Reportage: Akiko Lachenmann (alm)

„Sehr ärgerlich“, stellt Peter Petersen nüchtern fest und zückt eine Statistik der Deutschen Stiftung Organspende. Sie zeigt, dass die Organspenden im vergangenen Jahr bundesweit von 1200 auf 1046 eingebrochen sind. In seinen Gesprächen mit Angehörigen sei das Thema bisher allerdings nicht aufgekommen. „Wobei das nicht heißen muss, dass die Skandale keinen Einfluss auf die Entscheidungen hatten“, sagt Petersen.

 

Was ihm viel mehr Kopfzerbrechen bereitet, das sind die Debatten, die im Windschatten der Skandale wieder aufleben. Die alten Fragen wie „Wie tot ist hirntot?“ oder „Ist die Organspende am Ende?“, sie geistern wieder durch die Republik. Eine Podiumsdiskussion reiht sich an die nächste, mit altbekannten Gesichtern. Zwei Abendveranstaltungen absolviert Petersen pro Woche.

Vor 50 Jahren stellten sich diese Fragen noch nicht. Man war sich einig: wenn das Herz nicht mehr schlägt, ist der Mensch tot. Doch nach den ersten erfolgreichen Wiederbelebungsversuchen suchte man nach einem anderen Todeskriterium. Im Jahr 1968 schlug eine Kommission der Harvard Medical School das irreversible Koma vor – den sogenannten Hirntod. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer übernahm 1996 die Definition, schon damals begleitet von heftiger Kritik.

Gegen ihr Empfinden gehandelt

Da sind zum einen die KAO-Mütter – KAO steht für Kritische Aufklärung über Organtransplantation. Renate Greinert, ein KAO-Vorstandsmitglied, trat bereits in Fernsehsendungen wie „Hart aber fair“ oder „Tacheles“ auf. Ihre Geschichte macht betroffen. Ihr Sohn Christian erlitt bei einem Verkehrsunfall ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. In einer Klinik in Hannover erklärte ein Arzt ihren Sohn für tot und fragte sie gleichzeitig nach einer Organspende. „Da waren die drängenden Hinweise des Arztes, dass ein anderes Kind sterben müsse, wenn ich nicht zustimme“, schreibt sie auf der KAO-Webseite. „Plötzlich hatte ich die Verantwortung über einen anderen Menschen.“ Sie verließ sich auf die Aussage des Arztes, dass ihr Kind tot sei, und stimmte zu.

In Kommunikationsseminaren werden die Mediziner auf solche Gespräche vorbereitet. Geübt wird mit professionellen Schauspielern, die den Part der Angehörigen spielen. Damit ihr Verhalten auch authentisch ist, lässt man die Schauspieler vorher bei echten Patientengesprächen mithören. Manche Erkenntnis gewinnt man jedoch nur in der Realität: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gerade bei sinnlos erscheinenden Todesfällen – Kinder oder Unfallopfer – Angehörige dankbar sind, wenn sie dem Tod durch eine Organspende noch etwas Positives abgewinnen können“, sagt Petersen.

Auch alte Menschen kommen für eine Organspende in Frage

Eine Schonfrist kann nicht gewährt werden. Die Angehörigen sollten sich innerhalb von 24 Stunden entscheiden. Sonst sind die Organe irgendwann nicht mehr zu gebrauchen. In etwa 60 Prozent der Fälle stimmen die Angehörigen einer Organentnahme zu. „Wobei die Zahlen irreführend sein können“, sagt Petersen. Denn so mancher Kollege fragt erst gar nicht nach – weil er sich nicht traut oder schlecht informiert ist. „Nicht jeder weiß beispielsweise, dass auch ältere Menschen für eine Organspende infrage kommen“, so Petersen. Gerade in Baden-Württemberg, wo Kliniken ums Überleben kämpfen, fällt das Thema manchmal hinten runter. Der Südwesten bildet seit einigen Jahren das Schlusslicht in der Organspendestatistik.

Das neue Gesetz soll dafür sorgen, dass keine Fälle übersehen werden. Transplantationsbeauftragte sollen für ihre Arbeit künftig freigestellt und die Kliniken entsprechend kompensiert werden. Eigentlich eine frohe Botschaft für die Transplantationsmedizin, wären da nicht die Organspendeskandale. Sie kamen ans Licht, als man gerade begann, neuen Mut zu schöpfen.

Was ist der Hirntod?

„Sehr ärgerlich“, stellt Peter Petersen nüchtern fest und zückt eine Statistik der Deutschen Stiftung Organspende. Sie zeigt, dass die Organspenden im vergangenen Jahr bundesweit von 1200 auf 1046 eingebrochen sind. In seinen Gesprächen mit Angehörigen sei das Thema bisher allerdings nicht aufgekommen. „Wobei das nicht heißen muss, dass die Skandale keinen Einfluss auf die Entscheidungen hatten“, sagt Petersen.

