Mit der Premiere von „Don Giovanni“ ist die Stuttgarter Spielzeit zu Ende gegangen: zum einen traditionell auf der Bühne, zum andern als Multimedia-Spektakel im Fernsehen, auf der Public-Viewing-Leinwand und im Internet.

Stuttgart - Es ist Ausverkauf in der Don Giovanni-Boutique, der Chef gibt persönlich den Gastgeber. Prosecco gibt es heute umsonst, und so kommen auch die Unterschichtler gern, die von Don Giovanni begehrte Zerlina inklusive. Wann darf man schon mal teure Pelze zur Probe tragen? Geld bedeutet Macht, und Macht taugt zur Verführung. Don Giovanni weiß das ganz genau.

 

Viel mehr als Geld und ein bisschen Sexappeal ist Don Giovanni in Andrea Moses’ Inszenierung von Mozarts Oper, einer Übernahme vom Theater Bremen, die dort 2010 Premiere hatte, nicht geblieben. Aufrührerisches, Dämonisches gar umgibt ihn nicht. Aus dem spanischen Edelmann ist ein Aufschneider geworden, dessen Lebensinhalt darin besteht, mit coolen Sprüchen und reichlich Chuzpe Frauen rumzukriegen. Immerhin kann er mit seinen Dandyklamotten und seiner protzigen Uhr bei einer Softpunk-Göre wie Zerlina noch Eindruck schinden.

Das Sujet ist zeitlos. Verführer und Verführte wird es immer geben. Das Neue am „Don Giovanni“ aber war zu Mozarts Zeiten, dass die Ruchlosigkeiten des Verführers Konsequenzen hatten. So war „Don Giovanni“ eine Oper des Umbruchs: Mit dem Tod des adligen Unholds endet auch eine Epoche.

Am Ende hängen alle wieder in der Bar

Hier endet dagegen nur das Leben eines Schwerenöters. Am Ende der Oper stehen alle wieder vor der tristen Bar, möbliert in jenem austauschbaren Businessdesign, wie man es weltumspannend in Budgethotels finden kann. Die Bar liegt im Erdgeschoss des DG Star Hotels, dessen Besitzer offenbar Don Giovanni ist. Christian Wiehle hat dafür einen drehbaren Komplex auf die Bühne gebaut, mit Apartments für die Besserverdiendenden im Obergeschoss, unten sind Garagen, in denen das Prekariat seine Grillfeste feiert. Ob die Frauen reich oder arm sind, ist Don Giovanni ohnehin gleichgültig, er will jede verführen. Sein Diener Leporello belegt das in seiner Registerarie, wo er die Verflossenen seines Herrn via Smartphone auf eine Leinwand projiziert.

Aber was finden diese Frauen bloß an Don Giovanni? Donna Anna benutzt ihn als Vehikel für ihre unerfüllten erotischen Sehnsüchte, dabei passen sie und Don Ottavio äußerlich doch bestens zusammen: ein modernes Upperclass-Paar, wie man es auf Vernissagen oder im Opernhaus treffen könnte. Aber selbst wenn ihre Persönlichkeitsprofile von Parship abgeglichen worden sind – sie findet ihn einfach nicht sexy. Scharf wird sie bei halbseidenen Mackern wie Don Giovanni. Und so wird die Gretchenfrage jeder Don-Giovanni-Inszenierung, ob Donna Annas Verführung in gegenseitigem Einvernehmen geschah, hier gleich zu Beginn beantwortet: Donna Anna lockt Don Giovanni mit eindeutigen Gesten ins Zimmer nach oben, während Don Ottavio, von Leporello abgelenkt, in der Bar vor sich hindöst.

Andrea Moses entwirft hier mit großer Genauigkeit das Psychogramm einer Beziehung, die vor allem auf gegenseitigen Täuschungen basiert – am frappierendsten in der Rache-Arie, wenn Donna Anna mit kleinen Gesten klar macht, dass ihre Empörung über die angeblichen Zudringlichkeiten Don Giovannis wie über den Tod des Komturs nur gespielt sind.

Ironische Zuspitzungen gibt es zuhauf

Donna Elvira dagegen will einfach nur geheiratet werden. Statt Don Giovanni könnte es wohl auch ein anderer sein, Hauptsache, sie ist versorgt. Rebecca von Lipinski singt ihre Verzweiflung und Wut in ihrer Arie „Mi tradi quell’alma ingrata“ ergreifend heraus, das Rezitativ davor lässt der Dirigent Antony Hermus vom Stuttgarter Staatsorchester wie ein barockes Lamento enden, fahl und vibratolos.

Die Charakterisierung der Protagonisten und ihrer Beziehungen ist die Stärke der Inszenierung. Jede Geste erscheint dramaturgisch motiviert, wobei Andrea Moses kein grundsätzlich neues Licht auf den Don Giovanni wirft, wenn man mal vom Finale mit der Höllenfahrt Don Giovannis absieht, wo sie für die Rolle des Komturs eine verblüffende Lösung findet. Die Aktualisierung gelingt ihr weitestgehend reibungslos im Einklang mit Libretto und Musik. Ein neuralgischer Punkt ist nur die Szene gegen Ende des zweiten Aktes, wenn die drei Kapellen gleichzeitig spielen. Die Inkongruenz von Bühne und musikalischem Stil wird hier zum Problem. Moses versucht es zu lösen, indem sie das verordnete Menuett als Schrulle Don Giovannis interpretiert. Richtig überzeugend ist es nicht.

Manchmal geht es schwer Richtung Klamotte

Ironische Zuspitzungen gibt es zuhauf. Dazu zählen kleine Scherze mit der Souffleuse (die nach einem Schlag auf ihren Kasten mit der weißen Fahne winkt), aber auch die umgangssprachlich zugespitzten Übersetzungen. Das geht manchmal schwer in Richtung Klamotte, wird aber wieder abgefangen durch die Musik. Denn gesungen und musiziert wird in dieser Produktion famos. Simone Schneider ist eine Donna Anna von Weltniveau, in der Intensität ihrer Darstellung ebenso grandios wie Rebecca von Lipinski (Donna Elvira). Shigeo Ishino singt die Titelrolle so profund wie kantabel, rollengerecht etwas voluminöser angelegt als André Morsch (Leporello). Atalla Ayan gestaltet auch die gefürchtete „Il mio tesoro“-Arie sicher, ein Tenor von Format wie auch Ronan Collett (Masetto). Matthias Hölle ist als Komtur ideal besetzt, nur bei Pumeza Matshikizas (Zerlina) kehligem Sopran muss man einige Abstriche machen.

Getragen werden die Sänger vom umsichtigen Dirigenten Antony Hermus, der immer in Kontakt mit der Bühne steht und auch drohende Inkongruenzen meist rechtzeitig abfangen kann. Wo nötig, setzt er das glänzende Staatsorchester mächtig unter Strom, kann aber auch Raum lassen für die dialogisierenden Passagen von Vokal- und Bläserstimmen, dazu phrasiert er erzmusikalisch. Im Moment ist Hermus GMD in Dessau. Das dürfte nicht seine letzte Station sein.