Orna Donath hat im Literaturhaus Stuttgart ihr Buch über Mütter vorgestellt, die ihr Muttersein bereuen.

Stuttgart - Darf eine Frau das sagen? Dass sie es bereut, Kinder zu haben? Dass ihre Kinder sie daran hindern, ein erfülltes Leben zu führen, dass sie sich anders entscheiden würde, wenn sie noch einmal die Wahl hätte? Dass sie ihre Kinder liebt, aber das Muttersein hasst? Die israelische Soziologin Orna Donath hat mit 23 Frauen gesprochen, die genauso empfinden. Unter dem Hashtag #regretting motherhood wurde Donaths Studie im vergangenen Jahr mit äußerster Erregung diskutiert. Jetzt ist die deutsche Übersetzung „Wenn Mütter bereuen“ ihres Buchs erschienen, das die 1976 geborene Soziologin im Literaturhaus vorgestellt hat. Nicht allein, sondern im Gespräch mit Barbara Vinken, der elegantesten Erscheinung der deutschen Literaturwissenschaft. Vinken ist nicht nur Expertin für die kulturellen Codes der Mode, sie hat auch ein Buch über „Die deutsche Mutter. Der lange Schatten eines Mythos verfasst.“

 

Sie habe sich gewundert, dass auch in Deutschland ein solcher Sturm der Empörung über sie hereingebrochen sei, gibt Donath zu, hier hätten die Frauen doch mehr Wahlfreiheit. In Israel sei die Situation völlig anders. Dort stehen Frauen unter großem gesellschaftlichem Druck, Mutter zu werden, und zwar im Durchschnitt von drei Kindern. Orna Donath nennt die Gründe hierfür: „Unsere Gesellschaft ist von der kollektiven Furcht vor dem Tod geprägt. Kinder symbolisieren die Kontinuität des Lebens.“ Die Erfahrung des Holocaust, die Kriege und die Bedrohung durch Attentate müssen dabei mitgedacht werden.

In Deutschland ist eine solche eindeutige Forderung für möglichst viele Kinder undenkbar – wem käme dabei nicht sofort das Mutterkreuz der Nazis in den Sinn. „Doch wir machen dafür aus dem Kinderaufziehen ein Projekt. In anderen Gesellschaften laufen Kinder mit, hier sind sie der Lebensinhalt, um den sich alles dreht“, sagt Vinken. Sie habe zwar selbst ein Kind – doch ihr Leben habe sich dadurch nur minimal verändert. Das Unbehagen an der Mutterrolle sei jedenfalls kein neues Phänomen, so Barbara Vinken und verweist auf die unglückliche Mutter Madame Bovary.

Orna Donath, die weltweiten Wirbel hervorgerufen hat, ist keine laute Kämpferin, die alle Frauen überzeugen will, sich der Mutterschaft zu verweigern. Im Gegenteil, sie habe selbst zwar schon als Jugendliche gewusst, dass sie keine Kinder möchte, aber Anlass ihrer Studie war es nicht, Bestätigung für das eigene Lebensmodell zu finden. „Wir bereuen doch so vieles im Leben – warum ist es so überraschend, dass man auch das Muttersein bereuen kann?“, fragt Orna Donath. Darüber zu sprechen fällt schwer und ist tabubehaftet – aber genau deshalb sei es notwendig. Aber wie kann es sein, dass man seine Kinder liebt, doch die Grundbedingung ihrer Existenz, die eigene Mutterschaft, in Frage stellt?

Ein Widerspruch, der die Moderatorin des Abends Cécile Schortmann beschäftigt. Als dreifache Mutter kenne sie zwar die ambivalenten Gefühle nur zu gut, dass die eigene Brut manchmal fürchterlich nerve. Aber deshalb das Muttersein an sich bereuen? Doch genau darum geht es. Donaths Gesprächspartnerinnen waren nicht nur junge Frauen, deren Kinder ihnen die Nächte raubten, auch Großmütter waren dabei, die selbst bei hartnäckigem Nachfragen keinen Vorteil darin sehen konnten, Kinder bekommen zu haben.

Darüber muss man reden können, selbst mit den eigenen Kindern. Kein leichtes Unterfangen, das weiß auch Orna Donath. Doch gerade den eigenen Kindern noch andere Möglichkeiten aufzuzeigen, die auch das Nicht-Muttersein zulassen, könnte nicht gerade das heißen, eine gute Mutter zu sein?