Kann ein Roboter Opernstar werden? Die Komische Oper in Berlin hat es probiert: Der tapsige Myon spielt dort die Hauptrolle im Stück „My Square Lady“. Aber viel tut er nicht. Er hört vor allem zu, wie andere um seine Aufmerksamkeit buhlen.

Berlin - Wenn man eine Oper beginnt, muss man wissen, wo man hinwill. So hat es der Dirigent Arno Waschk dem Roboter Myon vor anderthalb Jahren erklärt. Von Anfang an bereite man den letzten Moment vor, in dem die Protagonistin mit zerrissenem Herzen zu Boden sinkt. Es war eine der ersten Proben für das Stück „My Square Lady“, das nun in der Komischen Oper Berlin uraufgeführt worden ist. Man durfte also gespannt sein, auf welchen Moment diese Oper zusteuert: Wird Myon die Herzen der Zuschauer erobern? Wird er gar ein menschliches Gefühl kennenlernen?

 

Bei den ersten Proben hatte Myon einen tapsigen Eindruck hinterlassen. Er wird nicht programmiert wie eine Marionette, sondern soll selbstständig lernen. Es gibt natürlich längst Roboter, die passabel Fußball spielen, und solche, die Schachgroßmeister schlagen. Myon werden jedoch nur einige allgemeine Prinzipien vorgegeben wie zum Beispiel der Widerstand gegen die Schwerkraft, eine Vorliebe für warme Farben und eine Abneigung gegen Situationen, in denen die Motoren in seinen Gelenken überhitzen. Den Rest muss er sich selbst zusammenreimen – wie ein kleines Kind, das die Welt erkundet. Die Forscher wollen auf diese Weise untersuchen, was menschliche Intelligenz ausmacht.

Doch selbst wenn man das weiß, ist man bei der Premiere überrascht, wie passiv der Roboter bleibt. Myon braucht immer noch einen Bodyguard neben sich, der aufpasst, dass er nicht umfällt. Er kann nur laufen, wenn man ihn an beiden Armen festhält. Während des ganzen Opernabends hört man von ihm nur die programmatischen Äußerungen „Sitzen, aktiv!“ und „Stehen, stabil!“. Ja, das Sitzen sei keine Selbstverständlichkeit, sagt der Leiter des Forscherteams, Manfred Hild. Schaltet man den Strom ab, sackt Myon in sich zusammen. Die einzigen sichtbaren Reaktionen aber sind die Bewegungen seines Kopfs: Auf einer Leinwand kann das Publikum die Oper aus der Perspektive des Roboters verfolgen. Einmal schaut Myon einer in Weiß gekleideten Sängerin in den Ausschnitt. Er hat eben eine Vorliebe für warme Farben.

Myons Reaktionen lassen sich kaum vorhersagen

Was macht man mit einem Roboter in der Hauptrolle, der so wenig beitragen kann? Es ist ja nicht Tag der offenen Tür im Robotiklabor, sondern Showtime! Die Opernsänger tragen Arien und Schubert-Lieder vor, der Professor Manfred Hild interpretiert im Glitzerjackett „Feel“ von Robbie Williams und die Schauspieler der deutsch-britischen Truppe Gob Squad, die Initiatoren dieses Vorhabens, erläutern dem Roboter, was es heißt, ein Mensch zu sein. Sie erklären ihm, was Heimat bedeutet, und warum man weint. Kinder und Tiere können einem durch ihre Unbefangenheit die Show stehlen, aber bei Myon besteht keine Gefahr. Er hört bloß geduldig zu. Schauspieler und Sänger buhlen sogar um seine Aufmerksamkeit. Bei einem Terzett aus der „Zauberflöte“ hüllen sich die Sängerinnen in Rot, um die Blicke des Roboters auf sich zu lenken. Aber ausgerechnet beim „Ich! Ich! Ich!“ schaut Myon zur Seite. Der Datenstrom sei so komplex, erläutert Manfred Hild, dass man nicht vorhersagen könne, wofür sich der Roboter interessieren werde.

Und dann, während Schauspieler, Sänger und Forscher wie bei Leonardos Abendmahl am langen Tisch sitzen, zerlegen sie Myon in seine Teile – Beine, Arme, Rumpf und Kopf –, nur um ihn gleich wieder zusammenzusetzen. Myon hat damit kein Problem; er bleibt einsatzfähig, als sei nichts gewesen. Am Ende dieser Oper steht also nicht der Roboter, sondern vielmehr der Mensch, der seine Maschine für ihre übermenschlichen Fähigkeiten bewundert. Keimt hier so etwas wie Liebe auf? Und kann ein Roboterkonstrukteur darauf hoffen, zurückgeliebt zu werden? Manfred Hild versichert, dass Myon ewig leben könne, wenn sich nur der Forschernachwuchs finde, der sich um den Roboter kümmert. Dann treten alle der Reihe nach vor den Roboter und bitten ihn, bevor sie zu Boden sinken, sie in guter Erinnerung zu behalten. Die Sterblichen wünschen sich, dass ihre Datenspur von der Maschine nicht als unwichtig verworfen wird. Die von Menschen verantworteten Geheimdienste und IT-Konzerne mögen alles speichern, was sie in die Finger bekommen, aber wer sagt denn, dass sich intelligente Maschinen dafür interessieren?

In dreißig Jahren, schätzt Manfred Hild, würden Maschinen über so etwas wie Bewusstsein verfügen. Mit dieser Prognose ist er nicht allein: Bei einer internationalen Konferenz zur Künstlichen Intelligenz haben Forscher kürzlich vorausgesagt, dass zur Mitte des Jahrhunderts Roboter so ziemlich alles besser können würden als Menschen. Aber Myon? Auf dem Höhepunkt seiner Bühnenpräsenz dirigiert er das Orchester beim Trinklied aus „La Traviata“. Wie das geht, hat ihm der Dirigent vorgemacht, indem er die Arme des Roboters bewegte. Myon musste die Bewegungen bloß wiederholen. Und so führt der Titel des Stücks doch in die Irre: Myon ist keine Lady, er wird nicht zum Opernstar und quadratisch, praktisch ist er auch nicht.

Vorstellungen
am 25. Juni und 5. Juli