Die Nationalpartei in Neuseeland hat die Wahl verloren – jetzt verspielt sie ihr Ansehen. Oppositionsführer Simon Bridges und sein ehemaliger Vertrauter Jami-Lee Ross liefern sich eine Schlammschlacht.

Wellington - Als eine von tektonischer Aktivität bedrohte Inselnation auf dem Pazifischen Feuerring ist Neuseeland an Zerstörung, Trümmer, Schutt und Asche gewöhnt. An Vulkanausbrüche, Erdbeben, und Schlammlawinen. Derweil tobt allerdings eine Schlammschlacht im Land der Kiwis, in der die politischen Widersacher mit Dreck nur so um sich werfen.

 

Dabei ist die Politik im Land der Kiwis meistens recht harmlos gewesen. Hier ein Fauxpas, dort ein beim Lügen ertappter Premierminister, hin und wieder ein kleiner parteiinterner Coup, ansonsten regierte die Normalität, in der Politiker in der Opposition und im Wahlkampf viel versprechen, aber nicht viel davon halten, wenn sie an die Macht kommen.

Doch jetzt erschüttert eine Explosion seismischen Ausmaßes das Parlament in Wellington und hält die ungläubig staunende Nation in Atem. Es geht um Geld, Stimmenkauf, Spendenbetrug, Erpressung, Beleidigung, Rufmord, Lügen, Moral, Sex, Sex und nochmal Sex – und um das Ende einer Männerfreundschaft, eine Implosion, die mit hoher Wahrscheinlichkeit das politische Aus für Oppositionsführer Simon Bridges nach sich ziehen wird. Einen derartigen Skandal hat es, da sind sich politische Beobachter einig, in Neuseeland noch nie gegeben.   Heimlich gejubelt wird trotzdem.

Die Regierungskoalition kann ihr Glück kaum fassen

Die von der Labour-Partei und Premierministerin Jacinda Ardern angeführte Regierungskoalition kann ihr Glück kaum fassen, denn die Nationalpartei, die vor einem Jahr trotz des höchsten Stimmenanteils in die Opposition gedrängt wurde, zerstört sich selbst. Erhöhung der Mineralölsteuer, Wohnungsnot, Hunger, drohender Lehrerstreik, alles kein Thema. Kein Journalist fragt Simon Bridges, den nach der verlorenen Parlamentswahl ins Amt gehievten Vorsitzenden der oppositionellen Konservativen, nach der Tagespolitik. Die einzige Frage ist, ob der ohnehin unpopuläre Jurist die Schlammschlacht überleben kann, die er indirekt selbst ausgelöst hat und durch seinen mittlerweile zurückgetretenen und von der Partei ausgeschlossenen Vertrauten Jami-Lee Ross mit der Veröffentlichung heimlich aufgezeichneter Gespräche gefüttert wird.

Die Fragen, die gestellt werden, sind: Wer lügt, genauer: wer lügt mehr? Ist Bridges so korrupt, wie Ross behauptet? Ist Ross ein Sexmonster? Wie lange sind die mit versteinerten Mienen dastehenden Kollegen noch bereit, den von einer Peinlichkeit in die andere tapsenden Parteichef noch zu stützen?   Derzeit ist kein Ende des aufsehenerregenden Säbelrasselns in Sicht, und egal, wer am Ende Recht hat, von dem bereits angerichteten Schaden wird sich die Nationalpartei nur schwer erholen.

Von wegen psychisch krank – nur rachsüchtig

Simon Bridges, dem Führungsqualitäten, Souveränität und Sprechtalent völlig abgehen, muss sich eigentlich über seine eigene Dummheit in den Allerwertesten beißen. Denn der Ball kam nur ins Rollen, weil er öffentlich und unter Einschaltung des  Wirtschaftsberatungsunternehmens PwC nach einem Verräter suchte, der seine zwei Tage später ohnehin veröffentlichten Reisekosten und andere Ausgaben vorab den Medien zugespielt hatte. Dies zog eine offizielle Untersuchung nach sich, weil sich der Parlamentspräsident genötigt sah, sich und andere Verdächtige reinzuwaschen.

