Viele Jahre gab es im Kreis keine Außenstelle von Deutschlands größter Opferhilfeorganisation. Jetzt hat sich eine Doppelspitze gefunden. Doch der Verein kämpft um seine Zukunft.

Ludwigsburg : Anna-Sophie Kächele (ask)

Fünf Anrufe hat Sonja Beurer an diesem Morgen bekommen. Zwei zum Thema Vergewaltigung, zwei zu häuslicher Gewalt, einen zu Stalking. Es sind keine leichtverdaulichen Angelegenheiten, zu denen die neuen Außenstellenleiterinnen Sonja Beurer und ihre Stellvertreterin Tanja Leonhard beraten und Präventionsarbeit leisten. Vier Jahre lang hat es im Kreis Ludwigsburg keine Außenstelle von Deutschlands größter Opferhilfeorgansation Weisser Rings gegeben – seit Mai übernimmt die Doppelspitze die ehrenamtliche Leitung und wiederbelebt die Arbeit des Weissen Ringes im Kreis.

 

Dass es im Landkreis Ludwigsburg für Kriminalitätsopfer wieder eine Anlaufstelle gibt, zeigt sich bereits. Während der Weisse Ring 2024 noch 24 Fälle aus dem Kreis Ludwigsburg zählte, sind es im laufenden Jahr schon 82. Aus welchem Grund die Menschen die Opferhilfe aufsuchen, ist ganz unterschiedlich. Mobbing, Stalking, Lovescamming – eine Betrugsmaschen, bei der die Täter eine emotionale Beziehung vortäuschen, um an Geld zu gelangen. Und in drei von vier Fällen: partnerschaftliche Gewalt. „Davon sind auch erschreckend oft junge Frauen Opfer“, sagt Sonja Breuer, die erst kürzlich eine 16- und 18-Jährige betreut hat.

„Nicht gesucht aber gefunden“

Der Weisse Ring hört zu, berät, vermittelt Hilfsangebote, zahlt eine juristische Erstberatung oder auch mal einen Umzug. Dabei reicht es bei weitem nicht aus, den Opfern einen Flyer in die Hand zu drücken. „Die Menschen sind oft traumatisiert und kaum in der Lage, ihr eigenes Leben zu bestreiten“, sagt Tanja Leonhard. Doch wie kommen die zwei Frauen dazu, das anspruchsvolle Ehrenamt zu übernehmen?

Sonja Beurer hat 50 Jahre in der Verwaltung der Stadt Stuttgart gearbeitet. Mit der Pension hat sich die Sachsenheimerin eine neue Aufgabe gesucht. Wie bei ihrer Kollegin hat sie eine Zeitungsanzeige auf die Idee gebracht, sich beim Weissen Ring zu engagieren. Nach der ersten von drei Hospitationen wusste sie: „Das ist das was ich will – eine sinnstiftende Aufgabe.“ Tanja Leonhard war 25 Jahre lang bei Mercedes im Marketing und hat währenddessen in ihrer Gemeinde ehrenamtlich den Sprachunterricht für Geflüchtete aufgebaut. Eine Abfindung ermöglichte es ihr, früher in Rente zu gehen. „Sonja und ich haben uns nicht gesucht, aber gefunden“, sagt sie.

Weisser Ring sucht Mitglieder und Ehrenamtliche

Der Weisse Ring hat 37 Außenstellen in Baden-Württemberg – „wir versuchen eigentlich in jedem Landkreis eine zu haben“, sagt der Landesvorsitzende Hartmut Grasmück. Für jede davon Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, würde aber die Finanzen sprengen – auch im Kreis Ludwigsburg fehlt ein eigenes Büro. Die frühere Ludwigsburger Stelle war in der Kreissparkasse untergebracht, nach Jahren ohne eine Besetzung gibt es diese Möglichkeit nicht mehr. „Bei solchen Gesprächen kann man nicht in ein Café gehen“, erklärt Leonhard. „Da braucht einen geschützten Rahmen.“

Heute fragen Beurer und Leonhard bei Kirchen an, in Asperg dürfen sie die Räume eine sozialen Dienstes nutzen. Bei der Stadt Ludwigsburg überlegen die Verantwortlichen derzeit, welchen barrierefreien Raum sie dauerhaft zur Verfügung stellen können. Bei jedem Gespräch sind zwei Ehrenamtliche dabei. Bislang gibt es davon inklusive der Leitung acht – das Team soll weiter wachsen.

Wie andere, nicht staatlich finanzierte Organisationen auch, kämpft der Weisse Ring mit gegenläufigen Entwicklungen. Die Beratungsfälle steigen, die Mitgliedsbereitschaft, das Ehrenamt, und die Spendenbereitschaft lassen nach. Gerade die Einnahmen aus Nachlässen schrumpfen zusammen. „Wenn sich nichts ändert, kann der Weisse Ring irgendwann nicht mehr in dieser Form seine Leistungen anbieten“, warnt der Landesvorsitzende Hartmut Grasmück. Zu Hochzeiten waren es einmal 70.000 Mitglieder, heute sind es noch 40.000. Gerade davon bräuchte es wieder mehr.

Ausbildung Ehrenamtliche

Hospitation
Menschen, die sich ehrenamtlich beim Weissen Ring engagieren möchten, durchlaufen drei Hospitationen. Danach folgt ein dreitätiges Grundseminar und ein Aufbauseminar. Der Weisse Ring hat eine eigene Akademie in Mainz. Wenn möglich sollen Ehrenamtliche jährlich an einer Fortbildung teilnehmen – auch um rechtlich auf dem neuesten Stand zu sein.

Ludwigsburg
Die Außenstelle Ludwigsburg wurde 1987 gegründet. Nach der vorläufigen Schließung 2021 fand sich lange keine neue Leitung.