Nach einem Libretto von Ingeborg Bachmann hat Hans Werner Henze 1960 Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ komponiert. Jetzt ist die Oper zum ersten Mal in Stuttgart zu sehen. Geht der Plot in der Regie von Stephan Kimmig noch auf?

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Gekachelte Guckkastenbühne von Katja Haß im Stuttgarter Großen Haus, gebaut für Stephan Kimmigs Inszenierung von Hans Werner Henzes dreiaktiger Oper „Der Prinz von Homburg“ von 1960, seinerzeit uraufgeführt in Hamburg und jetzt zu hören in der revidierten Münchner Fassung von 1992.

 

Zu sehen: eine weiße, fast klinische Anstalt, die früher einmal ein Brandenburger Schlachthaus gewesen sein könnte und jetzt unter anderem als Ballettsaal verwendet wird: Selbst der Kurfürst Wilhelm probiert Leibesübungen und Schritte. Rostspuren an den Wänden. Im Vordergrund eine Leiter, die im Schlussbild erneut dort steht; hinter dem Galgenstrick für den Mann, der wegen Befehlsverweigerung gehängt werden soll, um dann, gemäß Heinrich von Kleists Stück und auch in der Überschreibung der Librettistin Ingeborg Bachmann, doch – und gegen seinen eigentlichen Willen – Begnadigung zu erfahren. Im frontal Hellen noch spürt man jenes Dunkel walten, das dem Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel missfiel, als er zu Kleists Stück notierte, hier spiele die „Poesie in das Nebulose“. Und folgerte: „Der wahrhaft ideale Charakter hat nichts Jenseitiges und Gespensterhaftes, sondern wirkliche Interessen . . . “

Bericht aus dem Innenministerium!

Naturgemäß war das eine Ansicht, die den Schauspieler und Philosophen Matthieu Carrière provozierte, als er Anfang der achtziger Jahre einen Essay unter der Überschrift „für eine literatur des krieges, kleist“ schrieb. Carrière replizierte: „Ein Bericht aus dem Innenministerium! Zur Lage der öffentlichen Ruhe und Ordnung. Kulturpolizist auf der Suche nach Feinden.“ Hegel denunziere, argumentiert Carrière im Folgenden, „das romantische Konzept eines Helden, der an Stelle der geforderten, ,substantiellen Solidität des Charakters‘ ein Gemüt hat.“

An diesem Punkt nun, mitten im Gemütvollen, halb Versöhnlichen und viertels Utopischen zugleich, aber auch im Plakativen, endet der Regisseur Stephan Kimmig mit seiner Regie in Stuttgart: Prinz Friedrich von Homburg erscheint final im weißen T-Shirt mit dem schwarzen Aufdruck „Freiheit“ noch einmal als Traumwandler – und er ist, um mit John Lennon zu reden, „not the only one“, nicht der Einzige. Der martialischen Schlussformel „In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs“ zum Trotz stehen Fürst und Fürstin, Marschall, Offiziere und Hofdamen mit Fanschals behängt an der Rampe, auf der sie vorher oft ihr Leben in Zeiten des Krieges auszubalancieren suchten, und recken gedruckte Wörter in die Luft: „Empathie“, „Divers“, „Toleranz“, „Welt“, „Wir“. Es fehlt: „Imagine“. Aber irgendwie ist „Imagine“ natürlich gemeint. Zudem gehen die Türen auf, damit mal Luft reinkommt in die Oper. Schwer zu sagen, ob der Komponist Hans Werner Henze sich hier richtig interpretiert gefühlt hätte, obwohl er gehofft hatte, dass sich „Opernpathos“ im Sinne von Luchino Visconti entfalte.

