Die Opernsängerin Helene Schneiderman gastiert im Rahmen der Reihe „Jüdisch & deutsch“ in Fellbach. Im Gespräch gibt die gefragte Mezzosopranistin Einblicke in ihr Programm.
Sie gehört zu den berühmtesten Vertreterinnen ihres Fachs, ist weiterhin Publikumsliebling der Staatsoper Stuttgart, singt bis heute auf den Bühnen wichtiger Opernhäuser dieser Welt – und sie ist gebürtige Amerikanerin und Jüdin. Zum Abschluss der Reihe „Jüdisch & deutsch“ der Kulturgemeinschaft Fellbach kommt die Mezzosopranistin Helene Schneiderman am Sonntag, 9. November, in die Musikschule am Guntram-Palm-Platz in Fellbach (Rems-Murr-Kreis). Im Interview mit unserer Redaktion spricht sie über die Bedeutung ihres Auftritts, über Antisemitismus und ihre Reisen in die USA.
Frau Schneiderman, vor acht Jahren waren Sie schon einmal in Fellbach zu Gast mit Ihrem Programm „Ich sang um mein Leben“. Ich nehme an, Sie haben nicht lange gezögert, als die Anfrage kam, ob Sie am 9. November zum Abschluss der Reihe „Jüdisch & deutsch“ wieder nach Fellbach kommen möchten?
Nein, ich habe überhaupt nicht gezögert. Der 9. November ist ein ganz besonderer, aber auch sehr schwieriger Tag. Früher sprach man von der „Reichskristallnacht“, heute nennt man es richtigerweise die Reichspogromnacht – der alte Ausdruck klingt fast schön, und das war diese Nacht ganz sicher nicht. Für mich als Tochter zweier Holocaust-Überlebender und Ehefrau von einem Holocaust-Überlebenden ist dieser Tag immer ein Anlass zum Innehalten und Nachdenken – über das, was geschehen ist, und darüber, wie wir heute damit umgehen, über 80 Jahre später. Darum bedeutet mir dieser Abend sehr viel. Gleichzeitig fällt es mir nie leicht, an diesem Datum aufzutreten, weil die Erinnerung an so viel Leid und Verlust
mitschwingt. Viele, die damals betroffen waren, leben nicht mehr, um davon zu erzählen – also sehe ich es als eine Art Aufgabe, ihre Stimmen weiter zu tragen. Trotzdem habe ich nicht gezögert, weil ich mich freue, an einem Abend mitzuwirken, an dem Menschen zuhören wollen, sich interessieren und bereit sind, über Vergangenheit und Gegenwart ins Gespräch zu kommen.
Welche Lieder sind zu hören, mit welchem Schwerpunkt oder Hintergrund wurden diese ausgewählt?“
Es ist eine sehr schöne Mischung von Liedern, die alle auf unterschiedliche Weise mit jüdischem Leben und jüdischer Geschichte verbunden sind. Ich singe zum Beispiel Lieder von jüdischen Komponisten aus den 1920er Jahren wie Mischa Spoliansky oder Werner Richard Heymann – also aus einer Zeit, in der jüdische Künstler in Deutschland enorm zur Unterhaltungskultur beigetragen haben. Dazu kommen einige jiddische Lieder – teils Volkslieder, teils Wiegenlieder aus dem Ghetto – eine Mischung aus folkloristischen und tief gehenden Melodien. Sie zeigen eine Welt, die es so nicht mehr gibt, aber die in der Musik weiterlebt. Und natürlich darf Leonard Bernstein nicht fehlen, den ich besonders liebe – denn ich bin ihm ein paar mal persönlich begegnet. Auch Jacques Offenbach ist dabei, schließlich war auch er ein jüdischer Komponist, der das Musiktheater mit viel Humor und Herz geprägt hat. Insgesamt ist es ein Programm voller Kontraste – ernst und heiter, nachdenklich und lebensfroh – mit vielen kleinen Überraschungen. Deswegen möchte ich Sie alle herzlich einladen!
Der Antisemitismus in Deutschland wächst, und das dürfte nicht nur so ein diffuses Gefühl sein – ist das auch Ihre Einschätzung?
Das Thema Antisemitismus beschäftigt mich sehr, und wir sehen, leider, dass er in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Das ist erschreckend und macht mich sehr traurig. Ich bin ehrlich dankbar, dass meine Eltern den 7. Oktober 2023 nicht mehr miterleben mussten – sie wären tief betroffen und schockiert. Ein Holocaust pro Lebenszeit reicht.
Wie erleben Sie aktuell die Situation?
