Südafrika hat ihn vergöttert, doch jetzt ist er am Boden: Der sechsfache Paralympics-Sieger Oscar Pistorius ist des Mordes angeklagt. Langsam kommt heraus, dass der einst strahlende Übermensch auch Schattenseiten hatte.

Pretoria - Oscar Pistorius hat im Olymp des Sports geherrscht wie Nelson Mandela im Parthenon der Politik oder der Erzbischof Desmond Tutu im Himmel der Moral. Drei Südafrikaner, die auf ihrem Gebiet scheinbar unvergänglichen Ruhm auf sich zogen: Während Tutu und Mandela die zynische Herrschaft der Bleichgesichter zum Einsturz brachten, forderte Pistorius die Diktatur des Makellosen und „Gesunden“ heraus. Der unterschenkelamputierte Kurzstreckenläufer wurde zum lebendigen Beispiel dafür, dass eiserner Wille nicht nur gesellschaftliche Konventionen sprengen, sondern selbst übelste Launen der Natur überwinden kann – ein Held in bester Tradition.

 

Nun ist es um den Helden geschehen. Pistorius hat am frühen Morgen des Valentinstags seine Geliebte Reeva Steenkamp getötet. Seine Erklärung, er habe das 29-jährige Model für einen Einbrecher gehalten, nimmt die Polizei ihm nicht ab. Der Staatsanwalt spricht von „Vorsatz“, die Anklage lautet also auf Mord. Nun bleibt der 26-Jährige zumindest solange hinter Gitter, bis das Gericht Mitte der kommenden Woche über eine Freilassung auf Kaution entscheidet.

Stark, sexy, bestgekleidet – so feiert ihn die Nation

In der Öffentlichkeit beginnt unterdessen schon die Demontage des einstigen Übermenschen. In Johannesburg werden die ersten riesigen Reklameflächen mit dem Konterfei des „Blade Runners“ abgehängt, während Firmen, die mit dem „schnellsten Mann ohne Beine“ warben, eilig ihre Webseiten „säubern“. „Es ist, als ob Erzbischof Desmond Tutu auf frischer Tat bei einem Einbruch erwischt worden sei“, spottet ein Kommentator.

An der Glorifizierung des Sportidols waren alle beteiligt. Die südafrikanische Regierung zeichnete ihren Landessohn mit einer ihrer höchsten Auszeichnungen aus, dem Ikhamanga-Orden in Bronze. Der Staatspräsident Jacob Zuma pries ihn als „unseren Star“, und das „Time“-Magazin räumte ihm einen Platz in der Liste der 100 einflussreichsten Weltbürger ein. Die Zeitschrift „GQ“ kürte ihn zum „bestgekleideten Mann des Jahres 2011“, und das „People“-Magazin wählte ihn unter die Top Ten ihrer berühmten „Sexiest Men alive“.

„Teils Mensch, teils Gott“ – auch so wird er genannt

Auch Unternehmen nutzten das sportliche Vorbild zum „Branding“ ihrer Produkte aus, wofür sie Pistorius im Jahr fast fünf Millionen US-Dollar bezahlten. Unter ihnen der Kosmetikkonzern Thierry Mugler, der den gut aussehenden Muskelmann zum Gesicht seiner Macho-Produktlinie A*Man machte. Auf dem dazu Video dazu sitzt der Sportler mit den futuristisch anmutenden Prothesen auf einem Thron im Universum: „Teils Mensch, teils Gott“ sei „der Held“ von seiner „inneren Stärke und seiner Sehnsucht zu erobern beherrscht“, sülzt der Begleittext. Auch Nike spielte mit dem offenbar beachtlichen Testosteron-Haushalt des Sportlers: „Das ist der Körper, den ich bekommen habe“, lassen die Werbeleute den im Alter von elf Monaten amputierten Südafrikaner sagen: „Das ist meine Waffe. . . So führe ich meinen Krieg.“ Ein Teil der Nike-Kampagne, die Pistorius mit den Worten „Ich bin die Kugel in der Trommel“ aus den Startlöchern herausschießend zeigt, wurde jetzt schnellstens von Pistorius’ Webseite genommen.

Ob dem Sportler diese Macho-Idealisierung zu Kopf stieg oder in seinem hormonellen Haushalt bereits angelegt war? Jedenfalls kommt inzwischen deutlich zum Vorschein, dass der strahlende Held auch ganz uncharmante Schattenseiten hatte. In ihren Archiven finden Journalisten plötzlich Berichte, die den Helden schon vor Jahren als Rabauken beschrieben: 2009 verbrachte Pistorius eine Nacht auf der Polizeiwache in Pretoria, weil er eine junge Frau verprügelt haben soll. Die Polizei stellte das Verfahren später ein und entschuldigte sich Pistorius.

Die Welt hat ihn wohl nicht so gut gekannt, wie sie glaubte

Dann werden alte Artikel gefunden, in denen eine Geliebte von Pistorius ankündigt, sie werde bald erzählen, was sie mit ihrem Freund alles durchmachen musste. Ihre Ankündigung zog sie allerdings kurz später aus unerfindlichen Gründen wieder zurück. Journalisten, die sich die Mühe machten, mehr Zeit mit dem Idol zu verbringen, berichten nicht nur von seinen Affären, seiner Vorliebe für schnelle Autos, Kampfhunde und andere Adrenalin erhöhende Aktivitäten: Auch sollen sich in seinem Haus stets mehrere Waffen befinden. „Mit Pistorius Zeit zu verbringen, kann viel Spaß machen“, resümiert ein Reporter der „New York Times“: „Man versteht allerdings auch schnell, dass er mehr als nur ein bisschen verrückt ist.“ Selbst diese Beobachtung ging bei der Verherrlichung des Idols irgendwie unter: Die Welt, schreibt der britische „The Guardian“, habe Pistorius „wohl nicht so gut gekannt, wie sie meinte“.

Vermutlich sah sie ihn nicht, wie er ist, sondern wie sie ihn sehen wollte. „In einem Land, in dem so wenige Heroen auf ihrem Sockel stehen bleiben, brauchten wir ihn einfach“, meint die südafrikanische Kolumnistin Charlotte Bauer. Pistorius’ Platz im Olymp bleibt bis auf Weiteres leer.