Die Menschen evangelischen Glaubens in der Stuttgarter Kirchengemeinde Rohr-Dürrlewang blicken auf ein konfliktreiches Jahr zurück. Was waren die Gründe für so viel Unmut?

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Rohr/Dürrlewang - Im Sommer des vergangenen Jahres haben fünf Kirchengemeinderäte ihr Amt niedergelegt. Das hatte zur Folge, dass das Gremium aufgelöst und eine ortskirchliche Verwaltung eingesetzt werden musste. Wir haben mit der Dekanin Kerstin Vogel-Hinrichs über die Vergangenheit und Zukunft der Gemeinde gesprochen. Die 53-jährige Theologin mit Berliner Wurzeln wurde Anfang 2018 neu in die Runde der Stuttgarter Dekane gewählt und war zuvor Geschäftsführende Pfarrerin in Asperg (Kirchenbezirk Ludwigsburg) gewesen.

 

Warum kam es damals zu einer solchen Zäsur in der Kirchengemeinde Rohr-Dürrlewang? Also was waren Ihrer Einschätzung nach die Gründe dafür, dass so viele Kirchengemeinderäte ihr Amt niedergelegt haben?

Meiner Meinung nach waren es vor allem sehr unterschiedliche Vorstellungen, wie die Leitungsaufgabe der Gemeinde im Kirchengemeinderat wahrgenommen wird, welche Kompetenzen und Abläufe es geben soll. Das ist an sich gar nicht unüblich, weil Menschen unterschiedlich sind und unterschiedliche Bedürfnisse haben. Unüblich war aber, dass trotz begonnener externer Gemeindeberatung kein Konsens erzielt werden konnte, sodass sich einige Mitglieder für die Niederlegung ihres Amtes entschieden. Dies hatte gemäß Kirchengemeindeordnung die Auflösung des gesamten Gremiums zur Folge.

Was hat sich in der Kirchengemeinde konkret für die Gemeindemitglieder seit der Auflösung des Kirchengemeinderats verändert?

Die Mitglieder der Kirchengemeinde haben erlebt, dass es zu Konflikten in der Gemeindeleitung kommen kann, die mit Verletzungen und Unsicherheit einhergehen. Das ist nichts, was sich eine Kirchengemeinde wünscht. Sie hat aber auch erlebt, dass es Maßnahmen wie die Bildung der ortskirchlichen Verwaltung gibt, die die Gemeindeleitung weiter handlungsfähig macht und zuverlässiges Arbeiten ermöglicht. Für die Arbeit vor Ort hat sich nach meiner Einschätzung wenig verändert.

Wie ist Ihrer Einschätzung nach aktuell die Stimmung in der Kirchengemeinde?

Rohr-Dürrlewang ist eine äußerst aktive Gemeinde mit sehr vielen ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Mitten im Konflikt wurde ein Gemeindefest mit hohem Einsatz von weit über hundert Mitarbeitenden gefeiert. Das hat mich sehr gefreut und das zeigt mir, dass der Wille zur Gemeinschaft sehr viel größer ist als das Konfliktpotenzial. Es ist jetzt sicher nicht von heute auf morgen alles gut, aber es ist Ruhe eingekehrt, und die Arbeit kann weitergehen.

Konnte sich die ortskirchliche Verwaltung gut in ihre Aufgaben einarbeiten?

Die ortskirchliche Verwaltung hatte im Dezember ihre erste Sitzung. Dabei hat sie ihren neuen Vorsitzenden, Johannes Burkhardt, gewählt. Die Mitglieder kommen aus beiden Ortsteilen und haben daher auch eine verbindende Wirkung. Ich habe in dieser konstituierenden Sitzung eine sehr sachorientierte, pragmatische und unaufgeregte Stimmung sowie hohe Verantwortlichkeit und Kompetenz wahrgenommen. Dafür bin ich allen Beteiligten sehr dankbar. Ich bin sicher, dass alle ihre Aufgaben in der Gemeindeleitung sehr gut ausfüllen werden.

Wie geht es für die Gemeindemitglieder vor Ort nun im Jahr 2019 weiter?

Es ist jetzt eine Zeit der Überbrückung bis zu den Kirchenwahlen am 1. Advent 2019, an dem in der ganzen Landeskirche neue Kirchengemeinderäte gewählt werden. Bis dahin wird die ortskirchliche Verwaltung – wie der Name sagt – vor allem verwaltend tätig sein und keine neuen Gemeindekonzepte entwickeln. Die Suche nach Kandidatinnen und Kandidaten für das neue Gremium wird die Gemeinde beschäftigen.

Und was wünschen Sie sich persönlich für das neue Jahr mit Blick auf die zerrissene Kirchengemeinde Rohr-Dürrlewang?

Ich habe die Kirchengemeinde an sich nicht als zerrissen wahrgenommen, sondern Konflikte in der Gemeindeleitung und im Umgang miteinander. Es gibt Gräben, von denen ich mir wünsche, dass sie alle gemeinsam zuschaufeln, sodass dort Neues wachsen kann. Ich wünsche mir, dass die ortskirchliche Verwaltung in Ruhe arbeiten kann, dass Verletzungen heilen und sich Menschen bereitfinden, für den Kirchengemeinderat zu kandidieren und damit Gemeinde zu gestalten.