Fünfzig Jahre lang sind in Bochum von Opel Autos gebaut worden – am Freitag lief ohne eine Abschiedsfeier der letzte vom Band. Die Stadt sucht nun nach neuen Nutzern für das Werksgelände – doch ein bitterer Nachgeschmack bleibt.

Bochum - Für einen kleinen Moment entgleiten Ottilie Scholz die Gesichtszüge, gleichzeitig hebt sie kurz die Hand, als wenn sie Gefahr abwehren wollte. Anschließend presst sie zwei Worte heraus: „Bumms, Aus“. Mehr fällt ihr zu den Amerikanern nicht mehr ein. Die Bochumer Oberbürgermeisterin war gefragt worden, auf welche Weise ihr die Opel Eigentümer mitgeteilt haben, dass das Werk in ihrer Stadt keine Zukunft mehr hat. Weil es der eine oder andere noch nicht verstanden hat, wiederholt sie ihre Botschaft noch einmal: „Bumms, Aus!“

 

Nein, die US-amerikanischen Eigentümer von General Motors haben weder mit ihr noch mit anderen darüber geredet, warum sie die 52 jährige Geschichte des Werkes in der Ruhrstadt an diesem Freitag beenden. Als die Frau Oberbürgermeisterin gefragt wird, ob es wenigstens eine ordentliche Verabschiedung nach diesem halben Jahrhundert geben wird, hebt sie wieder die Hände: „Das war wohl nicht erwünscht“. So wird an diesem Wochenende ein wichtiges Kapitel deutscher Industriegeschichte in Bochum geschlossen, ein mindestens zehn Jahre währender Kampf um den Erhalt des Werkes endet mit der Kapitulation.

Noch eine Woche wird aufgeräumt

Noch für eine gute Woche werden die verbliebenen rund 3000 Opel Mitarbeiter die Werkshallen fegen, ihre persönlichen Dinge sortieren und dann ebenfalls zum unweigerlich letzten Mal das Gelände verlassen. Dabei war Opel in Bochum das Symbol für den gelungenen Strukturwandel, denn das Werk war 1962 nach nur zwei Jahren Bauzeit auf einem ehemaligen Zechengelände aus dem Boden gestampft worden. Wo früher Kohle gefördert wurde, bauten die Opelaner moderne Autos. Der Kadett war dem deutschen Klassiker, dem VW Käfer, in vielen Dingen weit überlegen, das Bochumer Opel Werk wuchs und wuchs. Mit den Erfolgsmodellen wie dem Manta oder dem Opel GT wurden Legenden geschaffen, Ende der 70er Jahre hatten mehr als 20000 Menschen bei Opel Arbeit.

„Wir haben alle bei Opel gearbeitet“, erzählt Horst Osladil, „meine Frau, Onkel und Tanten“. Eigentlich ist sein Sohn schon als Baby mit im Werk gewesen, wie selbstverständlich hat er später auch bei Opel angefangen. Horst Osladil und seine Frau Ursula kommen zusammen auf 64 Jahre Betriebszugehörigkeit, sein Sohn Eric, heute 47, bringt es immerhin schon auf 30 Jahre im Werk. „So ist das hier bei uns im Revier“, schiebt sagt der 78-Jährige. „Man hat ja früher geglaubt, wer bei Opel anfängt, bleibt, bis er in der Rente ist“, sagt Sohn Eric, der Vater nickt.

Doch 2004 kippte die Geschichte von Opel in Bochum. Manch einer erinnert sich wie Vater Osladil noch ganz genau an diese Zeit. Damals wollten die Eigentümer von General Motors wieder einmal die Kosten senken und Stellen streichen, die Belegschaft in Bochum wehrte sich mit allen Kräften und zettelte einen wilden Streik an. Selbst die IG Metall war damals gegen diese Art der Auseinandersetzung. „Der größte Fehler war die Drohung, die ganze Produktion in Europa zu blockieren, das ging wegen der Achsen“, sagt Horst Osladil: „Das hat sich der Amerikaner gemerkt“. Das könnte es gewesen sein. Bob Lutz war lange Jahr eine Art Chefstratege bei der Opel-Mutter General Motors. Auch für ihn war dieser wilde Streik ein Wendepunkt. Auf den ersten Blick hatte sich die Belegschaft durchgesetzt und eine Standortgarantie erkämpft. Aber Lutz erinnerte Jahre später an diesen Vorgang: „Wann immer und wo immer ein GM-Werk wild bestreikt wurde, hat der Konzern das Werk später geschlossen“.

