Auffallend viele Organe werden nicht über die übliche Warteliste vergeben. Die Bundesärztekammer lädt deshalb zum Spitzengespräch ein. Doch die Unikliniken Heidelberg und Freiburg verteidigen das System, da man dadurch mehr Patienten helfe.

Stuttgart - Die Diskussion über die Vergabe von Spendenorganen ist in vollem Gange. Für den heutigen Donnerstag hat der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, kurzfristig ein Spitzengespräch einberufen. Gemeinsam mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation und weiteren Experten soll über das sogenannte beschleunigte Vermittlungsverfahren diskutiert werden.

 

In diesem Verfahren können Kliniken selbst entscheiden, an welche Patienten das Organ eines alten oder kranken Spenders vergeben wird – unabhängig von der Warteliste. Das System ist in die Kritik geraten, da die Zahl der auf diese Weise vergebenen Organe auffällig hoch ist: In den ersten Monaten dieses Jahres sind 40 Prozent aller transplantierten Organe in Deutschland im beschleunigten Verfahren vergeben worden. „Der Sonderfall soll nicht zum Regelfall werden“, sagt nun Montgomery, es gebe allerdings keine Hinweise auf Manipulationen. In einem weiteren Gespräch mit Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) soll in der kommenden Woche beraten werden, „ob wir bei der schnellen Organzuteilung neue Regeln brauchen“, so Montgomery.

Im Transplantationszentrum der Universitätsklinik Heidelberg sieht man das Verfahren zu Unrecht in der Kritik. Das Zentrum steht mit etwa 100 Leberverpflanzungen im Jahr in Baden-Württemberg an der Spitze. Hier ist man über die Zahlen des beschleunigten Verfahrens nicht überrascht. „Die Zahlen ergeben sich auch daraus, dass inzwischen Organe transplantiert werden, die man aufgrund ihres bedenklichen Zustandes vor zehn bis 15 Jahren gar nicht in Betracht gezogen hätte“, sagt der stellvertretende Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik in Heidelberg, Peter Schemmer. Wegen besserer medizinischer Möglichkeiten könnten heute auch diese Organe Leben retten.

Sollte man eine mit Hepatitis infizierte Leber verpflanzen?

„Hinzu kommt, dass die Zahl der Organspender abnimmt, daher versuchen wir, auch solche Organe noch zu nutzen“, sagt Schemmer. Und nicht zuletzt würden die Spender immer älter und immer kränker. Dem kann Benjamin Schoch-Waschow vom Universitätsklinikum Freiburg nur zustimmen. Auch er wundert sich nicht über die hohe Zahl, schließlich lehne auch das Transplantationszentrum in Freiburg immer wieder Organe ab – eben weil sie vermehrt schon alt und krank seien.

Das beschleunigte Vermittlungsverfahren tritt in Kraft, wenn das Spenderorgan bereits Schäden aufweist oder der Spender alt ist. Doch auch für die beschleunigten Verfahren gilt: kein Spenderorgan kommt an Eurotransplant vorbei. Egal ob Herz oder Leber, die Deutsche Stiftung Organtransplantation meldet die Patientendaten direkt an Eurotransplant. Dazu gehören unter anderem Alter, Gewicht, Größe und Krankheitsgeschichte des Patienten. Wird das Spenderorgan also bei Eurotransplant gemeldet und weist die Kriterien für ein beschleunigtes Vergabeverfahren auf, werden zunächst drei Transplantationszentren in der Region angefragt. Lehnen alle drei ab – ihnen werden für die Entscheidung jeweils 30 Minuten eingeräumt –, dann kann die Klinik vor Ort die entnommenen Organe an Patienten vergeben, die sie selbst auswählt. Die Patienten müssen allerdings im Voraus zugestimmt haben, auch ein nicht einwandfreies Organ anzunehmen. Dies sind vor allem Wartende, die kaum eine Chance haben, über die Warteliste an ein Organ zu kommen, und daher die „eingeschränkt vermittelbaren“ Organen, so der Fachjargon, in Betracht ziehen.

Ist der Spender einer Leber beispielsweise an Hepatitis erkrankt, dann kann das Transplantat nicht an jeden Wartenden vergeben werden. „Nur, wenn der Empfänger aufgrund seiner Patientendaten und seiner gesundheitlichen Verfassung die Leber annehmen könnte, kann ihm ein solches Organ überhaupt helfen“, sagt Schemmer. Hat ein Wartender beispielsweise bereits Hepatitis, könne ihm das Organ transplantiert werden. Kommen mehrere Spender in Betracht, wird in Heidelberg jener bevorzugt, der am längsten wartet.

Der Empfänger muss das kranke Organ verkraften können

Üblicherweise zählen vor allem zwei Kriterien bei der Vergabe von Spenderorganen: Dringlichkeit und Erfolgsaussicht. Dabei gilt Schemmer zufolge, dass ein besonders kranker Patient ein besonders gutes Spenderorgan benötigt. Daher kommen die eingeschränkt vermittelbaren Organe auch kaum für Patienten infrage, die aufgrund der Dringlichkeit ganz oben auf der Warteliste stehen. Eine Infektion oder eine zusätzliche gesundheitliche Belastung würden die meisten von ihnen nicht mehr überstehen. „Der Empfänger muss noch Reserven haben“, sagt Schemmer.

Sowohl Schemmer als auch Schoch-Waschow sehen nur geringe Möglichkeiten für die Ärzte vor Ort, das Verfahren nach ihren Wünschen zu beeinflussen. „Die Deutsche Stiftung Organtransplantation meldet die Daten an Eurotransplant, der Chirurg, der das Organ entnimmt, hat damit gar nichts zu tun“, sagt Schemmer. Ob das Organ schnell und regional vergeben wird, entscheidet dann Eurotransplant.

In Heidelberg hat die Zahl der beschleunigten Vermittlungsverfahren nach Klinikangaben nicht zugenommen. Mit knapp 30 Prozent sei die Zahl seit dem Jahr 2007 relativ konstant. „Im aktuellen Jahr liegen wir bei 21 Prozent, die Zahl ist also leicht rückläufig“, sagt Schemmer. Er bedauert, dass durch die aktuelle Diskussion Patienten zusätzlich verunsichert werden. Die Wartelisten würden immer länger, die Spenderorgane hingegen immer weniger und daher immer schlechter. Auch das bedeute mehr beschleunigte Verfahren.