Im europäischen Vergleich zählt Deutschland zu den Schlusslichtern in Sachen Organspende. Der Bundesgesundheitsminister will nun eine radikale Lösung.

Berlin - Am Donnerstag trifft der Bundestag eine weitreichende Entscheidung. Soll die Organspende in Deutschland neu geregelt werden? Zur Abstimmung stehen zwei sehr unterschiedliche Konzepte: eine auch von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vertretene Widerspruchslösung und eine unter anderem von der Stuttgarter CDU-Bundestagsabgeordneten Karin Maag verfochtene Zustimmungslösung. Wir haben die wichtigsten Informationen zum Verständnis der Debatte zusammengestellt.

 

Wie groß ist der Handlungsdruck?

Der ist durchaus groß. Im internationalen Vergleich ist Deutschland mit einer Spenderrate von 11,2 Spendern pro einer Million Einwohnern eines der Schlusslichter in Europa. Und das ohnehin nicht hohe Niveau sinkt weiter. Im vergangenen Jahr haben 932 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet. 2018 waren es etwas mehr, nämlich 955 Spender. Der absolute Tiefpunkt wurde 2017 mit nur 731 Spendern erreicht. Parallel zum Bundestrend ist auch in Baden-Württemberg die Zahl der Spender gesunken: von 126 im Jahr 2018 auf 118 im Vorjahr. Etwa 9500 Menschen stehen in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Die meisten warten auf eine Spenderniere.

Was sieht die Widerspruchslösung vor?

Bei der Widerspruchslösung gilt jeder als potenzieller Organspender, sofern er nicht ausdrücklich widerspricht oder die Angehörigen die Organentnahme nicht ausdrücklich anhand eines mutmaßlichen Patientenwillens ablehnen. Deshalb spricht man auch von einer „doppelten Widerspruchslösung“. Die Bürger sollen die Möglichkeit erhalten, ihre Erklärung zur Organspende in ein Online-Register einzutragen.

Was sieht die Zustimmungslösung vor?

Der Gesetzentwurf zur Zustimmungslösung setzt auf eine ausdrücklich dokumentierte Bereitschaft der Bürger zur Spende. Sie soll auch durch bessere Aufklärung über das Thema gefördert werden. Mindestens alle zehn Jahre sollen die Bürger direkt angesprochen werden. Wer ab 16 Jahren einen Personalausweis beantragt, ihn verlängert oder sich einen Pass besorgt, soll auf dem Amt Informationsmaterial bekommen. Auf dem Amt soll man sich auch – zustimmend oder ablehnend – in ein Online-Register eintragen lassen können. Auch Hausärzte sollen über die Organspende – ergebnisoffen – informieren.

Gibt es weitere Anträge?

Es gibt keinen weiteren ausformulierten Gesetzentwurf, aber einen Antrag der AfD. Der lehnt die Widerspruchslösung ab. Es solle mehr Vertrauen in das System der Organspende geschaffen werden. Der Bundestag soll die Regierung auffordern, die Aufsicht über die Vermittlung von Organen auf eine „unabhängige öffentlich-rechtliche Institution“ zu übertragen.

Was bedeuten die Gesetzentwürfe für Patientenverfügungen?

Das ist ein grundsätzliches Problem, das für beide Entwürfe gilt. Wer zur Organspende bereit ist, muss wissen: Die Organspende wird an hirntoten Menschen durchgeführt, bei denen der Kreislauf aufrechterhalten wird. Das aber stünde im Widerspruch zu einer in der Patientenverfügung niedergelegten Bestimmung, wonach Maßnahmen wie der Anschluss an die Herz-Kreislauf-Maschine grundsätzlich ausgeschlossen werden.

Wie läuft die Abstimmung im Bundestag?

Es kann am Donnerstag sehr spannend werden. Im Bundestag wird immer zuerst über den weitestgehenden Antrag entschieden. Das ist die Widerspruchslösung. Erreicht er eine einfache Mehrheit ist er angenommen. Erreicht er diese nicht, wird über den Gesetzentwurf zur Zustimmungslösung abgestimmt. Wieder gilt die einfache Mehrheit. Das kann spannend werden, denn unter Umständen könnte kein Antrag eine Mehrheit finden. Das ginge so: Die Widerspruchslösung könnte abgelehnt werden, weil die Vertreter der Zustimmungslösung und die AfD dagegen stimmen. Danach würde wohl das Lager des Spahn-Antrags die Zustimmungslösung ablehnen und wohl auch die AfD nicht zustimmen – wegen des eigenen Antrags. Und der AfD-Antrag selbst gilt als chancenlos. Dann gäbe es keine Reform der Organspende und die jetzige Regelung bliebe in Kraft. Bislang scheinen die beiden Lager in etwa gleich viele Anhänger zu mobilisieren. Völlig offen ist, wie sich die enttäuschenden aktuellen Spenderzahlen auf das Meinungsbild auswirken werden.