Wassertropfenfolter


Wolfgang Völzke schildert, wie er am 25.Juni 1946 von zwei Männern in schwarzen Ledermänteln zu Hause abgeholt und in das Gefängnis der sowjetischen Geheimpolizei NKWD in der Prenzlauer Allee gebracht worden war. Wie er dort über drei Monate systematisch gefoltert wurde, indem man ihn immer nachts zu Verhören holte, ihn mit Gewehrkolben schlug. Und wie man ihn einmal in jenes Kellerloch steckte, in dem andere vor ihm mit der Wassertropfenfolter zum Wahnsinn getrieben worden waren. Und das alles, weil er im jugendlichen Leichtsinn seiner 17 Jahre in der Zelle noch einmal das getan hatte, weshalb er auch verhaftet worden war: Er hatte ein Freiheitsgedicht geschrieben.

Elf Jahre alt war er, als der Krieg begann. Elf Jahre, als er in die Hitlerjugend eintrat, um zu tun, was alle Gleichaltrigen taten: mitlaufen. Wäre nicht der Krieg ausgebrochen, sagt Völzke, dann hätte er nicht lange gebraucht, um zu begreifen, dass er nicht gleichzeitig Spinoza lesen und in der Hitlerjugend sein konnte. So aber erwachten seine Aufmüpfigkeit und sein Freiheitsdrang erst unter den Augen des sowjetischen Geheimdienstes.

24 Todesurteile werden vollstreckt


Von Berlin wurde er ins Straflager Sachsenhausen verlegt. Die Sowjets nutzten die ehemaligen Konzentrationslager, um alle zusammenzutreiben, die sie für Feinde hielten. In Sachsenhausen lernte Wolfgang Völzke den Lehrer Georg Thiedig kennen. "Wir rochen uns" sagt er. Der Jüngere war hungrig nach dem Wissen, das ihm einen Weltkrieg lang vorenthalten worden war. Und der Ältere begierig darauf, durch Unterrichten vergessen zu können, dass zuhause zwei Töchter ohne ihn groß wurden.

Und so kam Wolfgang Völzke durch Georg Thiedig zu der Theatergruppe, die der internierte Schauspieler Heinrich George dort gegründet hatte. Außerdem wurde er Melder in der Kommandantur des Lagers. Er hatte schon im Zug gesessen, um nach Polen deportiert zu werden, wurde aber im letzten Moment zurückgeholt. Schließlich verlegte man ihn nach Waldheim, wo er neben Thiedig weitere Freunde fand. Vielleicht lag es an all den glücklichen Fügungen, dass er den kurzen Prozess am 5.Juni 1950 zunächst nicht ernst nahm. Dass in den Waldheimer Prozessen zwischen dem 21. April und dem 29. Juni 1950 31 Todesurteile gesprochen und 24 davon fünf Monate später auch vollzogen wurden, wusste er zu diesem Zeitpunkt nicht.

Das alles erzählt Wolfgang Völzke nach seiner Entlassung der Kampfgruppe um Benda und Hildebrandt. Und er übergibt ihnen seinen wertvollsten Schatz: das Poesiealbum, das er während der Buchbinderlehre in Waldheim gefertigt und in die Effektenkammer zu den Sachen geschmuggelt hat, die er bei der Entlassung zurück bekam. In dem gefütterten Umschlag befinden sich die Listen, derer Völzke als Melder in Sachsenhausen heimlich habhaft werden konnte. Darauf stehen die Namen der Toten. Jahrelang hat er die Liste in Regenrinnen, Mauerritzen und Aborten versteckt. Dass die Historiker heute sicher wissen, dass rund 12.000 Häftlinge in sowjetischen Straflagern starben, verdanken sie Schmugglern wie Völzke.