Exakt 1304 Pfeifen hat die Orgel der Hemminger Laurentiuskirche. Das königliche Instrument wird derzeit aufwendig gereinigt und umgebaut. Dazu kriecht der Orgelbaumeister Klaus Rensch nahezu täglich in den imposanten Klangkörper.

Hemmingen - Klaus Renschs Leidenschaft gilt einem Instrument, das wohl als einziges begehbar ist. Zurzeit kriecht der 65-Jährige fast täglich in die barocke Orgel der evangelischen Laurentiuskirche in Hemmingen. Das Instrument mit exakt 1304 Pfeifen wird für rund 48.000 Euro zerlegt, aus- und umgebaut sowie gereinigt. Auch werden die vorderen 86 Orgelpfeifen erneuert.

 

Solch umfangreiche Arbeiten erfolgen laut der Pfarrerin Silke Heckmann alle 20 Jahre. „Hinterher hat die Orgel einen prächtigeren Klang“, sagt Klaus Rensch aus Lauffen am Neckar (Kreis Heilbronn). Der selbstständige Orgelbaumeister und Restaurator kennt das Instrument aus dem Effeff, baute es doch sein Vater Richard 1962. Aus heutiger Sicht war er ein fortschrittlicher Orgelbauer, seiner Zeit voraus. „Die Orgel besteht aus viel Holz. Das ist das, was man heute wieder möchte“, sagt Klaus Rensch. In den 1960er Jahren war es angesagt, Kunststoff und Aluminium zu verwenden.

Das Obergehäuse der Orgel ist noch original von 1738. In dem Jahr schuf der Orgelbauer Joseph Allgeyer das Instrument für die Laurentiuskirche. Damals habe die Orgel auf der anderen Seite im Chor gestanden, und sie sei kleiner gewesen, sagt Klaus Rensch. 1856 baute das renommierte Ludwigsburger Orgelbauunternehmen von Eberhard Friedrich Walcker eine sogenannte Kegelladenorgel auf der Westempore. „Das war moderne Technik“, sagt Rensch, der bei seinem Vater lernte – und der wiederum bei der Firma Walcker.

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Körperlich fordernde Arbeit

Seit 1973 ist Klaus Rensch Orgelbauer. Das Stimmen des Instruments ist seine Kernkompetenz. Er interessierte sich schon immer für Handwerk und Musik, erzählt der 65-Jährige. Als Kind saß er oft in der Werkstatt seines Vaters und baute etwas – wenn er nicht gerade Klavier, Gitarre oder Saxofon spielte. An 80 Orgeln habe er mitgearbeitet, sagt Rensch. Der deutsche Orgelbau ist nicht nur seit 2017 Unesco-Weltkulturerbe, sondern auch Teamarbeit. 2008 gründete Klaus Rensch seine eigene Werkstatt. Seitdem konzentriert er sich darauf, Orgeln zu warten, zu stimmen, zu restaurieren und umzubauen.

Die Arbeit fordere körperlich stark, sagt Klaus Rensch. Er vergleicht sie mit der eines Dachdeckers. Er schätzt, dass die Orgel in der Laurentiuskirche rund sieben Meter hoch ist. Ordentlich Geduld braucht der 65-Jährige aber auch. Schließlich rücken er und zwei Mitarbeiter mit Staubsauger, Kompressor, Bürsten und feuchten Tüchern an und putzen jede einzelne Pfeife, die zusammen mehr als zwei Millionen Klangfarben erzeugen können. Eine Menge Staub, Dreck und toter Fliegen habe sich in der Orgel gesammelt, vor allem durch die letzte Renovierung der Kirche, sagt Rensch. Der Unrat verstopfe Pfeifen, Staub wirke wie ein Dämpfer. Später müssen alle Pfeifen wieder an ihren Platz. Das sei weniger kompliziert, so Rensch, als es sich anhöre. Die Pfeifen sind beschriftet, jede Pfeife passt nur an eine Stelle.

Klaus Rensch sagt, dass er im Jahr 80 Orgeln wartet und stimmt. Er habe gut zu tun, Kirchen investierten wieder in Restaurierungen und Umbauten. „Neue Orgeln werden aber weiter selten gebaut“, sagt der 65-Jährige. Auch deshalb war es etwas Besonderes, als die Ludwigsburger Stadtkirche 2014 eine neue Orgel bekam. Kostenpunkt: 1,07 Millionen Euro.

Asiaten lieben deutsche Orgeln

Dagegen gab es in den 1960er Jahren einen regelrechten Boom: Nach dem Krieg waren viele Kirchen und damit Orgeln beschädigt oder völlig zerstört – und entstanden neu. „Manche Kirchen hatte gar keine oder nur eine schlechte Orgel“, sagt Markus Zimmermann, der Sekretär des Bunds Deutscher Orgelbaumeister (BDO). Der Orgelbau habe sich bis Corona „tapfer geschlagen“. Aktuell gebe es bundesweit mehr als 300 Betriebe, sagt Zimmermann. Die Exportquote liege bei 30 bis 50 Prozent. „Die Asiaten sind ganz verrückt auf deutsche Orgeln“, sagt Markus Zimmermann – vor allem für ihre Konzertsäle.

In Europa sei der Markt zu weiten Teilen gesättigt. Was auch daran liegt, dass jede Orgel so individuell wie langlebig ist. Sie ist auf Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte ausgelegt. „Kein Orgelbauer will erleben, dass sein Instrument abgebaut wird“, sagt Markus Zimmermann. „Man tut etwas, das Bestand hat.“ Die wirklichen Sorgen bereitet der Branche der fehlende Nachwuchs. „Wir suchen ziemlich viele Leute“, sagt Markus Zimmermann. Das Problem sei nicht mangelnde Arbeit – „das Handwerk ist aktiv und gefragt“ – sondern seien „keine rosigen Verdienstaussichten“ und lange Montagezeiten. Um eine Orgel aufzubauen, sei man schon mal einen Monat lang weg. Auch Klaus Rensch sagt: „Der Job ernährt, aber er macht nicht reich.“

Digitalisierung hält auch Einzug in Orgelbau

So stellt auch Werner Stannat fest: Die meisten ergreifen den Beruf aus Idealismus. „Und sind dann sehr motiviert“, sagt der Leiter der Abteilung Musikinstrumentenbau an der Oskar-Walcker-Schule in Ludwigsburg. Die Einrichtung, benannt nach Eberhard Friedrich Walckers Enkel, ist die einzige Berufsschule in Deutschland, die eine Ausbildung zum Orgel- und Harmoniumbauer anbietet. Jedes Jahr kämen maximal 50 neue Lehrlinge, um einen der „vielfältigsten, aber auch anspruchsvollsten“ Berufe zu lernen, sagt Stannat. Er sieht eine „größere Ferne zur Kirche“ als weiteren Grund für den Nachwuchsmangel. Und dann ist da noch die Digitalisierung, die auch vor dem Orgelbau nicht Halt macht und zu Konkurrenzprodukten führt. Ein Keyboard, so Stannat, könne orgelnahe Töne erzeugen. Mittlerweile gehören Elektronik und Elektrik zur Ausbildung. „Bei jeder Orgel ist etwas Elektronisches dabei“, sagt Klaus Rensch, etwa bei der Steuerung. Das sei nicht tragisch – solange der Klang weiter durch Pfeifen und Wind erzeugt werde.