Das Opernhaus des Jahres 2017 steht erstmals in Frankreich. Neben der Opéra de Lyon behauptet aber auch die Oper Stuttgart mit gleich drei ersten Plätzen ihre Ausnahmestellung.

Stuttgart - Es gibt kaum etwas, das weniger zu Kunst passt als Wettbewerb und eindeutige Urteile. Ein junger Musiker, dessen tief durchdrungener Interpretation eine Jury die äußerliche Virtuosität eines anderen vorzieht, mag sich zurecht ungerecht behandelt fühlen. Und Kritiker, die in ihren Texten eindeutige Urteile über Kunstwerke fällen, müssen mit der inneren Unsicherheit darüber leben, ob sie tatsächlich alle Aspekte des vielfältig Schillernden gesehen, gefühlt und verstanden haben.

 

Aber gute Kunst ist auch eine, die sich gut verkauft, und so messen sich Musiker eben doch in Wettbewerben aneinander, und Opernhäuser erwarten jedes Jahr Ende September bangend das Jahresheft der Zeitschrift „Opernwelt“. Fünfzig Kritiker, vornehmlich deutsche, aber auch Kollegen aus anderen europäischen Ländern und den USA, haben Fragebögen ausgefüllt, haben die besten Sänger, die besten Produktionen und schließlich auch die nach ihrer Meinung besten Saisonleistungen nominiert. Der Titel „Opernhaus des Jahres“ geht als wichtigste Trophäe aus der Umfrage hervor, und mit Stolz lassen die ausgezeichneten Opernhäuser dann Banner über ihren Eingangstüren flattern oder versehen gar ihre Programmhefte mit kleinen Aufklebern.

Die Opéra de Lyon ist Opernhaus des Jahres 2017

Im September 2016 wurde die Oper Stuttgart bereits zum siebenten Mal „Opernhaus des Jahres“. In diesem Jahr geht der Preis erstmals nach Frankreich: Wegen ihres experimentierfreudigen Programms, ihrer durchgängig hohen künstlerischen Qualität, ihrer Ausstrahlung in Stadt und Region und ihrer Attraktivität auch für ein jüngeres Publikum darf sich nun die von Serge Dorny geleitete Opéra de Lyon freuen. Die Oper Stuttgart freilich liegt fast gleichauf: Gleich drei Auszeichnungen in Unterkategorien gehen selten an ein Haus, und wer den „Sänger des Jahres“ (Matthias Klink), den „Nachwuchskünstler des Jahres“ (Demis Volpi) und den „Chor des Jahres“ (Staatsopernchor Stuttgart) bei sich weiß, der darf dies als reiche Bestätigung seiner Arbeit an und mit der Kunst betrachten. Gerade vor dem Hintergrund der aktuell schwierigen Situation rund um die „Hänsel und Gretel“-Inszenierung des in Moskau in Hausarrest festgehaltenen Regisseurs Kirill Serebrennikow darf Jossi Wielers Team den Preisregen ruhig als Zustimmung zu seiner nicht alltäglichen Art des hochsensiblen und hochreflektierten Umgangs mit Kunst verstehen. An einem anderen Haus wäre eine derartige Inszenierung über eine Inszenierung und eine Regiearbeit ins Offene, wie sie gerade am Eckensee entsteht, kaum nicht möglich gewesen.

Mächtig Rückenwind bekommt der neue Chordirektor Christoph Heil, der zur neuen Spielzeit die Leitung des Stuttgarter Staatsopernchores von Johannes Knecht übernimmt. Dass dieser Chor jetzt schon zum siebenten Mal hat dieser Chor den Lorbeer als bestes Ensemble seiner Art errang, liegt nicht nur an seiner stimmlichen Qualität, sondern auch an seinem eminenten darstellerischen Können und Engagement. Und die Auszeichnung, die Demis Volpi für seine wundervoll körperlich gedachte, feine Inszenierung von Benjamin Brittens Thomas-Mann-Oper „Tod in Venedig“ erhält, dürfte dem jungen Regietalent die Verbitterung über seine seine überraschende Kündigung als Hauschoreograph des Stuttgarter Balletts zumindest ein wenig versüßen – und vielleicht auch seine Attraktivität für neue Engagements erhöhen.