Jüngst hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann verkündet, Baden-Württemberg nehme tausend Mädchen und junge Frauen auf, die von den IS-Terrormilizen vergewaltigt wurden. Das Unterfangen gestaltet sich nun schwieriger als zunächst gedacht.

Stuttgart - Das Vorhaben gestaltet sich schwieriger als gedacht, doch Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist zuversichtlich, seine Hilfszusage einhalten zu können. Auf dem Flüchtlingsgipfel Mitte Oktober hatte Kretschmann angekündigt, über ein Sonderkontingent tausend Mädchen und junge Frauen aus dem kurdischen Teil des Iraks und aus Syrien in Baden-Württemberg aufzunehmen – Opfer oft vielfacher sexueller Gewalt durch Angehörige der Terrormiliz des „Islamischen Staats“ (IS). Die zum Teil schwer traumatisierten Frauen sollen in Baden-Württemberg medizinische Hilfe und psychologische Beratung erhalten. Nach der Kabinettssitzung am Dienstag räumte Kretschmann ein, dass es bei der Umsetzung Probleme gebe, zumal auch der Bund und internationale Stellen einbezogen seien. Es sei ihm aber ein Herzensanliegen, den misshandelten Mädchen und Frauen zu helfen. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, unser humanitäres Versprechen einzulösen.“

 

Nach Angaben Kretschmanns wurden inzwischen 150 Gewaltopfer identifiziert, die dringend einer Behandlung bedürfen. Weitere 500 sind namentlich erfasst. Drei Ärzte müssen unabhängig voneinander die Hilfsbedürftigkeit feststellen. Die Mädchen und Frauen gehören vor allem zur Glaubensgemeinschaft der Jesiden, einer im Nordirak und Nordsyrien ansässigen religiösen Minderheit mit mehreren Hunderttausend Angehörigen. Das Jesidentum ist eine monotheistische, vor allem auf mündlicher Überlieferung beruhende Religion. Die IS-Terroristen betrachten die Jesiden als Ungläubige und zeigen keine Hemmungen, diese Menschen zu töten – oftmals mit bestialischer Grausamkeit.

Unerträgliche Fotos

Bei der Klausurtagung der Grünen-Landtagsfraktion in Berlin war Kretschmann mit Vertretern des Zentralrats der Jesiden in Deutschland in Kontakt gekommen. Bei dieser Gelegenheit bekam er auch eine Dokumentationsmappe mit Opfern der IS-Terroristen zu Gesicht. Mehrfach schon berichtete Kretschmann, er habe die Mappe sofort wieder zugeklappt, so unerträglich seien die Fotos gewesen.

Dem Vernehmen nach gestaltet sich vor allem die Ausstellung der Visa schwierig. Das deutsche Konsulat in Erbil, der Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan im Irak, ist personell auf eine so große Zahl von Visaanträgen nicht ausgestattet. Nach der Visa-Affäre zu Zeiten des früheren Außenministers Joschka Fischer, die im Jahr 2000 durch eine großzügige Visa-Erteilung in der Ukraine ausgelöst worden war, sind die deutschen Diplomaten gehalten, Reisepapiere wieder gründlich zu prüfen. In Stuttgarter Regierungskreisen war zu erfahren, pro Woche könnten nur wenige Visa-Anträge bearbeitet werden. Das für die Betreuung der Gewaltopfer in Baden-Württemberg nötige Geld ist hingegen vorhanden. Dafür können Bundesmittel verwendet werden, welche die Länder bei der jüngsten Ministerpräsidentenkonferenz für sich herausschlagen konnten. Kretschmann beteuerte, es sei richtig gewesen, das Sonderkontingent anzubieten. „Das kann überhaupt kein Maßstab sein, wie schnell und wie gut wir das hinbekommen. Selbst, wenn wir nichts hinbekämen, wäre es den ernsthaften Versuch wert gewesen.“ Stuttgart, Freiburg und Schwäbisch Gmünd haben sich inzwischen angeboten, Kinder und Frauen aus dem Sonderkontingent aufzunehmen. Die Universitätsklinika und die Kirchen signalisieren laut Kretschmann ebenfalls ihre Unterstützung.

Bilanz des Flüchtlingsgipfels

Zusammen mit Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) zog der Ministerpräsident eine vorläufige Bilanz des Flüchtlingsgipfels vom 13. Oktober. Mit 26 000 Flüchtlingen seien in diesem Jahr doppelt so viele Menschen nach Baden-Württemberg gekommen wie noch 2013. Im Vergleich zu 2011 sogar fünf Mal soviel.

Bei dem derzeitig hohen Flüchtlingszugang rechnet die Landesregierung mit einem Bedarf von 6000 regulären Erstaufnahmeplätzen. Zusätzlich sollen befristet 3000 weitere Plätze geschaffen werden. Ministerin Öney sagte, am Freitag werde die Regierung mit den Kommunalverbänden über die Anhebung der pauschalen Kostenerstattung reden.

Zudem hat Grün-Rot für die Jahre 2015 und 2016 ein Wohnbauprogramm für Flüchtlinge auf den Weg gebracht. Es ist mit insgesamt 30 Millionen Euro ausgestattet. Zusätzliches Geld gibt es auch für den Flüchtlingsrat Baden-Württemberg und die psychosozialen Zentren, die sich um Folteropfer und traumatisierte Flüchtlinge kümmern. Das Integrationsministerium arbeitet derzeit an einem Sprachförderkonzept für Flüchtlinge.