbar.

Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Seit Kurzem testet nach Angaben des „Wall Street Journal“ Amazon deshalb eine App, mit deren Hilfe nach dem Muster des Fahrdienstes Uber jedermann zum preisgünstigen Paketboten werden könnte. Auf dem Nachhauseweg von der Arbeit beispielsweise würde dann ein kleiner Nebenverdienst winken, wenn man dabei ein paar Pakete für die Nachbarn mitnimmt. Eines ist bei diesem Wettbewerb aber sicher: das Preisdumping bei den Kosten des Onlineversands wird vorerst weitergehen.