Die wohl schönste Sommerbühne von Stuttgart im Corona-Jahr 2020 steht im Römerkastell. Klein und fein präsentiert sich das Open-Air für 99 Gäste, die auf Liegen oder Schaukelstühlen sitzen, nicht in Autos. Bei der Premiere gab’s viel Lob.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Lavendeltöpfchen stehen auf kleinen Fässern, die auf grünen Kunstgrasinseln um Sonnenliegen, Schaukelstühlen und Polstersofas aus Europaletten liebevoll gruppiert sind. Wer den umzäunten Platz vor der Cannstatter Phoenixhalle betritt, fühlt sich trotz Masken und vorsichtigem Herantastens an die zugewiesenen Plätze rasch wohl. So schön ist alles dekoriert.

 

Zur Premiere des Kastellsommers, dem neuen Format unter Corona-Gesetzen, stimmt nicht nur das Wetter. Das Ambiente wirkt entspannend, man fühlt sich sicher, denn die Nachbarn sind auf Distanz. Am Platz darf man den Mund- und Nasenschutz abnehmen. Nun kann man es sich bequem machen für Kultur beim Sonnenuntergang und im Duft des Lavendels! „Das ist mein neues Wohnzimmer“, schwärmt Gabi Läsker, die mit ihrem Mann „Bär“ Läsker, dem Fanta-Manager, im Römerkastell lebt.

Nach dem Abspann brandet Beifall auf

Die Sehnsucht nach Ausgehen, nach Lebensfreude, nach Kino und Konzerten ist groß. Immer mehr Veranstalter wollen heraus aus der Schockstarre, die zu Beginn der Pandemie reihum fast alle befallen hat. „Auch wir haben uns überlegt, ein Autokino auf dem Parkplatz des Römerkastell zu machen“, sagt Stefanie Stoll, die Chefin der Phoenixhalle. Als die Lockerungsnachricht kam, dass vom 1. Juni Veranstaltungen mit weniger als 100 Teilnehmern stattfinden dürfen, unter den Abstandsregeln, versteht sich, war die Idee rasch geboren, eine Open-Air-Bühne samt LED-Kinoleinwand aufzubauen für Kulturgenuss ohne Parkplatz- oder Staugefühl.

Am ersten Abend läuft der Blockbuster „La La Land“, der vor drei Jahren sechs Oscars bekam – es ist fast ausverkauft. 89 von 99 erlaubten Plätzen sind belegt. Echte Cineasten finden sich ein, was am Ende des zweistündigen Musicalfilms zu hören ist. Die meisten bleiben still sitzen, bis der letzte Name des minutenlange Abspanns abgelaufen ist – und dann brandet Beifall auf. Ein Live-Erlebnis!

Spätvorstellungen mit Kopfhörer

Um Anwohner akustisch zu schonen, gibt’s bei Spätvorstellungen des Kastellsommers Kopfhörer, und der Ton wird wie bei Autokinos über eine UKW-Frequenz übertragen. Zur Primetime um 19 Uhr ist dies nicht der Fall. Der erste Plan, dass alle Besucher digital über einen QR-Code bestellen und Bedienungen das Gewünschte zu den Plätzen bringen, ist gestrichen. Die Stadt erlaubt von Tag zu Tag mehr. Jetzt darf doch jeder an Ständen Bier oder Maultaschen holen, was zunächst untersagt war.

Veranstalter in der Coronazeit müssen flexibel sein. Die Vorgaben ändern sich so schnell, dass man oft kaum folgen kann und verwirrt ist. Kaum einer hat den Überblick, wofür Sonderregeln gelten und wofür nicht. Die Macher des Kastellsommers – Profis aus verschiedenen Branchen, darunter die neue Firma des langjährigen Messechefs Ulrich Kromer, Designerin Birgit Martinez von Decor und More, Heiko Blattert von iLux Veranstaltungstechnik sowie die Innenstadtkinos – haben grüne, runde Inseln aus Kunstrasen geschaffen, auf denen bis zu vier Besucher aus zwei Haushalten sitzen können. So wird optisch die notwendige Distanz auf sympathische Art angezeigt. Doch nun ist die Zahl erhöht. Mittlerweile dürfen zehn Personen aus zehn Haushalten in der Öffentlichkeit zusammen sein, also auch sich vor der Kulturbühne im Römerkastell treffen. Dennoch soll hier erst mal die Vierer- oder Zweierregel weiterhin gelten.

CSD feiert im Römerkastell

Vom 1. Juli an, so munkelt man, dürfen 499 Menschen eine Veranstaltung besuchen. Platz ist vor der Phoenixhalle vorhanden zur Vergrößerung. Diszipliniert und ruhig läuft’s bei der Premiere mit dem schönen Liebesfilm „La La Land“ ab. Da kann man sich vorstellen, dass dies hier auch bei einem deutlich größeren Publikum gelingt.

Die neue Plattform im Römerkastell stößt auf große Resonanz. Die Staatsoper, die Rosenau, das Renitenz-Theater, der Christopher Street Day wollen hier Veranstaltungen machen – aber auch Firmenevents sind geplant, etwa Autopräsentationen. Der CSD nutzt die Bühne „für mehr als nur für die Eröffnungsgala“, sagt Sprecher Christoph Michl, „wir freuen uns schon total“. Einzelheiten sollen in Kürze bekannt gegeben werden. Drinnen in der Phoenixhalle hat die Bavaria Fiction Kulissen für die „Soko Stuttgart“ aufgebaut. Locations außerhalb des Römerkastells sind erst mal gestrichen. Nach neuen Büchern wird gedreht, unter strengen Corona-Bedingungen. Die Schauspielerinnen und Schauspieler proben mit Maske. Nur für die Kamera wird sie abgesetzt, der Abstand bleibt gewahrt.

Gute Stimmung auch beim Kulturwasen

Wird es künftig in dem ZDF-Krimi weniger Liebesszenen geben und dafür mehr Streit? Wer sich ordentlich gezofft hat, runterkommen will und dabei Corona vergessen, kann sich herrlich entspannen auf schaukelnden Stühlen, weichen Polstern und Liegestühlen. Ein bisschen ist’s wie im Urlaub! In diesem Jahr bleiben viele daheim – da ist es gut, dass der Stuttgarter Festivalsommer immer bunter wird. Wenn es regnet, muss man sich beim Kastellsommer entsprechend anziehen. Bei den Autokonzerten auf dem Cannstatter Wasen und am Flughafen dagegen sitzt man im Trockenen. Es hat sich herumgesprochen, dass auch beim Kulturwasen (am Freitag spielt Revolverheld) Superstimmung herrscht. Am Samstag startet der Live-Sommer auf den Fildern (mit Michael Patrick Kelly).

Der Ausgehkalender füllt sich wieder. Und selbst im Corona-Jahr 2020 zeigt sich: Stuttgart ist eine tolle Kulturstadt!