Über die Mafia will niemand öffentlich reden


Die beschuldigten Männer arbeiteten für ihn am Umbau eines Restaurants. Die polizeiliche Vernehmung des Gastwirts wurde vor Gericht zwar erörtert, allerdings ohne auf mögliche Hintergründe der nächtlichen Tat einzugehen. Das Wort "Mafia" jedenfalls tauchte bei dieser Gelegenheit nicht ein einziges Mal auf. Dabei hatte die Stuttgarter Kriminalpolizei, die den mutmaßlichen Tätern vor allem durch überwachte Handys auf die Spur kam, genau darauf abgehoben. "Die Gesamtumstände deuten darauf hin, dass im Hintergrund mafiöse Strukturen für die Tat mitverantwortlich waren", heißt es im Ermittlungsbericht, der dieser Zeitung vorliegt. Zwei der vier Beschuldigten, so ist dort zu lesen, könnten sogenannte "Pentolante" sein – geschultes Personal, das aus Italien anreist, um ein Problem zu lösen, wie einst vor dem Haus von Luigi Ferrara. Weil sich die vier Angeklagten im Fall Felix W. bei den Vernehmungen nach Kräften bemühen, ihre Komplizen nicht zu belasten, geht die Polizei davon aus, "dass sie sich an das Gesetz des Schweigens halten". Aufschlussreicher Lesestoff, könnte man meinen. Doch über die Mafia will niemand öffentlich reden bei der juristischen Aufarbeitung im Landgericht. Für Petra Reski, die gerade ein neues Buch mit dem Titel "Von Kamen nach Corleone – Die Mafia in Deutschland" veröffentlicht hat, passt das ins Bild.

Die Journalistin beklagt, dass die gut organisierten Machenschaften italienischer Clans in Deutschland allzu oft verschwiegen – oder mindestens fahrlässig unterschätzt werden. Ein ganzes Kapitel ihres neuen Buchs hat sie Stuttgart gewidmet. Wie selbstverständlich sich die kalabrischen Mafiosi dort bewegen, lege nicht zuletzt die Wahlfälschungsaffäre um den römischen Senator Nicola di Girolamo nahe, der zwischenzeitlich als mutmaßlicher Protagonist eines gewaltigen Geldwäscheskandals der ’Ndrangheta festgenommen wurde. Besonders gute Drähte hatte der Senator nach Stuttgart. Der politisch völlig unbekannte di Girolamo, der meist in Brüssel residierte, hatte im April 2008 bei der Parlamentswahl als Auslandsitaliener kandidiert und auf Anhieb rund 25.000 Stimmen eingefahren.

Die meisten waren nach Ansicht italienischer Fahnder von der ’Ndrangheta gekauft, besonders viele davon im Raum Stuttgart. Die Sammelstelle für die gefälschten Wählerstimmen befand sich nach Erkenntnissen römischer Staatsanwälte in einem Inter-Mailand-Fanclub bei Stuttgart. Bisher gelang es den deutschen Fahndern meistens nur, einzelnen Mafiosi konkrete Delikte nachzuweisen. An die Organisation dahinter kamen sie nicht heran. "Wenn wir Hinweise oder Hilfeersuchen aus Italien bekommen, reagieren wir sehr schnell", sagt Horst Haug, Sprecher des Landeskriminalamts. Genügt das bei einem Gegner, der Deutschland nicht mehr nur als Rückzugsgebiet, sondern verstärkt als Operationsgebiet nutzt? Nach Meinung italienischer Mafiafahnder sind die Deutschen zu weich bei ihren Ermittlungen. Die bewegliche ’Ndrangheta werde in ihrem Entfaltungsdrang kaum gestört. Für Manfred Klumpp, den Landesvorsitzenden des Bundes deutscher Kriminalbeamter, ist dies kaum verwunderlich. "Statt Mafia heißt das große polizeiliche Thema derzeit im Land Stuttgart 21", sagt er gallig und ergänzt: "In Sachen Mafia verfügt die baden-württembergische Polizei bisher nur über stumpfe Schwerter!" Anders als in Italien sei die Zugehörigkeit zur Mafia in Deutschland kein strafbares Delikt. "Wer uns den Zugriff auf Telefon- und Internetverbindungsdaten verbietet, wie jüngst das Bundesverfassungsgericht, erstickt erfolgreiche Mafiaermittlungen schon im Keim. Auch bei Geldwäscheverdacht sind wir machtlos, solange es nicht wie in Italien die Beweislastumkehr gibt", sagt Klumpp. "Man muss sich schon die Frage stellen, ob diese stumpfen Schwerter vielleicht nicht doch auch politisch gewollt sind, wenn dazu noch immer mehr Personal bei der Polizei abgebaut wird."