Rems-Murr: Sascha Schmierer (sas)

Doch das ist vorbei, seit sie für den Tiefbahnhof halb Stuttgart umgraben. Wirklich betroffen, das muss ich ja zugeben, hat mich S 21 bisher nicht. Ich lebe nicht im Talkessel, sondern komme aus dem Kreis Ludwigsburg. Den Streit über den Tiefbahnhof habe ich interessiert, aber etwas unbeteiligt verfolgt. Gefragt habe ich mich schon auch, wie viel Geld sich eigentlich im Boden verbuddeln lässt. Ob Hausbesitzer tatsächlich bald durch Risse in der Wand blicken können. Ob das mit den Mineralquellen wirklich klappt. Und weshalb man mit Polizeihundertschaft und Wasserwerfereinsatz die Bäume im Schlossgarten eilig umsägen muss, wenn dann ohnehin drei Jahre lang so gut wie nichts passiert. 

 

Gleichzeitig fasziniert mich schon auch die Technik, etwa die Riesenbohrmaschine für den Fildertunnel. Und die Idee, mit einem tiefer gelegten Bahnhof Platz für einen attraktiven neuen Stadtteil zu schaffen, hat mir durchaus eingeleuchtet. Ist doch gut, wenn sich was bewegt.

Ein Abstellplatz am Taxistand? Keine wirklich gute Idee.

Jetzt allerdings ist Schluss mit der Rolle des stillen Beobachters. S 21 wirkt sich plötzlich direkt auf mich aus. Ich finde keinen Parkplatz. Kurz habe ich überlegt, mich in die Schlange der auf Kundschaft wartenden Taxifahrer einzureihen. Schließlich gehöre ich im Moment ja auch zur Beförderungsbranche. Eine Lederjacke mit Goldkettchen überzeugt mich, dass der Einfall nicht zu meinen besseren Ideen zählt. „Fahr weiter, hier nix Parkplatz“, ranzt mich der Türsteher-Typ an. Verstehe ich ja. Wenn zwei Dutzend Taxifahrer um die besten Plätze rangeln, wird der Geduldsfaden sehr dünn.

Von den früheren Abholstellflächen ist am Hauptbahnhof nur noch ein kümmer-licher Rest übrig. Gerade noch 14 Parkplätzchen gibt es am Nordausgang. Dafür sind gleich zwei Ticketautomaten aufgestellt. Und ein Schild, das Nutzern einen drei-minütigen Halt zum Aus- und Einsteigen gewährt. Drei Minuten? Sind das Hochleistungssprinter bei der Bahn? Oder gehen die davon aus, dass man seine Liebsten gar nicht mehr am Bahnsteig abholt, sondern schön im Auto wartet, bis Tante Erna ihre Koffer selbst zum Parkplatz geschleift hat?

Früher habe ich die Familienkutsche ja immer bei den Bahnparkplätzen am Schlossgarten abgestellt, wenn ein Chauffeurdienst gefragt war. Anfahrt übers Neckartor, Lücke suchen, auf den Bahnsteig hechten, Begrüßungsküsschen, Gepäck schnappen und ins Freie wuchten, Kofferraum auf, einsteigen, losfahren. War eine aus meiner Sicht tauglich eingerichtete intermodale Verknüpfung der Verkehrswege. Und klappte meist ohne Strafzettel.

Wegführung im Hauptbahnhof. Zu einer größeren Ansicht der Grafik geht es hier.

 

Die Polizei und die Parkplätze

Doch das ist vorbei, seit sie für den Tiefbahnhof halb Stuttgart umgraben. Wirklich betroffen, das muss ich ja zugeben, hat mich S 21 bisher nicht. Ich lebe nicht im Talkessel, sondern komme aus dem Kreis Ludwigsburg. Den Streit über den Tiefbahnhof habe ich interessiert, aber etwas unbeteiligt verfolgt. Gefragt habe ich mich schon auch, wie viel Geld sich eigentlich im Boden verbuddeln lässt. Ob Hausbesitzer tatsächlich bald durch Risse in der Wand blicken können. Ob das mit den Mineralquellen wirklich klappt. Und weshalb man mit Polizeihundertschaft und Wasserwerfereinsatz die Bäume im Schlossgarten eilig umsägen muss, wenn dann ohnehin drei Jahre lang so gut wie nichts passiert. 