Was ihm viel mehr Kopfzerbrechen bereitet, das sind die Debatten, die im Windschatten der Skandale wieder aufleben. Die alten Fragen wie „Wie tot ist hirntot?“ oder „Ist die Organspende am Ende?“, sie geistern wieder durch die Republik. Eine Podiumsdiskussion reiht sich an die nächste, mit altbekannten Gesichtern. Zwei Abendveranstaltungen absolviert Petersen pro Woche.

Vor 50 Jahren stellten sich diese Fragen noch nicht. Man war sich einig: wenn das Herz nicht mehr schlägt, ist der Mensch tot. Doch nach den ersten erfolgreichen Wiederbelebungsversuchen suchte man nach einem anderen Todeskriterium. Im Jahr 1968 schlug eine Kommission der Harvard Medical School das irreversible Koma vor – den sogenannten Hirntod. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer übernahm 1996 die Definition, schon damals begleitet von heftiger Kritik.

Gegen ihr Empfinden gehandelt

Da sind zum einen die KAO-Mütter – KAO steht für Kritische Aufklärung über Organtransplantation. Renate Greinert, ein KAO-Vorstandsmitglied, trat bereits in Fernsehsendungen wie „Hart aber fair“ oder „Tacheles“ auf. Ihre Geschichte macht betroffen. Ihr Sohn Christian erlitt bei einem Verkehrsunfall ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. In einer Klinik in Hannover erklärte ein Arzt ihren Sohn für tot und fragte sie gleichzeitig nach einer Organspende. „Da waren die drängenden Hinweise des Arztes, dass ein anderes Kind sterben müsse, wenn ich nicht zustimme“, schreibt sie auf der KAO-Webseite. „Plötzlich hatte ich die Verantwortung über einen anderen Menschen.“ Sie verließ sich auf die Aussage des Arztes, dass ihr Kind tot sei, und stimmte zu.

Erst später wurde ihr klar, dass sie gegen ihr eigentliches Empfinden gehandelt hatte. Sie fühlt sich manipuliert. „In einer existenziellen Krise zu so einer Entscheidung gezwungen zu werden, das ist für mich der eigentliche Skandal“, sagt sie. Renate Greinert ist heute der Überzeugung, dass ihr Kind nicht tot war, sondern im Sterben lag. „Er starb auf dem Operationstisch, nachdem er vom Kehlkopf bis zum Schambein aufgeschnitten worden war“, sagt sie. Darüber sei sie bis heute nicht hinweg.

In dieselbe Kerbe schlägt Paolo Bavastro. Dem Internisten aus Stuttgart ist Peter Petersen schon mehrmals begegnet, zuletzt in Oberndorf am Neckar bei der Podiumsdiskussion der Ökumenischen Hospizgruppe „Organspende – was tun?“.

Anthroposoph wählt markige Worte

Bavastro, ein Anthroposoph mit italienischen Wurzeln, wählt stets markige Worte. Das ganze Transplantationssystem sei auf einer Lüge aufgebaut, und der Begriff Hirntod eine „arglistige Täuschung“. „Versagt das Hirn, haben wir es mit einem schwer kranken, sterbenden Menschen zu tun – aber nicht mit einem Toten“, pflegt er zu sagen. Bavastro untermauert seine Aussagen mit einer Erfahrung, die er als Chefarzt in der Filderklinik gemacht hat. Dort sei einer schwangeren Frau mit Hirnversagen, die 84 Tage lang künstlich beatmet wurde, ein gesundes Kind entbunden worden. „Das Kind kann ja wohl nicht von einer Leiche stammen“, sagt er.

Petersen kennt die Kritiker und ihre aufwühlenden Geschichten nur zur Genüge. „Da wird höchst emotional debattiert“, sagt er. Das entspricht ganz und gar nicht seinem Geschmack. Trotzdem nimmt er jede Einladung an und trägt unermüdlich vor, warum der Hirntod als Todesdefinition weltweit akzeptiert wird. „Ich muss diese Leute ernst nehmen, solange sie mit ihren Botschaften Menschen davon abhalten, anderen zu helfen“, sagt Petersen. Viele andere Vertreter der Transplantationsmedizin ignorieren Diskussionsrunden dieser Art – mit der Haltung: „Das tue ich mir nicht an.“

Vor wenigen Jahren hatte Petersen noch Diabetikern Inselzellen transplantiert. Den Operationstisch hat der Mediziner erst einmal gegen den Schreibtisch eingetauscht. Wenn er nicht gerade Vorträge für Podiumsdiskussionen konzipiert, koordiniert er Arbeitskreise, schreibt Rundmails, organisiert Veranstaltungen. Den weißen Arztkittel legt er trotzdem niemals ab. Es könnte jederzeit wieder so weit sein.