Der Verein Zuflucht Kultur hat die Oper „Idomeneo“ wiederaufgenommen und beim Lucerne Festival gezeigt. Drei Tage konnten die Profimusiker und der Chor aus Geflüchteten dafür in der Staatsgalerie Stuttgart proben.

Stuttgart - Die Worte gehen unter die Haut. „Dieser Kompass hat vielen das Leben gerettet“, erklärt der Syrer, auf einem Bettgestell sitzend. Etwa als er und seine hochschwangere Frau durch türkische Wälder irrten, als der Bootsführer auf dem Mittelmeer die Orientierung verlor: „Der Kompass zeigte uns Norden.“ Er spricht in ein Mikrofon, das ihm Mezzosopranistin Cornelia Lanz hinhält. Er spielt einen Söldner, sie singt den Idamante – in der Generalprobe von Wolfgang Amadeus Mozarts „Idomeneo“ im Vortragssaal der Staatsgalerie. Am Sonntag wird die Oper beim Lucerne Festival zu sehen sein. Das Motto: „Identität“.

 

Mitspieler im Flüchtlingsheim gecastet

„Idomeneo“ wurde vom Verein Zuflucht Kultur mit den Ludwigsburger Schlossfestspielen produziert, wo es 2016 Premiere hatte. Der Inhalt ist aktuell: Krieg, Flucht, Macht, Hochmut. Alle Figuren sind heimatlos, Idomeneos Sohn Idamante flieht vor dem Zorn der Götter, Königstochter Ilia wurde aus Troja verschleppt, Elettra floh nach dem Muttermord zu Idomeneo.

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Auch die Protagonisten des Bewegungschors, „Chor Zuflucht“ sind Geflüchtete. Die Idee dazu hatte 2013 die Sängerin Cornelia Lanz. In die Opernprodukioon „Così fan tutte“ wollte sie syrische Bürgerkriegsflüchtlinge integrieren: Sie gründete mit anderen den Verein Zuflucht Kultur. Ein Konzept entstand, sie casteten im Flüchtlingsheim von Stuttgart-Weilimdorf über 20 Mitspieler aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, Pakistan, Nigeria, dem Iran und Irak.

Nicht alle Mitspieler durften mit

Der Erfolg gab Lanz, Regisseur Bernd Schmitt und ihren Mitstreitern Recht: Auftritte in vielen deutschen Städten, bei den Vereinten Nationen in Genf, dem Sommerfest des Bundespräsidenten, am Place de la Bourse in Brüssel, bei Antirassismusveranstaltungen oder im Fernsehen. Es folgten die Mozartoper „Zaide. Eine Flucht“, „Idomeneo“, Bizets „Carmen“ ist in Arbeit. Die Geflohenen stehen mit Profis auf der Bühne. Neben Lanz sind Josefin Feiler von der Staatsoper Stuttgart und Tatjana Charalgina im Boot, als Ilia und Elettra. Manolito Mario Franz singt den Idomeneo. Das Ensemble BandArt wird dirigiert von Gordan Nikolic, erster Solo-Violinist und Konzertmeister des London Symphony Orchestra. Der Philharmonia Chor Stuttgart verstärkt den Chor Zuflucht. Regisseur Schmitt und Bühnenbildnerin Birgit Angele sehen alle als gleichberechtigte Akteure. Dass die Staatsgalerie für die Proben zur „Idomeneo“-Wiederaufnahme drei Tage lang ihre Räume zur Verfügung stellte, auch eine Führung durch die Ausstellung organisierte, begeisterte den 19-jährigen Alsalameh aus dem syrischen Deir ez-Zor, in dem derzeit Offensiven gegen den IS stattfinden. „Es ist toll, alle arbeiten zusammen, völkerübergreifend, vorurteilsfrei, wir können etwas beitragen, zeigen, wer wir sind.“ Er ist wie einige andere Männer und – wenige junge Frauen – neu im Bewegungschor.

Zuflucht Kultur konnte nicht mit allen Geflohenen nach Luzern ausreisen, weil einigen die Erlaubnis fehlte. Innerhalb weniger Tage brauchte Schmitt Ersatz – und fand sie vor allem unter syrischen Geflohenen. „Sie hatten den Status. Die vielen Neuen haben bei der Generalprobe erstmals die Musik gehört, wurden von jenen gecoacht, die schon da waren – aber es hat bestens geklappt.“ Alsalameh ergatterte eine Sprechrolle, erzählt auf der Bühne, wie wichtig für ihn auf der Flucht die Jacke war, die ihm seine Mutter kaufte. Obwohl er schon gut deutsch spricht, tat er das auf Arabisch. „Ich möchte von der Schönheit unserer Sprache künden.“