Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)


Franziska Greiner sitzt in einem Besprechungsraum an ihrer Universität und erzählt. Kaltes Licht fällt von der Decke, ein schmuckloser Raum ohne Fenster. Sie taucht in ihrem Mathematikstudium wieder ein in die Welt aus Einsen und Nullen. Sie beschreibt ihr Schicksal präzise, erstaunlich klar. Als würde sie über einen Avatar sprechen, über ein virtuelles Abbild von sich. Und in gewisser Weise ist das auch so. Dabei fing es harmlos an. Mit Computerspielen, erst "Counterstrike", dann Rollenspiele, irgendwann alles. Erst wenig, dann mehr. Als es sich verselbstständigt, ist sie nicht mehr in der Lage zu reflektieren. Mit ihrem Freund kommuniziert sie nur noch im Chat. Sie wohnen zusammen.

Greiners Beziehung geht irgendwann kaputt. Sie hat viele Freunde, alle im Netz. Es vergehen Monate ohne physischen Kontakt. Sie steht morgens um neun Uhr auf, macht Kaffee und spielt. Den ganzen Tag, manchmal auch die ganze Nacht, alle zwei Tage wird geschlafen. Sie vernachlässigt ihre Körperhygiene, magert ab, weil zum Essen die Zeit fehlt, die Muskeln schrumpfen, ein Zahn fällt aus. Sie hat Angst vor Pausen, weil sie dann anfängt zu denken. Manche Spieler erleichtern sich in leere Flaschen, aus Zeitgründen. Pädagogen sagen, dass vor allem Kinder aus bildungsfernen Schichten abrutschen. Aber die 28-Jährige gilt als hochbegabt, mit großen mathematischen Fähigkeiten.

Eine Generation aus digitalen Ureinwohnern


Es gibt das Schreckensszenario, dass eine Generation aus digitalen Ureinwohnern heranwächst, die durch mediale Dauerbelastung unfähig ist, menschliche Kontakte zu knüpfen, Freundschaften zu pflegen - und am Ende geht die Gesellschaft kaputt. Sieben Prozent der Zweijährigen haben einen Fernseher in ihrem Zimmer stehen - die klassische Einstiegsdroge?

Wenn man dem Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest glaubt, dann stimmt das alles nicht. Dort kam man in einer Studie von 2009 zum Freizeitverhalten von Teenagern zu dem Ergebnis, dass das Treffen mit Freunden ganz oben steht und 76 Prozent der Jungen Sport treiben.

Christoph Hirte glaubt das nicht. Er berichtet von Sportvereinen, die Kinder an den Computer verlieren. Man sehe nur die Spitze des Eisberges. Hirte warnt vor einem medialen GAU. Die schwierigen Jahrgänge würden erst noch kommen, jene Digital Natives, die mit dem Netz von klein an groß werden. Er sagt: "Sie grölen, saufen, schlägern nicht - sie verschwinden nur einfach, ganz unmerklich."

Franziska Greiner ist wieder da. Es kamen einige Faktoren dazu, Auslöser war am Ende eine "Mantaplatte", wie sie sagt, Currywurst mit Pommes und Mayo. Der Teller fällt runter, und da liegt er dann. Einen Tag, zwei Tage, eine Woche. "Ich habe immer gesagt, ich bin kein Schwein, morgen mache ich das weg." Immer sagte sie "morgen". Im Juli 2009 gibt sie bei Google "Online-Sucht" ein. "Es war unglaublich schwer, das zu schreiben. Und dann sich einzugestehen, dass man abhängig ist." Sie ruft bei einer Suchtberatung an. Sie zieht den Stecker. Sie macht einen Entzug. Der Computer ist weg, für Hausarbeiten leiht sie sich einen Laptop aus. "Ich fasse kein Spiel mehr an, das Risiko ist zu groß." Ende des Jahres will Lego ein Rollenspiel auf den Markt bringen, Playmobil 2011.