Anlässlich des Spiels bei Hannover 96 erinnert unser Kolumnist Oskar Beck an die drei Ex-Hannoveraner beim VfB Stuttgart – und an viele weitere Fehleinkäufe.
Stuttgart - Nick Nolte, der alte Haudegen aus Hollywood, hat nicht nur als „Der Gejagte“ Aufsehen erregt, sondern auch mit der oscarreifen Behauptung: „Frauen tun für ihr Äußeres Dinge, für die jeder Gebrauchtwagenhändler ins Gefängnis kommt.“
Eine Gänsehaut des Entsetzens kriecht einem da spontan über den Rücken, denn wir ahnen alle, was uns dieser Querdenker sagen will: Bevor man sich in ein renoviertes Fahrzeug oder eine Frau verliebt, sollte man gründlich am Lack kratzen und gut hinschauen, sonst gibt es am anderen Morgen ein böses Erwachen.
Noch schlimmer ist es nur im Fußball.
Wer einen Kicker kauft, muss mit allem rechnen. Der heutige VfB-Gegner beispielsweise hat da ganz abscheuliche Erfahrungen gemacht. Vor gut zwei Jahren erwarben die Hannoveraner in einer Blitzaktion den Brasilianer Franca, und den begeisterten Fans wurde er angekündigt als unerschütterlicher Zweimeterhüne für die löchrige Abwehr – aber der Neue, der dann kam, war cirka Einsachtzig und eher Mittelfeld, hatte außerdem Tuberkulose und machte kein Spiel.
Bobics Deals mit Hannover
Dass die Hannoveraner den Fehlgriff verkraftet haben, verdanken sie nicht zuletzt ihrem besten Kunden, dem VfB, denn der hatte ihnen kurz zuvor im Rahmen des kühnen Dreifachschlags die ungeschliffenen Diamanten Karim Haggui, Konstantin Rausch und Mohammed Abdellaoue abgenommen. Der damalige Stuttgarter Sportchef Fredi Bobic war von dem Deal so begeistert, dass sein Hannoveraner Amtskollege und alter Bekannter Dirk Dufner spontan zu ihm gesagt haben soll: „Fredi, für zwei Millionen hätte ich Dir noch einen blinden Busfahrer und unseren beinamputierten Tellerwäscher aus der Vereinskantine.“
Dieselben bösen Zungen behaupten heute, dass die Tabellenlage des VfB als Spätschaden perfekt passt zu seiner über Jahre hinweg waghalsig und wild zusammengekauften Mannschaft – viele lästern sogar schamlos, der VfB habe nicht lange gefackelt, wenn eine preiswerte Katze im Sack angeboten wurde oder es bei „Schnäppchen.de“ hieß: Ex-Kopfballungeheuer oder routinierter Strafraumschreck umständehalber abzugeben.
Man hätte es wissen können
Die Branche ist, zugegeben, tückisch. Im Fußball tummeln sich ausgeschlafene Kaufleute, die beim Verhandeln nicht gleich erröten. Das ist übrigens eine uralte Erkenntnis, denken wir nur an die alarmierende Geschichte über den ehemaligen Nürnberger Meisterspieler Zvezdan Cebinac, hören wir kurz rein bei Wikipedia: „Bis heute wird spekuliert, dass Zvezdan ČCebinac für seinen weniger talentierten Zwillingsbruder Srdan vor der Saison 1965/66 ein Probetraining beim 1. FC Köln absolvierte, um ihm zu einem Vertrag zu verhelfen.“ Drei Spiele hat Srdan dann gemacht, ehe die Kölner ihn mit Mühe und Not wieder los wurden.
Was macht der VfB jetzt mit seinen drei Hannoveranern? Oder anders gefragt: Was sollte man beim Spielerkauf grundsätzlich unbedingt beachten?
Früher war es einfacher. Man hatte mehr Zeit, und wenn man auch noch Glück hatte, hatte man einen Trainer wie Otto Rehhagel, der sagte: „Ich bin ein erfahrener Cowboy, mir pinkelt keiner in die Satteltasche.“ Bevor der große Otto einen Torjäger kaufte, hat er ihm erst das Schussbein aufgesägt und die Jahresringe gezählt, dann lud er den Kandidaten zum Essen ein, und Beate Rehhagel war auch dabei und entschied nach der Charakterstudie: „Den nehmen wir.“ Oder auch nicht.