Dieses Schlusssignal kam vor exakt zwei Jahren, als der damalige Opel-Chef Thomas Sedran mit fünf knappen Sätzen das Schicksal des Werks besiegelte und bei dieser Botschaft an die knapp 2000 Opelaner in einer der Hallen von Sicherheitskräften geschützt werden musste. Sedran las damals die Erklärung vom Blatt ab, nach wenigen Minuten war alles vorbei, der entscheidende Satz hallte lange nach: „ ... werden wir die Produktion in Bochum beenden“. Fachleute gaben der Marke damals kaum eine Chance. „Opel musste wegen der Überkapazitäten auch nach der Schließung in Antwerpen 2010 noch ein Werk in Europa herausnehmen“, heißt das in das in der kalten der Sprache der Beobachter, in diesem Fall formuliert vom Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer der Universität Duisburg-Essen.

Es blieb nur Schadensbegrenzung

Obwohl die Belegschaft noch versucht hat zu retten, was nicht mehr zu retten war, war damit das Ende besiegelt; es konnte nur noch um Schadensbegrenzung gehen. Immerhin wurde Opel gezwungen, rund 550 Millionen zu zahlen. Obwohl der letzte Betriebsratschef, der streitbare Rainer Einenkel, noch gegen die verschiedenen Entscheidungen vor Gericht gezogen ist, haben sich inzwischen die meisten mit der Situation arrangiert. Langjährige Mitarbeiter bekommen rund 125 000 Euro Abfindung. Der Konzern muss für die Altlasten auf dem Grundstück zahlen und hat sich am Ende bereit erklärt, ein Ersatzteillogistikzentrum mit rund 700 Arbeitsplätzen bis 2020 in Bochum zu belassen.

„Trotzdem, das macht sehr betroffen“, sagt die Oberbürgermeisterin Scholz. Sie kann ihre Gefühle zwischen Wut und Enttäuschung über die Amerikaner kaum unterdrücken. Als Realpolitikerin musste sie sich allerdings der Situation stellen und sich am Ende auf die Operation Neuaufbau einlassen. Früher als sonst haben Stadt und Land gemeinsam überlegt und geplant, was auf dem riesigen Areal entstehen kann. „Wir lassen Bochum nicht allein“, sagte der Wirtschaftsminister Garrelt Duin. Er übergab in dieser Woche medienwirksam einen Zuwendungsbescheid über 32 Millionen für die Gesellschaft, die sich hier um die Ansiedlung von Arbeitsplätzen kümmern soll. Rolf Heyer führt diese Gesellschaft, er ist ein alter Hase auf dem Gebiet der Entwicklung von Flächen im gebeutelten Revier. Hier ist er optimistischer, als anderswo: „Ich habe noch nie erlebt, dass es so schnell ging“.

Immerhin wird es neben den 700 verbleibenden Opel-Arbeitsplätzen bald weitere 600 neue Stellen bei der DHL geben. Der Logistikkonzern baut auf dem Opel- Gelände bis Mitte 2016 das modernste Paket-Verteilzentrum Europas. Ansonsten verweist der Entwickler auf den Strukturwandel in der Stadt: „Waren zu Spitzenzeiten 20 000 Menschen bei Opel beschäftigt, gibt es heute mehr als 22 000 Arbeitsplätze in der Gesundheitswirtschaft“. Für Eric Osladil ist die Geschichte vorerst glimpflich ausgegangen: Er hat inzwischen die Zusage im Opel Ersatzteilzentrum eine Stelle zu bekommen.