Gleichzeitig gab Bridges bekannt, Jami-Lee Ross habe aus gesundheitlichen Gründen eine Auszeit genommen mit dem Hinweis auf eine mentale Krise. Die Gründe seien „peinlich“.  

Psychische Probleme als peinlich zu bezeichnen, löste wiederum einen Proteststurm von Hilfsorganisationen nach sich, die Tag und Nacht im Einsatz sind, um die hohe Selbstmordrate im Land zu senken. Als dann Bridges‘ angeforderter Bericht feststellte, man habe die undichte Stelle nicht eindeutig identifizieren können, aber alles deute auf Ross hin, präsentierte sich der Beschuldigte am nächsten Tag mopsfidel vor den Medien in Wellington und beschuldigte Bridges als korrupt. Er schilderte im Detail, wie der Vorsitzende ihn aufgefordert habe, die 100 000-Dollar-Spende eines reichen chinesischen Geschäftsmanns in mehrere kleinere Spenden aufzusplitten, damit sie als anonyme Spenden verbucht werden könnten.

Der eine bezichtigt den anderen der Lüge – und umgekehrt

Ross erzählte von Audioaufzeichnungen, die er der Polizei übergeben würde, und von seinem Nervenzusammenbruch. Dazu sei es gekommen, als Bridges und dessen Stellvertreterin Paula Bennett ihm gedroht hätten, sie würden mindestens vier Frauen vorführen, die ihm sexuelle Übergriffe vorwerfen würden, und so Ross, „notfalls auch fünfzehn“.

Sowohl Bridges als auch Ross wiesen die gegenseitigen Anschuldigungen vehement zurück und titulierten einander als Lügner. Die Fülle der Tonaufnahmen legt den Verdacht nahe, dass Ross sich auf einem Rachefeldzug befindet und die Demontage von Bridges von langer Hand geplant haben könnte, weil Bridges ihn in der Parteihierarchie nicht hoch genug hievte.   Die ersten Aufzeichnungen, die dann an die Öffentlichkeit drangen, bewiesen nicht eindeutig, dass Bridges den in Spendenfragen kompetenten Ross zum Betrug aufgefordert hatte. Aber andere Passagen warfen solch ein schlechtes Licht auf die Politik im Allgemeinen und den Parteivorsitzenden im Speziellen, dass dieser sich nur schwer davon erholen dürfte.

Es war die Rede davon, dass der chinesische Geschäftsmann als Gegenleistung für die 100 000-Dollar-Spende zwei chinesische Kandidaten auf der Parteiliste erwartete. „Zwei Chinesen wären schön, aber könnte es auch ein Chinese und ein Filipino sein? Was sollen wir tun?“, fragte Bridges. Ross antwortete: „Zwei Chinesen wären wertvoller als zwei Inder.“

Moral und Politik

Um Platz zu schaffen, müssten bisherige Listenabgeordnete ihre Plätze räumen, das wäre laut Bridges „eine ziemlich geldgierige Auswahl“. Die Westküsten-Parlamentarierin Maureen Pugh gab er als „verdammt nutzlos“ schon mal zum Abschuss frei. In einer Reaktion darauf bezeichneten Mitglieder der Nationalpartei Jami-Lee Ross als einen Psychopathen, der für einen verheirateten Mann ziemlich unmoralische Dinge täte.

Tags darauf bestätigten vier anonym bleibende Frauen gegenüber einem Fernsehsender, dass sie Sex mit Jami-Lee Ross hatten. Er sei ein jähzorniger Mann und der Sex sei oft „brutal und frauenfeindlich“ gewesen. Darauf hatte der mutmaßliche multiple Fremdgänger keine Antwort, aber der nächste Akt folgt bestimmt in dieser Geschichte, die – außer der Regierungskoalition – nur Verlierer hat.