In Deutschland gibt es 50 000 Orgeln und rund 400 Orgelbaubetriebe. Einer davon ist die Werkstätte für Orgelbau Mühleisen GmbH.

Leonberg - Zu Weihnachten jubilieren sie wieder freudig in den Kirchen: die Orgeln. Vor allem wegen der Geburt Christi, aber dieses Jahr vielleicht auch ein bisschen, weil sie jetzt eine besondere Anerkennung bekommen haben: Die Unesco hat den Orgelbau in Deutschland in ihre Liste des „immateriellen Kulturerbes“ aufgenommen.

 

Jessica Mayer prüft die Rasterbretter, in die die Orgelpfeifen hineingestellt werden. Die angehende Orgelbauerin im ersten Ausbildungsjahr braucht dazu Augenmaß und Konzentration. Schließlich müssen die Löcher in den Eichenholzteilen genau an der richtigen Stelle sitzen. Mit der Holzbearbeitung kennt sich die 21-Jährige aus. Nach dem Abitur hat sie die einjährige Holzfachschule an der Gottlieb-Daimler-Berufsschule in Sindelfingen absolviert – eine Voraussetzung für die dreijährige Ausbildung zum Orgelbauer. Die junge Frau, die selbst in Döffingen an der Orgel sitzt, kam über ihren Großvater zur „Königin der Instrumente“: Er spielte sie in Schafhausen 25 Jahre lang.

Eine neue Orgel für die Leonberger Stadtkirche

Die Tradition und die lange Geschichte sind es auch, die die Unesco vor kurzem dazu bewogen haben, den Orgelbau und das Orgelspiel zum immateriellen Weltkulturerbe der Menschheit zu erheben. Der Antrag dazu kam aus Deutschland, dem Land mit einer jahrhundertelangen Orgelbau-Tradition. Hier gibt es laut Bundesregierung 50 000 Orgeln und rund 400 Orgelbaubetriebe.

Einer dieser Betriebe ist die Werkstätte für Orgelbau Mühleisen GmbH in Leonberg. Dort lernt Jessica Mayer ihren künftigen Beruf. Karl-Martin Haap, zusammen mit Rainer Knittel Geschäftsführer des Unternehmens in der Ostertagstraße, erzählt von dem breiten Tätigkeitsfeld seines Berufsstandes. Etwa die Hälfte ihrer Arbeit fließe in den Neubau von Orgeln – und dies in ganz Europa. Dazu kommen Umbauten von Instrumenten, vor allem solche aus der Nachkriegszeit, die nicht ganz der Orgelbau-Kunst entsprachen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es die sogenannte Orgelbewegung, bei der man sich wieder auf die Barockorgel besann. Dabei wurden die damals „modernen“ Kunststoffe und Schaumstoffe verwendet, die keine lange Lebenszeit haben.

„Heutzutage ersetzen die meisten neuen Instrumente solche Nachkriegsbauten“, erzählt der Orgelbaumeister Haap. Das gelte etwa auch für die in der Leonberger Stadtkirche. Dort sammelt die Kirchengemeinde für ein neues Instrument, das laut Karl-Martin Haap etwa eine Million Euro kosten wird. Im Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel baut die Mühleisen GmbH gerade eine große Anlage mit einer Chororgel, einer Hauptorgel und einem Fernwerk. Das Prachtstück wird etwa 2,1 Millionen Euro kosten.

Viele Mühleisen-Orgeln gehen ins europäische Ausland

Die 20 Mitarbeiter der Mühleisen GmbH – übrigens benannt nach Konrad Mühleisen, einem der Gründer und bis 2008 Geschäftsführer des Unternehmens – müssen mobil sein. „Wir haben eine Stammmannschaft von acht Mitarbeitern, die überwiegend in der Werkstatt sind, aber auch einige, die überwiegend reisen“, sagt Haap. Denn viele der Mühleisen-Orgeln gehen ins europäische Ausland und müssen dort installiert werden. So waren die Orgelbauer aus Leonberg in diesem Jahr in der Domkirke Tromsø in Norwegen und in der Kirche des Heiligen Jakob in Viimsi, im Norden von Estland. „Das Intonieren vor Ort ist schon Stress“, weiß der Orgelbaumeister. „Wir wollen das Bestmögliche aus dem Instrument herausholen.“ Bei einer Orgel mit etwa 50 Registern benötigen zwei Mitarbeiter etwa einen Tag für das Intonieren eines einzigen Registers.

Nicht jede Arbeit an einer Orgel sei körperlich schwer, sagt Haap. Orgelbau ist einer der vielseitigsten Handwerksberufe, die es gibt. Die Mitarbeiter müssten nicht nur Freude an dem Instrument selbst mitbringen, sondern auch viel von den Materialien verstehen. Holz, Leder und Filz werden neben den Pfeifen aus Metall und Holz verarbeitet. Kleine mechanische Teile und die Zinn-Blei-Pfeifen lässt sich die Mühleisen GmbH liefern, alles andere machen die Mitarbeiter selbst. „Jede Orgel ist ein individuelles Instrument“, betont Karl-Martin Haap. Denn schließlich sei jede Kirche anders. Dies habe Einfluss auf die Akustik, die Technik, den Klang und die Größe. „Wir entwerfen zuerst den virtuellen Mühleisen-Klang im Kopf, und versuchen dies dann in die richtigen Pfeifenmaße umzusetzen“, beschreibt Haap die Vorgehensweise.

Weniger Aufträge aus Deutschland

Apropos Kirche: Die Aufträge aus Deutschland lassen nach. Die Kirchen haben weniger Geld und neue Gotteshäuser werden kaum noch errichtet. Hingegen seien Orgeln für Konzertsäle nach wie vor beliebt. „Wir haben jetzt eine große in Budapest gebaut. Da haben wir andere klangliche Konzeptionen. Dort muss ich keine singende Gemeinde begleiten“, erklärt Haap.

Doch nicht nur der Neubau ist ein Thema, sondern auch die Pflege. Orgeln werden alle 25 Jahre generalüberholt und etwa alle drei bis vier Jahre gestimmt. Die Firma Mühleisen hat einige hundert Stimmverträge in ganz Deutschland. Die Arbeit geht den Fachleuten in Leonberg also nicht aus. Dabei ist es durchaus schwierig, qualifizierte Mitarbeiter und genügend Nachwuchs zu bekommen. „Wir erhoffen uns von der Weltkulturerbe-Auszeichnung mehr Aufmerksamkeit für unseren Berufsstand“, sagt der Orgelbaumeister. Jessica Mayer ist sich inzwischen sicher, dass sie „auf jeden Fall“ weitermachen will. Das Orgelspielen ist ihr Hobby, der Orgelbau wird ihre Profession.