Das Europaparlament spricht Ungarn ab, eine Demokratie zu sein. Das könnte auch Folgen auf die Auszahlung der Milliarden haben, die die EU wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit eingefroren hat. Nun wird Premier Orban aktiv.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Ungarn sei keine Demokratie mehr. Zu diesem Ergebnis kommen die Abgeordneten des Europaparlaments. Das Land sei „zu einem hybriden System der Wahlautokratie geworden“, heißt es am Donnerstag in Straßburg gebilligten, nicht bindenden Entschließung. Scharfe Kritik gab es auch an der EU-Kommission. Über Monate hatten die Europaabgeordneten die Behörde in Brüssel aufgefordert, etwas gegen mutmaßliche Rechtsstaatsverstöße in Ungarn zu tun und dem Land womöglich EU-Gelder zu kürzen. Erst nach langem Zögern löste die Kommission schließlich im April den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus aus. Damit können bei Verstößen gegen gemeinsame Grundwerte Zahlungen aus dem EU-Haushalt für Länder gekürzt werden. Eine Entscheidung, ob die Milliarden fließen könnte in diesen Tagen fallen.

 

Orban baut Ungarn nach Belieben um

Seit über einem Jahrzehnt baut Premier Victor Orban er sein Land konsequent zu einem autokratischen System um, ohne von Brüssel ausgebremst worden zu sein. Noch im Frühjahr, nach seinem überraschend klaren Wahlsieg, hatte der selbstbewusste Regierungschef vor allem Spott für die EU übrig. Sein Land sei auf das Geld aus Brüssel überhaupt nicht angewiesen, tönte Orban. Wohl wissend, dass seine teuren Wahlgeschenke ohne die Milliarden aus Brüssel nicht zu finanzieren sind. Er vertraute allerdings darauf, dass auch dieses Mal im Streit ums Geld die EU am Ende einknicken würde.

Doch dieses Mal scheint sich Victor Orban verrechnet zu haben. Ursula von der Leyen betonte in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union am Mittwoch, dass die Gemeinschaft in Zukunft entschiedener gegen Korruption vorgehen wolle. „Es ist die Pflicht und die vornehmste Aufgabe meiner Kommission, die Rechtsstaatlichkeit zu schützen“, sagte die deutsche Kommissionschefin. Das war mehr als die übliche Warnung in Richtung Budapest. Schon im Juli ist in einem Bericht der Behörde die Rede von „einem Umfeld, in dem die Risiken von Klientelismus, Günstlings- und Vetternwirtschaft in der hochrangigen öffentlichen Verwaltung nicht angegangen werden“.

Die Charmeoffensive des Premiers

Die drohenden Sanktionen veranlassten Victor Orban nun zu einer Art politischer Charmeoffensive. So schickte er dieser Tage seine Justizministerin Judit Varga nach Brüssel, um die Einrichtung einer ungarischen Anti-Korruptionsbehörde zu avisieren. Zudem soll es eine Arbeitsgruppe gegen Korruption geben, die auch mit Vertretern aus nicht staatlichen Organisationen besetzt sein soll. Zudem soll die Effizienz der Ausschreibungen für die EU-Fördergelder erhöht werden.

Der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund hält die Ankündigungen für einen großen Bluff des Politikers. „Orban macht Vorschläge, die ihm weiterhin EU-Gelder sichern, ohne die systematische Korruption seiner Freunde und Familie wirklich zu beenden.“, schreibt er auf Twitter und hat sich mit solchen Aussagen im Laufe der Jahre zum Lieblingsfeind der Regierung in Budapest gemacht. Der Politiker geht noch weiter. „Ungarn respektiert nicht die Grundwerte, auf die wir uns alle geeinigt haben“, sagt Daniel Freund und fordert: „Die EU-Kommission darf sich jetzt nicht von Scheinreformen blenden lassen.“

Orban stimmt für Russland-Sanktionen

Orban versucht sich aber nicht nur in Sachen Korruptionsbekämpfung bei der EU-Kommission einzuschmeicheln. Unerwartet hat Ungarn von einer Blockade der Verlängerung von EU-Sanktionen gegen Russland abgesehen. Orban wollte eigentlich erreichen, dass die Strafmaßnahmen gegen drei russische Oligarchen aufgehoben werden. Er hatte zuletzt zum großen Ärger der EU mehrere Sanktionen gegen Russland blockiert oder Änderungen erzwungen. Nun scheint die Not im Hause Orban so groß, dass er sogar seine russischen Freunde vor den Kopf schlägt.