Dagmar Bayer schafft auch in fremden Wohnungen Ordnung, weil es ihr so viel Spaß macht.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)
Stuttgart - Der erste Eindruck von Dagmar Bayers Wohnung ist ein angenehmer. Weiß gestrichene, selbst restaurierte Möbel; ein Sofa mit großen Kissen; an der Wand selbst gemalte Bilder. Die Bücher im Regal sind thematisch und alphabetisch geordnet. Auf dem Schreibtisch liegt "nur das, womit ich mich aktuell beschäftige", betont die gelernte Volkskundlerin – derzeit ein paar Hefte und ein Laptop. Dagmar Bayer, man kann es so sagen, ist die Ordnungsliebe in Person. Sie liebt es, aufzuräumen. Und wenn das in ihrer eigenen Wohnung nicht mehr geht, dann tut sie es eben bei anderen. Als Hobby.

Dagmar Bayer ist Kuratorin im Museum. Ihre Samstagnachmittage aber verbringt sie gelegentlich mit dem Aufräumen in fremden Stuttgarter Wohnungen – gegen ein angemessenes Salär. Die 32-Jährige mag es nicht, "wenn überall etwas liegt, an dem das Auge hängen bleibt, etwas Unerledigtes". Wenn sie Unordnung sieht, überlegt sie automatisch, was dagegen zu tun wäre. Sie ist der Traum aller vom Chaos gestressten Eltern und Lebenspartner und die Lösung für die Probleme von Leuten, die mit ihrer unaufgeräumten Wohnung nicht mehr klarkommen. Bei Messies allerdings hat Dagmar Bayer bisher höchst selten aufgeräumt; vielleicht ist deren Anteil an der Gesamtbevölkerung doch nicht so hoch wie das Fernsehen manchmal glauben macht.

Sprichwörtliche Leichen im Keller


Trotzdem, sagt Bayer, habe in Sachen Ordnung "jeder eine Leiche im Keller". Bei ihr ist das eine mit Klarsichthüllen geordnete "Krustschublade zum Ablegen"; bei ihren Kunden wird die Leiche im Keller manchmal sprichwörtlich. Bayer erinnert sich an eine ältere Dame in einer stilvollen Wohnung. Doch aus deren Keller purzelte einem der Unrat schon beim Öffnen der Tür entgegen. Dagmar Bayer schlug nicht die Hände über dem Kopf zusammen, sondern hat mit größtem Vergnügen ausgemistet. "Der größte Freund des Aufräumers ist der Mülleimer", sagt die Volkskundlerin.

Die Aufräumerin weiß, dass die größte Hürde gleichsam ist, Altes in ebendiesen Mülleimer zu werfen. Erst wenn es den Leuten zu viel wird, es "zum Eklat kommt", wie Bayer es nennt, rufen sie bei ihr an. Das sind Leute, die abends heimkommen und keine Kraft zum Aufräumen haben; bei denen sich die Dinge auf den Tischen und auf dem Boden stapeln und die dann das Gefühl haben, dem nicht mehr Herr zu werden. Den meisten ihrer Kunden gebe sie den Anstoß, endlich wieder Ordnung zu schaffen, sagt Dagmar Bayer. Sie geht systematisch vor: Bei großen Räumen arbeitet sie sich im Uhrzeigersinn voran, und bildet Stapel: Unterlagen für die Steuer, alte Zeitschriften für den Mülleimer, Unterhosen.

Viele haben Probleme mit dem Ordnung halten


So tut sie es auch in der Ein-Zimmer-Wohnung jenes Kunden, der lieber anonym bleiben will. "Das Problem mit dem Ordnung halten haben ja viele", rechtfertigt sich der Physiotherapeut, während sich die Aufräumerin sogleich an die Arbeit macht. Den ersten Termin hat Bayer fürs Grobe genutzt und den Boden freigeräumt, jetzt sind die Garderobe und drei Kleiderschränke dran.

Aus letzteren holt die 32-jährige Helferin Nudelpackungen, einen Werkzeugkoffer sowie einen Gebührenzähler aus recht alten WG-Zeiten heraus. Hosen, Hemden und Pullis legt sie sauber zusammen und stapelt sie auf dem Bett. Ihr Kunde grinst unsicher. "Nach diesem Besuch rutsche ich auf der Messie-Skala wieder ein Stück nach oben", sagt der Mann. Dagmar Bayer lacht und zeigt ihm eine Bundfaltenhose. "Hängen Sie die nicht auf?", fragt sie. "Sollte ich?", erwidert der Mann.

Dagmar Bayer ist die Ordnung gewohnt


Dagmar Bayer ist seit ihrer Kindheit in einem oberschwäbischen Schweinezuchtbetrieb die äußere Ordnung gewohnt und braucht sie als Kontrapunkt zum "Chaos in meinem Leben", wie sie sagt. Deshalb hat in ihrer Wohnung jeder Gegenstand seinen festen Platz; in der Küche stapelt sich kein Geschirr, nichts liegt auf dem Boden herum. "Ordnung", sagt Dagmar Bayer, "ist ein Zeichen von Achtung gegenüber den Dingen".

Vor allem alleinstehende Männer nähmen ihre Dienste in Anspruch, berichtet die 32-Jährige. Ihnen fehle ein Partner als Regulativ. Vielleicht auch die Ordnungsliebe der Aufräumerin: Als Dagmar Bayer sich nach vier Stunden von ihrem Kunden verabschiedet, liegt im untersten Fach des Kleiderschranks ein Stapel Jeans neben kurzen Hosen, darüber Unterhemden neben T-Shirts und Unterzieh-T-Shirts sowie im obersten Fach Pullis und Hemden. "Eben so, wie man sich von unten nach oben anzieht", sagt Dagmar Bayer zufrieden, nachdem sie wieder ein Stück mehr Ordnung in die Welt gebracht hat.