Persönliche Verletzungen

Visconti nämlich war der eigentliche Ideengeber für „Homburg“ gewesen; Henze visualisierte beim Komponieren „zwischen Dodekaphonie und (cum grano salis) alter Harmonik“ eine „flammende Visconti-Inszenierung“ (zu der es nicht kam), mittels derer auch persönliche Verletzungen repariert werden sollten: In Darmstadt, bei den Ferienkursen für Neue Musik und in Donaueschingen war seine Musik extrem negiert worden; Henze sah „Komponisten einander bekämpfen wie Wirtschaftsbosse“ und fand das „widerlich“. Seine Antwort, beginnend mit den aggressiven leeren Quinten in der Partitur, war aber eben auch eine Kampfansage aus Italien, wo er schon länger lebte, unter anderem zusammen mit Ingeborg Bachmann, und auf Dauer blieb: Nicht zufällig Igor Strawinsky gewidmet, hat das Werk neben herausragenden melodischen Passagen auch immer etwas Überartifizielles und in seiner Dynamik Überforderndes. Es ist, heute vernimmt man das vielleicht noch deutlicher, als ob Henze der deutschen Nachkriegswelt auch hätte zeigen wollen, was sie zuvor an ihm verbrochen hatte und immer noch verbrach – sowohl dem homosexuellen Mann gegenüber wie dem innerhalb der eigenen Zunft partiell verfemten Musiker, der die Tradition mit Neuer Musik verflechten und nicht die historischen Linien gänzlich kappen wollte.

Der Stuttgarter Generalmusikdirektor Cornelius Meister, dessen erste Oper am Pult in Hamburg einmal Henzes „Pollicino“ gewesen ist, lässt es einerseits an Wucht keineswegs fehlen. Er dämpft, was durchaus vorstellbar wäre, Henzes Furor zwischen Zwölftontechnik und Seriellem kaum, arbeitet andererseits aber auch die belcantistischen Momente mit Nachdruck heraus: Vera-Lotte Böcker ist mit wunderbarerer Höhe eine auch szenisch immer präsente Prinzessin Natalie, Helene Schneiderman eine sehr robuste Kurfürstin, und in Diktion und Phrasierung rangiert Moritz Kallenberg als Graf Hohenzollern mindestens ebenbürtig neben Robins Adams’ Homburg und Stefan Margitas Kurfürst. Stets behaupten sich die Autonomien der Figuren gegenüber dem Apparat, den Meister in Dauerspannung hält. Dass für die Zwischenspiele stets der Vorhang herunterfährt, ist Stilprinzip, doch auf Dauer auch ein wenig enervierend.

Die Würde des Menschen

Grundsätzlich haben sich die Umstände, unter denen ein Werk wie der „Prinz von Homburg“ heutzutage bestehen muss auf dem Musiktheater, geändert: Für Opulenz ist da wenig Platz. Stephan Kimmig begegnet dieser Tatsache, indem er lange Zeit relativ klare Verhältnisse schafft auf der Bühne. Eher determiniert erscheinen die Figuren – und sind damit in sich selbst nicht sonderlich entwicklungsfähig. Vor der zentralen Schlacht in viel, allzu viel Blut getränkt, kommt die Szene im Prinzip mit dem variierten Symbol des Handschuhs aus. Ab und zu zucken surreale Videobilder. Im Wesentlichen arrangiert der Regisseur geschickt an der Handlung, die ja eine innere der Personen ist, entlang. Gen Ende verlässt ihn sein Bühneninstinkt: Ausgerechnet, als die Würde des Menschen elementar verhandelt wird, stehen die Protagonisten Homburg und sein Vater in Unterhosen da. Der Schluss ist, wie gesagt, gut gemeint. Wo aber Weltfirmen unter dem Banner der Empathie munter Erpressungspolitik betreiben, mutet es womöglich doch ein wenig naiv an, das große „Wir“, Traumtänzerei gar, als gesellschaftliches Allheilmittel zu beschwören.

Dem großen Beifall ohne jede Missfallenskundgebung folgt die Frage, wie sich das sperrige, schwere Stück im Repertoire schlagen wird. Darüber hinaus mutet Hans Werner Henzes „Der Prinz von Homburg“, bei allem Respekt und trotz aktivistischer Wiederbeatmung, tatsächlich ein wenig gestrig an, vor allem wenn man das Stück eine Woche nach der Uraufführung von Leo Dicks und Slavoj Zizeks „Antigone-Tribunal“ durch die Junge Oper im Nord hört. Inklusive Bürgerchor geht es dort um die Neuschaffung einer politischen Ordnung, die sehr heutig von Interessenpolitik, Staatsräson und möglichem Widerstand dagegen handelt. Die Aufführung lässt Luft zum Atmen, zum Denken, und es stehen dramaturgische Alternativmodelle bereit. Die Morgenröte einer neuen, besseren Zeit, kommt schließlich nicht – um Brecht zu paraphrasieren – nach durchträumter Nacht.

Vorstellungen am 20., 22. und 29. März sowie am 6. April und 4. Mai