Ich spüre heute eine andere Atmosphäre. Vor Synagogen steht Polizei, und ich überlege mir manchmal zweimal, ob ich an einem Feiertagsgottesdienst teilnehme. Dabei sollte das eigentlich selbstverständlich sein: Wenn ein Christ in seine Kirche gehen möchte oder ein Muslim in seine Moschee, sollte niemand Sicherheitsdienste überall brauchen oder Angst haben müssen. Wir dürfen nicht leben müssen, als sei das normale Alltagsrealität. Mir geht es darum, dass wir wachsam bleiben gegenüber Gewalt und Hass – egal, gegen wen sie sich richten – und dass wir die Menschlichkeit nicht verlieren. Musik kann hier einen besonderen Beitrag leisten: Sie erinnert, sie verbindet und hilft, das Menschliche zu bewahren. Das ist mein persönlicher Beitrag.
Eigentlich sind Sie ja im „Unruhestand“, aber wenn man Ihr Pensum anschaut, dann scheint Rente für Sie ein Fremdwort zu sein, oder?
Ja, das stimmt – Rente ist für mich tatsächlich ein Fremdwort. Solange ich singen und spielen kann und ich noch gefragt bin, möchte ich weitermachen. Musik gehört einfach zu meinem Leben, und sie hält mich – hoffentlich – noch jung!
Was steht in den kommenden Monaten an?
Im Moment freue ich mich besonders auf das Konzert am 9. November, das mir sehr am Herzen liegt. Danach gibt es eine kleine Pause, bevor ich wieder in Proben gehe. Und im kommenden Jahr, also 2026, kehre ich nach Stuttgart zurück – in gleich zwei Produktionen.
In welchen Rollen in welchen Stücken sind Sie denn dann zu sehen und zu hören?
Zum einen in „La Sonnambula“, in der wunderbaren Inszenierung von Jossi Wieler. Ich darf wieder die Teresa singen, die Pflegemutter der Schlafwandlerin – eine Rolle, die mir sehr viel Spaß macht. Außerdem werde ich in einer neuen Produktion von Poulencs „Dialogues des Carmélites“ die Partie der Mère Jeanne übernehmen, unter der musikalischen Leitung von Cornelius Meister. Ich freue mich auf diese Aufgaben sehr – auf das Wiedersehen mit vertrauten Kollegen und natürlich auf das Publikum in Stuttgart, das für mich immer etwas Besonderes ist. Und wer weiß – vielleicht führt mich der Weg bald auch wieder nach Berlin, London oder Paris. Aber darüber darf man im Moment noch nichts verraten.
Der bekannte Stuttgarter Schauspieler Walter Sittler und seine Kollegin Leslie Malton, die in den vergangenen Wochen kurz hintereinander in Fellbach gastiert haben, sind wie Sie in Amerika geboren. Während Sittler, wie er uns im Interview sagte, wegen der Lage in Amerika unter Trump derzeit auf einen Besuch bei seinem Bruder verzichtet, war Leslie Malton kürzlich wieder dort, eben weil sie ihre Familie sehen möchte. Wie ist es bei Ihnen?
Seit meine Eltern gestorben sind, fliege ich nur ein- bis zweimal im Jahr in die USA, außer für Gastspiele wie vor zwei Jahren mit der Pittsburgh Oper. Ich freue mich immer, wenn ich das noch kombinieren kann, dass ich wie in New York oder wie damals in Santa Fe das Singen mit dem Treffen mit meinen lieben drei Brüdern und ihren Familien und meiner besten Freundin, die noch in New Jersey lebt, verbinde. Sie kam zu vier von meinen acht Vorstellungen, als ich in New York an der Metropolitan Oper sang, und sie hat alle meine Vorstellungen in Pittsburgh gesehen.
Publikumsliebling und Kammersängerin
Herkunft
Helene Schneiderman wurde am 15. November 1954 in Flemington, New Jersey, geboren. Ihre Eltern Pinek und Judith Schneiderman waren Überlebende der Shoa und beide dem Gesang eng verbunden. Nach ihrer Ausbildung in den USA und einem Engagement in Heidelberg kam Helene Schneiderman 1984 an die Staatsoper Stuttgart, wo sie sämtliche Rollen ihres Fachs verkörperte und mit ihrer Stimme und ihrem Charme zum Publikumsliebling avancierte. 1998 wurde sie zur Kammersängerin ernannt.
Gesprächskonzert
Bei ihrem Auftritt in Fellbach erzählt sie von ihrer Herkunft und von ihrem Werdegang als jüdische Künstlerin in Deutschland und singt passend zum Anlass jiddische Volkslieder sowie Lieder jüdischer Komponisten wie Gustav Mahler. Unterstützt wird sie von ihrem langjährigen musikalischen Partner, dem exzellenten Pianisten und Liedbegleiter Götz Payer. Beginn ist am Sonntag, 9. November, um 18 Uhr in der Musikschule Fellbach am Guntram-Palm-Platz. Karten im Vorverkauf im i-Punkt im Rathaus Fellbach, Telefon 0711/580058.