Dieses Vorgehen ist professionell und immer noch zeitgemäß, denn ganz ähnlich wird es in der modernen Wirtschaft praktiziert. Für eine Topstelle in der Industrie wird ein Headhunter ausgesandt, der bringt drei oder vier Kandidaten, die prüft dann der Firmenchef auf Herz und Nieren, sammelt Erkenntnisse übers Internet, lädt sie zum „Gabeltest“ ein, also zum Essen – und weiß dann, ob sie sabbern oder schlürfen.
Denken wir an die Siebziger zurück
Im Fußball ist es anders. Sagen wir es kühn: Die sportliche Abteilung, bestehend aus Trainer und Manager, hat häufig Narrenfreiheit. Man lässt sich ein Video mit den tollsten Szenen eines Scharfschützen aus Äquatorialguinea kommen oder verpflichtet ihn gleich aus dem Katalog – und betet.
Aber kommen wir zurück zum VfB. Bevor der in den Siebzigern zum ersten Mal abstieg, war es so: Präsident war der Verleger Hans Weitpert, man nannte ihn aufgrund seiner schillernden Haartracht „Lila Hans“, und unter seiner Führung gingen im Rahmen einer groß angelegten Verkaufsaktion so spielgestaltende Profis wie Köppel, Handschuh, Frank, Schwemmle und Haug verloren, oder Gilbert Gress, der französische Star. Was im Gegenzug geholt wurde, vertrug oft das Schnaufen nicht. In den Protokollen alter Vorstandssitzungen ist vermerkt, dass Weitpert zur Behebung der VfB-Abwehrschwäche das Präsidiumsmitglied Heinz Hübner, den er zum „Chefeinkäufer“ beförderte, mit der Suche nach einem „Librio“ betraute. In einer Jahreshauptversammlung verblüffte Weitpert mit dem Satz: „Der Spieler Regitz ist ein guter Ersatzmann geworden.“ Bei Stars der Nationalmannschaft sorgte er ebenfalls für Furore, indem er Briefe versandte, in denen er den „lieben Herrn Höttges“ oder den „lieben Herrn Grabowski“ um Preisgabe ihrer finanziellen Vorstellungen bat, da der VfB an einer Verpflichtung interessiert sei.
Altstratege von der Elfenbeinküste
Man muss an diese Zeiten heute oft wieder denken – wie neulich in der Nachspielzeit in Sinsheim, als Sebastian Rudy den VfB vollends in Richtung Abstieg schoss. Seinen VfB. Man hat ihn einst verkauft. Geholt wurde dafür Mauro Camoranesi, ein alter Fuchs von der Ersatzbank bei Juventus Turin. Fredi Bobic hat den Geldbeutel zwar inzwischen weitergereicht an Robin Dutt, aber wie selbstverständlich hat der dann gleich einen 30-jährigen Altstrategen von der Elfenbeinküste verpflichtet, den der FC Basel nicht mehr wollte.
Warum werden eigentlich nie die Fans befragt?
Lachen Sie nicht, auch das hat es schon gegeben, bei Schalke 04, vor 40 Jahren. Marinho hieß der schrille Vogel, um den es damals ging, er war ein brasilianischer Starverteidiger, und der damalige Präsident Siebert ließ 70 000 Fans im Stadion über seine Millionenverpflichtung abstimmen. Als anderntags ausgezählt werden sollte, waren die dreißig Urnen mit den Stimmzetteln aber plötzlich leer, und man fand nur noch einen Pappkarton mit ein paar hundert Stimmen, von denen die meisten zwar ein Ja waren – aber angesichts der rätselhaften Vorgänge sagte der Verwaltungsrat dann doch lieber nein.
Wer haut beim VfB dazwischen?
Robin Dutt ist gefordert, jetzt oder nie. Falls in Hannover heute der Dufner wieder kommt und dem VfB drei weitere preiswerte Kanonen, vier kaum gebrauchte Eckfahnen und seine hinkende Großmutter andrehen will, erwarten wir von Dutt, dass er auf den Tisch haut wie einst Klaus Ernst von den Linken, als er in Richtung des politischen Gegners fauchte: „Bevor ich Ihnen vertraue, bitte ich lieber den Würger von Boston um eine Halsmassage.“
Denn in einem sind wir VfB-Schwaben uns hoffentlich inzwischen einig: Um abzusteigen, hätten wir die drei Hannoveraner nicht gebraucht – das Geld hätten wir besser letzten Sommer für zwei bis drei weitere Nürnberger Absteiger ausgegeben.