Gleichzeitig fasziniert mich schon auch die Technik, etwa die Riesenbohrmaschine für den Fildertunnel. Und die Idee, mit einem tiefer gelegten Bahnhof Platz für einen attraktiven neuen Stadtteil zu schaffen, hat mir durchaus eingeleuchtet. Ist doch gut, wenn sich was bewegt.

Ein Abstellplatz am Taxistand? Keine wirklich gute Idee.

Jetzt allerdings ist Schluss mit der Rolle des stillen Beobachters. S 21 wirkt sich plötzlich direkt auf mich aus. Ich finde keinen Parkplatz. Kurz habe ich überlegt, mich in die Schlange der auf Kundschaft wartenden Taxifahrer einzureihen. Schließlich gehöre ich im Moment ja auch zur Beförderungsbranche. Eine Lederjacke mit Goldkettchen überzeugt mich, dass der Einfall nicht zu meinen besseren Ideen zählt. „Fahr weiter, hier nix Parkplatz“, ranzt mich der Türsteher-Typ an. Verstehe ich ja. Wenn zwei Dutzend Taxifahrer um die besten Plätze rangeln, wird der Geduldsfaden sehr dünn.

Von den früheren Abholstellflächen ist am Hauptbahnhof nur noch ein kümmer-licher Rest übrig. Gerade noch 14 Parkplätzchen gibt es am Nordausgang. Dafür sind gleich zwei Ticketautomaten aufgestellt. Und ein Schild, das Nutzern einen drei-minütigen Halt zum Aus- und Einsteigen gewährt. Drei Minuten? Sind das Hochleistungssprinter bei der Bahn? Oder gehen die davon aus, dass man seine Liebsten gar nicht mehr am Bahnsteig abholt, sondern schön im Auto wartet, bis Tante Erna ihre Koffer selbst zum Parkplatz geschleift hat?

Egal jetzt. Wo ein Wille ist, ist auch eine Parklücke. Und ich bin spät dran. Viel zu spät. Um viertel vor zehn, hat die Tochter gesagt, kommt der Zug an. Und das ist es jetzt. Hektisch hetze ich in das Einkaufszentrum, das sich Bahnhofshalle nennt. Reiseverpflegung brauche ich nicht. Ich brauche einen Plan, wo welcher Zug hält. Und das schnell.

Statt einer Ankunftstafel sehe ich Maulwurf-Plakate

Eine Schalttafel mit den aktuellen Ankunftszeiten der Züge finde ich aber weder in der Schalterhalle noch auf dem schmuddeligen Weg zu den Gleisen. Dafür sehe ich viele Plakate mit einem lustig gezeichneten Maulwurf. Max heißt der, auch wenn in der Baugrube wohl eher Oleg, Mehmet und Fernando unterwegs sind. Dass es sich beim Hauptbahnhof auf absehbare Zeit um eine Baustelle handelt, wusste ich allerdings schon. Ist auch nicht zu übersehen.

Wo einst die Züge hielten, klafft das Loch der Trogbaustelle für den Tiefbahnhof. Zwei von Bretterwänden gesäumte Fußgängerbrücken überspannen die Baugrube. Wie viele Menschen tagtäglich im Berufsverkehr das zehn Meter breite Nadelöhr passieren, kann die Bahn aktuell gar nicht sagen. Vor zwei Jahren hieß es auf die Frage nach den Pendlerströmen, dass in der morgendlichen Spitzenstunde allein 4300 Fahrgäste den Mittelausgang nutzen. Durch die Sperrung des Abgangs im Bahnhof wurde seinerzeit in der Klett-Passage ein Anstieg der Frequenz von 4400 auf etwa 8000 Menschen pro Stunde prophezeit, auch auf der zweiten Treppe sind schätzungsweise 4400 Menschen unterwegs. Intern spricht die Bahn deswegen nur noch von der „Qualitätsstufe E“. Wenn in der Rushhour jemand den Kofferkuli quer stellt, kann er sich was anhören von den Mitreisenden.

 Wegführung im Hauptbahnhof. Zu einer größeren Ansicht der Grafik geht es hier.

