Für die meisten war es eine Premiere: Kinder aus 17 Schulen haben das Singspiel Hotzenplotz in der Staatsoper besucht und den alten Littmannbau richtig jung aussehen lassen. Eindrücke eines erfreulich lauten Vormittags.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Man stelle sich ein Kasperletheater vor, bei dem das Kasperle wie üblich vor den Vorhang tritt und fragt: „Na, liebe Kinder, seid ihr alle da?“ Die Standard-Antwort darauf ist ein lautes „Ja!“. Nun stelle man sich vor, dass statt zehn oder 20 „Ja“-Rufern sage und schreibe 1400 vor der Bühne sitzen. Man bekommt dann eine ungefähre Vorstellung davon, auf welches Echo die Aufführung des Singspiels vom Räuber Hotzenplotz bei der Schulvorführung am Montag in der Stuttgarter Staatsoper stieß. Die geräuschempfindliche Armbanduhr schlug augenblicklich an und warnte: „Der Lautstärkepegel hat 90 Dezibel erreicht.“

 

Im Opern-Foyer türmen sich Rucksäcke

Was für eine Lärmkulisse, überhaupt, was für ein Bild! Von den begleitenden Lehrerinnen und Lehrern und den pädagogischen Fachkräften abgesehen, besteht das Opern-Publikum an diesem Vormittag ausschließlich aus Kindern. Die meisten im Grundschulalter. 17 Schulen sind vertreten, überwiegend aus Stuttgart und der Region. Die Schüler mit der längsten Anreise kommen aus Mutlangen. An diesem Morgen gehört ihnen das Opernhaus. Im Foyer türmen sich Rucksäcke. Durch das ehrwürdige Haus hallt helles Geschnatter. Es ist, als hätten die Kinder eine märchenhafte Insel betreten, auf der sie jetzt auf Entdeckungstour gehen.

Erstmal entdecken sie das Staatsorchester und dann Franz Hawlata, der als Räuber Hotzenplotz von der Bühne vorsichtig ins Parkett schielt und damit schon das erste große Kreischen auslöst. Die Kinder sind von der ersten Minute an voll dabei. Zwei Stunden lang – mit einer Vesperpause im Foyer – saugen sie auf, was auf der Bühne und im Orchestergraben alles passiert, eng angelehnt an den Kinderbuchklassiker von Otfried Preußler. Wie also Kasperl (Elliott Carlton Hines) und Seppel (Dominic Große) versuchen, dem Räuber Hotzenplotz die Kaffeemühle wieder abzujagen, die er der Großmutter (Maria Theresa Ullrich) gestohlen hat, wobei sich der Wachtmeister Dimpfelmoser (Torsten Hofmann) als hinderlich erweist, der Zauberer Petrosilius Zwackelmann (Heinz Göhrig) bekanntlich als höchst unangenehm und die große Unke als Fee Amaryllis (Clare Tunney). „Für Kinder nur das Beste. Sie sind das beste Publikum“, sagt Thomas Koch, der Kommunikationschef der Oper, inmitten des Gewusels. Auf jeden Fall sind sie das Publikum, das die größten Augen macht. Staunend verfolgen sie jede Regung auf der Bühne und sind so frei, sich einzumischen: „Links!“, schreit die Schülerschar, „links!“, als Kasperl und Seppel sich nicht entscheiden können, welche Spur wohl zur Räuberhöhle führt.

Der halbe Saal singt mit Petrosilius Zwackelmann: „Die Kartoffeln muss ich immer selber schälen“

Viele von ihnen sind bestens vorbereitet. Als Hinführung auf den Tag in dieser Kunstwelt Musik bietet die Staatsoper den Schulen über die Musiktheaterpädagogen und die Junge Oper Materialien an. Davon machen viele Lehrer Gebrauch. So kommt es, dass der halbe Saal mitsingt, als Petrosilius „Dackelschwanz“ beziehungsweise Zwackelmann jammert: „Die Kartoffeln muss ich immer selber schälen“. Ein Ohrwurm, der im Chor der Schüler herrlich kindlich klingt.

Die neunjährige Judita hat ein Bild für Hotzenplotz gemalt

Auch die Lehrer haben ihre Freude. Tobias Int-Veen, Klassenlehrer der Gesamtschule Wolfsbusch, und Giulia Sorrentino, pädagogische Fachkraft, sind mit 90 Drittklässlern hier. Int-Veen hat zuvor mit den Kindern die Hotzenplotz-Geschichte gelesen. Jetzt sind sie mittendrin im Geschehen und werden sich hinterher noch viel zu erzählen haben.

Über eine sehr persönliche Begegnung mit Hotzenplotz freut sich die neunjährige Iudita aus Öschelbronn. Mit ihrer Lehrerin Simone Gröger darf sie Hauptdarsteller Franz Hawlata in der Pause Backstage besuchen. Iudita übergibt ihm ein Hotzenplotz-Bild, das sie selbst gemalt hat. Der Bösewicht, der auf der Bühne heftig poltert, wirkt in diesem Moment ganz verwandelt: Er strahlt über das ganze, dick geschminkte Gesicht. „Für die Kinder war es nach den Jahren der Coronopandemie der erste große Theaterbesuch als Klasse und wird für sie bestimmt in Erinnerung bleiben“, sagt Simone Gröger, die mit zwei dritten Klassen gekommen ist.

Freude über steigende Auslastungszahlen

Hotzenplotz und der Besuch der 1400 Kinder – das ist auch ein prägnantes Beispiel dafür, wie sich die Oper öffnet. In dem Fall für die Jüngsten. Steigende Besucherzahlen bestätigen den Staatstheatern, dass man damit auf einem guten Weg ist. Im Februar lag die Auslastung der Oper insgesamt bei 97,8 Prozent. Der Hotzenplotz kommt sogar auf 98,5 Prozent. Potzblitz!