Hannes Seybold ist 16 und hat ein Spenderherz. Die Transplantation fällt mitten in die Diskussionen über den Organspende-Skandal. Die hier offenbarten Praktiken bereitet ihm Unbehagen.

Stuttgart - Viele Bürger sind empört, wenn in der Politik gepfuscht wird, etwa beim EnBW-Deal oder bei Doktorarbeiten. Aber wenn bekannt wird, dass in der Medizin betrogen wird, und Menschenleben in Gefahr gebracht werden, überschlagen sich die Emotionen. „So etwas darf nicht passieren! Das ist absolut nicht in Ordnung“, sagt Sabine Seybold. Sie ist die Mutter des 16-jährigen Hannes in Nellingen-Oppingen (Alb-Donau-Kreis), der seit vier Jahren mit einem Spenderherz lebt. „Glücklicherweise war ich kein Betroffener des Skandals“, stellt der junge Mann fest.

 

Hannes ist in Ulm zur Welt gekommen. Sechs Monate nach seiner Geburt stellen die Ärzte bei dem Säugling Krebs fest. Eine Welt bricht zusammen. Das Baby, nicht größer als 70 Zentimeter, erhält eine Stammzellentransplantation. Ein Rückfall folgt dem nächsten. Hoffnung auf Besserung und Heilung – Fehlanzeige. Nach einem langen und endlich doch erfolgreichen Kampf ist der Junge als Spastiker auf einen Rollstuhl angewiesen.

Sehr enges Verhältnis zu den Ärzten

Hannes muss die Welt in den folgenden Jahren von unten im Sitzen erkunden. Doch als er zwölf Jahre alt ist, gibt es den nächsten Schicksalsschlag. Hannes erfährt die volle Wahrheit über seinen Körper: Er werde nur überleben, wenn er ein neues Herz erhält, sagen die Ärzte. Auf Dauer werde er mit seinem eigenen Herzen nicht lebensfähig sein. Hannes verbringt das nächste halbe Jahr in der Universitätsklinik in Gießen, bis er mit einem neuen Herzen wieder nach Hause fahren darf. Die Ärzte dort hatten 24 Jahre zuvor das erste Kinderherz erfolgreich transplantiert. Doch was für die Mediziner fast zur Routine geworden ist, ist für den einzelnen Patienten ein sehr schwieriger Vorgang. Die Transplantation ist oft die letzte therapeutische Option für einen Betroffenen, um weiterzuleben.

Bei der Organvermittlungsstelle Eurotransplant zählt Hannes zu den Patienten mit der höchsten Dringlichkeitsstufe. Die Stiftung im niederländischen Leiden vermittelt Organe, die nach dem Tod der Spender entnommen wurden. „Ich habe ziemlich wenig über die eingehenden Angebote bei Eurotransplant mitbekommen“, erzählt Hannes. „Die Ärzte stehen in ständigem Kontakt mir Eurotransplant und überprüfen, ob die Blutgruppe, das Alter und die Größe der eingehenden Organe mit meinen Daten übereinstimmen; erst wenn das alles passt, bekommt der Patient Bescheid.“ Die höchste Dringlichkeitsstufe bedeutet, dass das nächste in der entsprechenden Klinik eingehende Angebot, das mit den Werten des Patienten übereinstimmt, als erstes auch diesem Patienten unterbreitet wird, erklärt Hannes.

Man baue im Laufe der Zeit ein sehr enges Verhältnis zu den Ärzten auf und sei im ständigen Kontakt. Man vertraue ihnen das Leben des eigenen Kindes an, berichtet die Mutter. „Aber Ärzte sind eben auch nur Menschen. Auch die weißen Engel können korrupt und absolut kalt sein“, sagt sie. Sabine Seybold glaubt nicht, dass stärkere Kontrollen benötigt werden oder ein veraltetes Überwachungssystem an dem Skandal die Schuld trägt. Sie ist der Meinung, dass sich aus politischer Sicht etwas ändern müsste, aber nicht an dem medizinischen System. „Die Leidtragenden sind sonst nur wieder die Ärmeren dieser Welt. Es kann nicht sein, dass man sich mit Geld und guten Kontakten das Ticket für ein neues Leben kaufen kann, und Menschen aus schwächeren sozialen Schichten dann das Nachsehen haben“, sagt sie mit Nachdruck. Stattdessen sollte die Politik für mehr Transparenz sorgen und den betroffenen Patienten einen besseren Einblick gewährleisten, damit zukünftig solche Geschehnisse verhindert werden können.

Lügen und Betrügen

Hannes findet es erschreckend, dass angesichts des aktuellen Skandals laut Umfragen derzeit weniger Menschen ein Organ spenden würden als vorher. Seine Mutter ist ebenfalls alarmiert, sie hat aber keine Zweifel an den Ärzten, die Hannes behandelt haben. Freilich zeige der Skandal deutlich, „wie gut Menschen im Betrügen und Lügen sind“. Hannes findet, in Deutschland wäre ein System wie in Österreich gut. „Jeder sollte einen Organspenderausweis mit sich führen. So hat man automatisch mehr potenzielle Organe zur Verfügung.“ Für die Zukunft wünscht er sich: „Die Gleichberechtigung der Armen und Reichen. Das sollte in diesem Fall doch keine Rolle spielen.“

Hannes selber wurde nach seiner Heimkehr langsam wieder in den Alltag integriert. Dieses Jahr absolvierte er die Werkrealschule und ist jetzt auf der Suche nach einer Ausbildungsstelle. Die vielen Medikamente, die er Tag für Tag zu schlucken hat und die ständigen Routineuntersuchungen erinnern ihn aber noch an die Zeit im Krankenhaus.