 

Krafttraining mit der 20-Kilo-Hantel

Ein älteres Ehepaar trippelt vor mir her. Schwarzer Mantel, Gehstock und Koffer, die noch keine Rollen haben. Einen Gepäckwagen haben sie für ihren Weg zum Bahnsteig offensichtlich nicht gefunden. Mir ist in der Eile auch keiner aufgefallen. Wurden wohl aufgeräumt, um nicht noch zusätzliche Verkehrshindernisse in den Weg zu stellen. Erst nachträglich habe ich realisiert, dass es vor den Schließfächern am Nordausgang tatsächlich noch ein paar Kofferkulis gibt. Mit der Last in der Hand wird der Weg zum Bahnsteig zum Krafttraining. Seniorensport mit der 20-Kilo-Hantel. Oder was wiegt so eine Reisetasche, wenn man die liebe Verwandtschaft mit einer Jahresproduktion von selbst gemachtem Erdbeergsälz be-glücken will?

Etwa 200 Meter mussten Fahrgäste bisher schon zu Fuß zurücklegen, um von den Fernzug-Bahnsteigen zum Nahverkehr zu gelangen. Seit der S-Bahn-Abgang im Hauptbahnhof gesperrt ist, kommen gut hundert Meter dazu. Statt neun sind durchschnittlich mobile Fahrgäste inzwischen 13 Minuten unterwegs. Die Bahn hat bei der Sperrung versichert, dass die zusätzlich nötige Umsteigezeit durch die verlängerte Wegstrecke selbstverständlich auch in die Fahrpläne eingepflegt worden sei.

Beim Schaubild hat der Grafiker getrickst

Nun darf man sich das nicht etwa so vorstellen, dass Verkehrsstrategen europaweit ihre akribisch ausgetüftelte Kalkulation in den Papierkorb befördert hätten, nur weil in Stuttgart ein Treppenhaus geschlossen worden ist. Nein, die Änderung bedeutet schlicht und ergreifend, dass bisher als Anschlusszüge markierte Verbindungen neuerdings im Bahncomputer nicht mehr auftauchen. Wer nach dem Ausstieg aus dem ICE die Beine in die Hand nimmt, kann deshalb durchaus eine S-Bahn erreichen, über die der offizielle Fahrplan schweigt.

Und wenn wir schon beim Griff in die Trickkiste sind: bei einer im Juli auch an die Stuttgarter Stadträte verteilten Darstellung der neuen Laufwege im Baugruben-Bahnhof ist den Grafikern der Bahn ein kosmetisches Meisterwerk gelungen. Die gut 100 Meter lange Strecke über den Tiefbahnhof-Trog ist auf dem Schaubild optisch auf gerade mal ein Drittel verkürzt worden. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Wir wollen deshalb auch gar nicht von Schwindelei oder Ähnlichem sprechen – und womöglich noch neue „Lügenpack“-Sprechchöre beschwören. Aber eine beschönigende, nicht ganz maßstabsgetreue Darstellung ist es halt schon.

Vielleicht wollte sich die Bahn ja nur aufs Wesentliche konzentrieren. So wie ich bei der Suche nach dem richtigen Gleis. Von außen habe ich den Bonatz-Bau ja stets als schön empfunden. Die Ecktürme, die mächtige Fassade, der Mercedes-Stern. Ein echtes Wahrzeichen. Der Blick ins Innenleben der von 240 000 Menschen täglich besuchten Bahnhofshalle aber ist ernüchternd. Sind wir doch mal ehrlich: jeder Regionalbahnhalt in Süditalien hat mehr Charme als dieses gesichtslose Sammelsurium von angegrauten Imbissbuden. Unübersichtlich wirkt er, der Stuttgarter Hauptbahnhof, voll gestellt und überfrachtet. Ist das nun ein Basar, ein Flohmarkt, ein Kaufhaus – oder doch ein Verkehrsknoten?

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Lieber Max Maulwurf als Heidi Klum

Wenigstens habe ich dank der Max-Maulwurf-Plakate inzwischen den Querbahnsteig erreicht. „Zu den Gleisen“ steht da nämlich drauf. Wenn man einen Zug sucht, eine nicht ganz unwichtige Info. Max ist mein neuer Freund, ich find den gut.

Nur zu welchem Gleis ich muss, ist noch die Frage. Es gibt nämlich 16 von der Sorte. Und die Tochter hat mir lediglich die Ankunftszeit gesagt. Statt einer Tafel mit den einfahrenden Zügen sehe ich allerdings nur Schilder mit den Abfahrtszeiten. Und jede Menge Videoanzeigen mit Klatsch und Tratsch und der Wettervorhersage.

