Hinterm Pestalozziweg geht’s weiter: Hemmingen weist ein neues Baugebiet aus. Es ist die vorletzte Fläche, die sie bebauen kann. Die letzte und größte bleibt unerreichbar.

Hemmingen - Baron Ulrich von Varnbüler ist überrascht, wie schnell die Hälde aufgesiedelt war. „Das hätte ich nicht gedacht“, räumt der Hemminger Großgrundbesitzer ein, der selbst in Bayern lebt. An seiner Grundhaltung ändert sich dadurch jedoch nichts: Er wird seinen Grund und Boden nicht verkaufen. Durch die Fläche würde das Baugebiet Hälde im Norden der Gemeinde mit Platz für mehr als 500 Bürger mit neun Hektar nahezu doppelt so groß. „Es muss etwas übrig bleiben für die Landwirtschaft“, begründet der Baron seine Haltung. Von Varnbüler hat seine Flächen unter anderem an die Firma Südzucker verpachtet. Auf seinen Feldern wachsen seit jeher etwa Zuckerrüben, aus ihnen wird Zucker gewonnen.

 

Die Varnbülersche Fläche ist im Flächennutzungsplan enthalten, die Ausweisung eines Baugebiets wäre also rechtlich problemlos. Weil aber dieser ursprüngliche Plan nicht umgesetzt werden kann, wollen die Hemminger die städtebauliche Entwicklung nun im Süden des Ortes vorantreiben. Der Gemeinderat beschloss das Vorkaufsrecht für mehrere Flurstücke: Wollen die Grundstückseigentümer verkaufen, hat die Gemeinde das Vorrecht auf den Erwerb. Der Bürgermeister Thomas Schäfer wird mit den Eignern ins Gespräch kommen. Der Kreis der Beteiligten sei „überschaubar“, sagt Schäfer. Sieben, acht Grundstücksbesitzer seien betroffen, die Gemeinde besitze bereits eine Fläche.

Eine Ausnahme des Baurechts macht’s möglich

Insgesamt wollen die Hemminger damit Platz für rund 250 neue Bewohner schaffen. Ein Teil der Fläche, rund 1,4 Hektar groß, ist bereits im Flächennutzungsplan enthalten. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind also geschaffen. Für die Bereitstellung eines weiteren, ähnlich großen Areals nutzen die Hemminger eine befristete Ausnahmeregelung im Baurecht. Damit können sie einen Hektar Wohnraum ausweisen, auch wenn die Fläche bisher nicht im Flächennutzungsplan enthalten ist, es also keinen rechtlichen Rahmen gibt für die Aufstellung eines Bebauungsplans.

Das Baurecht erlaubt die Anwendung der Regelung, wenn sich die Flächen an die bestehende Bebauung – in dem Fall die Pestalozzistraße – anschließen. Was der Gesetzgeber als Ausnahme deklariert hat, ist es laut dem Chefplaner der Region, Thomas Kiwitt, längst nicht mehr. Viele Kommunen würden davon Gebrauch machen. Er sieht die Notwendigkeit der Städte und Gemeinden in der Region wohl, zügig bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Doch er weist auch auf die Gefahr hin, dass damit die langfristige Entwicklung eines Ortes aus dem Blick gerät. Stadtentwicklung müsse „robust sein gegen Zeitgeistentscheidungen“.

Fruchtbare Böden im Strohgäu

Wird von der Ausnahmeregelung des Baugesetzes Gebrauch gemacht, müssen die Kommunen keine Ausgleichsflächen ausweisen, müssen also nicht anderweitig Grünflächen schaffen oder bestehende Naturräume aufwerten. Die komplexe Debatte um die Ausweisung von Wohnraum wird damit verkürzt. „Stadtentwicklung ist aber keine Schwarzweiß-Entscheidung. Man muss eine komplexere Entscheidung treffen als eine Ja-Nein-Entscheidung“, sagt Kiwitt. Zumal im Raum Ludwigsburg „die Konkurrenz zwischen Sieldungsentwicklung und Landwirtschaft ausgesprochen groß ist“.

Die Böden im Strohgäu gelten bundesweit als die fruchtbarsten. Letztlich, so Kiwitt, müsse eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung darüber geführt werden, wie sich die Region entwickeln soll. Davon, wie sich Hemmingen entwickeln soll, hatte Baron Ulrich von Varnbüler eine klare Vorstellung, als er sich im Jahr 2008 weigerte, einen Großteil der Hälde, die Gemarkung Herzengrund, zu verkaufen. Er argumentierte mit einer Studie der Bertelsmann-Stiftung: Demnach wäre die Hemminger Bevölkerung mittelfristig um fünf Prozent gesunken.