Jürgen Klinsmann ist weg – war das die Rache des US-Fußballs für das 6:1 des VfB gegen Cosmos New York?

Stuttgart - Die Amerikaner erinnern einen zurzeit an den Hollywood-Klassiker „Denn sie wissen nicht, was sie tun“. Binnen weniger Tage haben sie einen Deutschen durch den anderen ersetzt: Donald Trump kommt.

 

Jürgen Klinsmann geht.

Unser alter Schwabe ist als US-Nationaltrainer gefeuert worden, und er hatte es am Ende so schwer wie James Dean, der in jenem Kinodrama in den 50ern als Rebell verzweifelt um Anerkennung und Liebe kämpfte. Mit Schimpf und Schande wird Klinsmann davongejagt: Keine gescheite Taktik, keine klare Linie, kein Konzept – dabei hat er in Wahrheit einfach nur keine Mannschaft, die etwas taugt.

Spontan denkt man an Holger Stanislawski, der als Trainer beim FC St. Pauli auf seinen Glatzkopf deutete und danach mit dem Satz zur Kultfigur wurde: „Ich kann nicht zum Frisör gehen und sagen: Leg mir eine Dauerwelle.“ Das Tragische bei Klinsmann ist: Er hat das Wunder ja zeitweise fast vollbracht und auf einer Glatze Locken gedreht – seine US-Boys waren bei der WM 2014 richtig gut, und noch diesen Sommer standen sie bei der Copa América im Halbfinale. Daran ist Klinsmann jetzt gescheitert: Das Kartenhaus der viel zu hohen US-Fußballträume ist in der ersten Krise zusammengekracht.

Bodo Illgner hat es gut erklärt. 1990 wurde der Kölner mit Klinsmann Weltmeister, inzwischen ist auch er halbwegs ausgewandert, und als wir ihn in Florida einmal besuchten, sagte er: „Die Erwartungshaltung in den USA ist, gemessen am Leistungspotenzial der Mannschaft, nicht ganz realistisch.“ Aber sag den Amerikanern, dass sie Geduld haben müssen. Sie sind die Weltmacht Nummer eins, sie wollen es auch im Fußball werden – und das nicht morgen, sondern gestern.

Mit dem Rucksack durch Amerika

Vor fünf Jahren haben sie Klinsmann verpflichtet. In New York trat Verbandspräsident Sunil Galati stolz vor die Mikrofone, um den Hexer zu präsentieren, diesen Vater des deutschen Sommermärchens 2006 und bekennenden Beutekalifornier. Die schönsten alten Geschichten machten noch mal die Runde, wie Klinsmann schon 18-jährig mit dem Rucksack durch Amerika trampte, und als sich herumsprach, dass der Londoner „Observer“ den weltoffenen Stuttgarter auch noch als „coolsten Deutschen seit Marlene Dietrich“ rühmte, hat ihn Amerika vollends begeistert adoptiert. Die Deutschen, hieß es, haben uns immer verstärkt, Levi Strauss verdanken wir die Blue Jeans, Wernher von Braun hat uns auf den Mond geschossen, auch Henry Kissinger war kein Grund zum Meckern, und schon gar nicht Albert Einstein. Hinter dem Ulmer war Klinsmann plötzlich der zweitgrößte Schwabe Amerikas, und mit der Erfolgsformel E = mc² versuchte er, den US-Fußball aufzubauen.

„Das ist der Ball“, erklärte Klinsmann den US-Boys – worauf ihn einer der staunenden Jungs kurz danach neugierig bat: „Kann ich den noch mal sehen?“

Klinsmann, der Pionier. So oder ähnlich hat er angefangen. Und alte Zöpfe abgeschnitten. Und Spieler aussortiert, worauf es erstmals Ärger gab. Die Vorwürfe der Ausrangierten reichten von den „wirren Gedanken“ des Trainers bis zu dessen Ideen in puncto Ernährung oder Yoga – „als ob“, spottete einer der anonymen Aufständler, „Pelé und Maradona je Yoga gemacht hätten.“

Er hatte keinen Maradona

Für Klinsmann sah das wahre Problem anders aus: Er hatte weder einen Pelé noch einen Maradona.

Deshalb holte er jeden Deutschen ins Team, den er in der Bundesliga fand und der auch einen US-Pass hatte, von Fabian Johnson über Timothy Chandler bis Jermaine Jones. Dafür schickte er den alten US-Volkshelden Landon Donovan in die Rente – worauf ihn in einer TV-Talkrunde in ESPN ein Feindseliger als deutschen Besserwisser und Klugscheißer hinstellte und giftete: „Verschwinde aus Amerika!“ Aber Klinsmann ist dann nur zur WM nach Brasilien verschwunden, um seinen Kritikern zu zeigen, wo der Bartel den Most holt.

Danach war wieder alles Praline. Im „Time“-Sonderheft 2014 über die Größen der Welt erschien Klinsmann unter den „Gesichtern des Jahres“ und wurde als Heilsbringer hymnisch gefeiert, hören wir kurz rein: „Als die Bars der Nation sich füllten mit schreienden, feiernden, gesichtsbemalten Fans, war das der jähe Umkehrpunkt – diese Fußball-WM ließ unsere nationale Vergangenheit, das liebe, alte Baseball, urplötzlich aussehen wie das Spiel unserer Großväter oder gar wie unsere Großväter selbst.“

Dieser Botnanger Bäckersbub, sagten sich die Amerikaner, backt uns demnächst die ganz großen Brötchen.

Aber so was braucht Zeit. Selbst im Land der unbegrenzten Möglichkeiten wachsen die fußballerisch Hochbegabten nicht auf dem Baum, und bei Rückschlägen bekam Klinsmann schnell wieder sein Fett weg. Oder wenn er seinen US-Torjäger Clint Dempsey öffentlich dafür kritisierte, dass der von den Tottenham Hotspurs in die weit weniger leistungsfördernde und wettbewerbsfähige US-Liga wechselte. Fast füsiliert hätten ihn deren Bosse dafür, dass er die heimische Liga kleinredete.

Die nackte Wahrheit

Klinsmann sagte die nackte Wahrheit. Aber gegen die Selbstüberschätzung der US-Liga war schon in den späten 70ern kein Kraut gewachsen, als bei Cosmos New York die alten Kanonen Pelé, Beckenbauer, Chinaglia und Carlos Alberto spielten. Cosmos hielt sich für die Krönung des Fußballs, ging stolz auf Europatournee – und nach dem 1:7 gegen den FC Bayern und dem 1:6 gegen den VfB schnell wieder erschrocken nach Hause.

Das ist das Problem der Amerikaner. Als Klinsmann mit den US-Boys einmal in Italien 1:0 gewann, stand das Land kopf – im Überschwang wurde komplett übersehen, dass die Azurblauen sich an dem Abend nur die Füße vertraten, mittels einer Art Gymnastik für werdende Mütter. In der brutalen Wirklichkeit, wenn es wie zuletzt in der WM-Qualifikation gegen Costa Rica oder Mexiko eng wird, ist die Ernüchterung dann gewaltig – und Heckenschützen, Blindgänger, Ex-Nationalspieler und sonstige Experten melden sich zu Wort und fragen drauflos, warum Klinsmann gegen die Mexikaner so offen gespielt hat, statt die von Donald Trump empfohlene Mauer zu bauen.

Jetzt sind wir alle gespannt, ob der pfälzische Saumagen den Amerikanern besser bekommt als der schwäbische Einstein.