Vielleicht sollte ich die Gelegenheit nutzen, einen frommen Wunsch loszuwerden: Liebe Deutsche Bahn! Ich brauche am Bahnsteig keinen Promi-Flash mit der tausendfach wiederholten Nachricht, dass Top-Model Heidi Klum jetzt das erste Pärchen-Selfie mit ihrem neuen Lover geschossen hat. Das interessiert mich nicht! Ich brauche eine vernünftige Anzeigetafel, wann der Zug aus Dortmund einfährt! Und wo! Und welche Nummer der hat!

Eine S-Bahn-Fahrt ins Zentrum kostet mich 4,90 Euro

Zugegeben: es ist zweifelhaft, dass die Bahn ausgerechnet meiner Bitte nachkommt. Ich bin ein alles andere als häufiger Nutzer von Bus und Bahn. Würde ich in der Stadtmitte leben oder arbeiten, wäre das vermutlich anders. So aber komme ich nur in Ausnahmefällen in den Genuss des öffentlichen Nahverkehrs. Zumal mich das S-Bahn-Ticket ins Zentrum satte 4,90 Euro kostet. Einfache Fahrt. Ich bin wohl zu sehr Schwabe, um das gut zu finden.

Von mir aus hätten sie einen Teil der S-21-Milliarden gern auch in ein vernünftiges Straßennetz stecken können. In eine leistungsfähige A 81 zum Beispiel. In eine nicht ständig verstaute A 8 zum Beispiel. In einen Nord-Ost-Ring für Stuttgart zum Beispiel. Ja, ich weiß schon, dass neue Straßen auch neuen Verkehr anziehen. Ich entstamme einer Generation, die den Umwelt-Sprech quasi mit der Muttermilch aufgesogen hat. Aber mich begeistert es trotzdem nicht, mich auf dem Weg von und zur Arbeit durch den Stop-and-go-Verkehr zu quälen.

Oma Helga aus Brunsbüttel findet sich hier nicht zurecht

Aber darum geht es ja jetzt nicht. Wer regelmäßig den Stuttgarter Hauptbahnhof nutzt, hat mit dem Umbau wohl keine Probleme. Ein Pendler hat den Laufweg durch die muffige Klett-Passage über kurz oder lang im Blut. Aber bei Oma Helga aus Brunsbüttel habe ich Zweifel. Und bei der Familie, die aus Calw oder Crailsheim mal in die Wilhelma oder auf den Wasen will, auch. Die fährt lieber mit dem Auto los. Bis die in Stuttgart ihre Baugrube irgendwann mal fertig haben.

Wer nicht mit dem Zug fährt, verpasst eine atemberaubende Baustelle. Und eine Fotoschau aus den Megacitys dieser Welt. Vielleicht will die Bahn uns, geschäftstüchtig wie sie ist, das Fernweh einpflanzen. Auch wenn sich nach Seoul oder Rio so schlecht per Zug fahren lässt. Vielleicht aber wollen uns die Bilder auch sagen: Schaut mal, liebe Leut, woanders haben sie einen Bauwahn, gegen den nehmen sich die Probleme mit unserem schwäbischen Bahnhöfle doch recht bescheiden aus.

Im Vergleich zu Istanbul, Paris und Rio nur ein Bahnhöfle

Wussten Sie, dass in Istanbul mehr Menschen leben als in Paris oder Moskau? Mir war das nicht klar. Was die wohl für Bahnhöfe brauchen – für 13,9 Millionen Menschen?

Wenn Sie sich jetzt fragen, wie mir mitten im Abholstress solche Gedanken in den Sinn kommen, gibt es eine recht einfache Antwort: Ich habe das richtige Gleis endlich gefunden. Und steh mir jetzt dort wartend die Beine in den Bauch. Zeit zum Durchatmen. Die ganze Hektik und Hetze und Eile hat sich als kropfunnötig erwiesen. Der ICE aus Dortmund hat Verspätung.

Als er nach einer Viertelstunde endlich einrollt, fällt mir meine Tochter um den Hals. „Hast du gut hergefunden?“, fragt sie zuckersüß. „Klar, war kein Problem“, sage ich im Brustton väterlicher Überzeugung und greife nach dem Koffer. War doch ein Kinderspiel. Auf die Bahn ist halt Verlass.

Wegführung im Hauptbahnhof. Zu einer größeren Ansicht der Grafik geht es hier.