Wer Europameister werden will, fragt am besten Karlheinz Förster. Der frühere Kapitän des VfB Stuttgart weiß, wie es geht – er war Europameister.

Stuttgart - Per Mertesacker ist 27 Jahre alt und Mats Hummels gerade mal 23 – aber neulich gegen die Schweiz haben sie als Abwehrkrücken so alt ausgesehen, dass wir Nostalgiker seither schlaflose Nächte verbringen, ins Kissen weinen und uns fragen, ob Karlheinz Förster nicht immer noch doppelt so gut wäre, obwohl der Mann mehr als doppelt so alt ist.

 

Wie fühlt man sich mit 53?

Der Mann, der uns gegenübersitzt, verzieht das Gesicht, senkt den Blick und deutet gleichzeitig auf mehrere Gebeine und Gelenke, was ungefähr heißen soll: „Wie viel Zeit haben Sie mitgebracht?“ Dann fängt er an, seine vielfältigen Gebrechen aufzulisten, ganz langsam, zum Mitschreiben: Linkes Sprunggelenk versteift, dem rechten droht dasselbe Los, ein Hüftgelenk krächzt, und eines seiner Kniegelenke ist auch nicht vergnügungssteuerpflichtig.

„Die Sünden der Vergangenheit rächen sich“, ahnt Förster, sie machen ihm peu à peu den Prozess. Er war der perfekte Profi, stand immer aufopferungsvoll seinen Mann, hat die Schmerzen ignoriert oder sie sich vor dem Spiel vom Doc wegspritzen lassen, aber im Nachhinein betrachtet war es ein Schuss ins Knie. Heute ist er Spielerberater und würde seine Klienten vor dieser Selbstaufopferung mit Händen und Füßen bewahren – aber so war es halt damals, „es gab keine Reha und nix“, sagt Förster und ist froh, dass er nicht auch noch eine versteifte Nase hat. Die brach ihm einst krachend – aber Förster hat geschwind die Wrackteile zusammengesteckt und weitergespielt, „das war gar kein Thema“.

Ohne Stützstrümpfe im Clubheim

Mit 32 war dann Schluss mit dem Raubbau und das Verfallsdatum früh erreicht. Heute ist der Sport, den Karlheinz Förster treibt, nur noch familienfreundlich: „Radfahren und Spaziergehen“, sagt er – daheim im badischen Schwarzach, mit seiner Frau Petra.

Und Fußball?

„Fußball?“ Da lacht er gequält. Und beneidet den Bruder. Zwar hat es auch Bernd am Knie und eine künstliche Hüfte, er kann aber mit den Alten Herren des VfB wenigstens noch ein bisschen kicken. „Ich tauge da nur noch zum Trainer“, sagt Karlheinz. Immerhin schafft er es ohne Stützstrümpfe zu unserem Treffen ins VfB-Clubheim. Drunten in Cannstatt hat einst begonnen, was zu Försters glorreichen 80ern führte. 1982 Fußballer des Jahres. 1984 Deutscher Meister. 81 Länderspiele. 1980 Europameister. 1982 und 1986 Vizeweltmeister. Und dieser einsame Rekord: 23 Länderspiele unbesiegt.

Von Mitte 78 bis Ende 80 war es, salopp gesagt, wurscht, wie die Gegner hießen. Bundestrainer Jupp Derwall war eine rheinische Frohnatur, und seine strategischen Marschrouten, so erinnert sich Förster, hörten sich so an: „Jungs, lasst uns ein gutes Spiel machen, dann können wir hinterher ein gemütliches Bierchen trinken und lecker Schnittchen essen.“

Waren Jupps Europameister stärker als die kommenden von Jogi? Förster weiß, dass man gestern nicht mit heute und Äpfel nicht mit Birnen vergleichen sollte, schwört aber beim Rückblick auf das damalige Potenzial: „Schumacher, Kaltz, Dietz, Schuster, Stielike, Briegel, Rummenigge, Allofs, Magath, Müller – da stimmte die Struktur. Wir hatten starke Einzelspieler, die durch ihre tragende Rolle in ihren Clubs zugleich Führungsspieler waren. Jeder wusste, was zu tun war.“

Der schärfste Zweikämpfer aller Zeiten

Die Frage, ob Löws Ballkünstler jetzt womöglich noch einen Hauch filigraner agieren, lässt Förster zwar zu, grätscht sie dann aber elegant aus der Gefahrenzone. „Bei uns“, wehrt er sich virtuos, „war das auch kein Rumpelfußball.“ Und das noch im alten, mannorientierten Fußballsystem, dem der hautengen Bewachung – „heute, in der ballorientierten Welt“, verkündet der Veteran der Verteidigungskunst, „hat es der Spielfluss leichter“.

Obwohl Förster das Gen für die messerscharfe Manndeckerei schon mit der Muttermilch bekam und eher zum Zerstören geboren war, ist er durchaus fasziniert von diesem frei schwebenden Özil-Fußball der Neuzeit und klopft sich mitunter auf die Schenkel vor Freude – vergisst aber auch in der nackten Begeisterung über diese Zauberei nicht das alles Entscheidende: „Der schönste Fußball ist erst perfekt, wenn er am Ende gewinnt.“

Und viele müssen erst mal bezwungen werden, warnt Förster – die üblichen Verdächtigen, von Holland bis Italien, und vor allem nach wie vor Spanien. Wie sieht der wunderbare Tag genau aus, an dem Jogis Jungs die Spanier erstmals schlagen?„Es wird ein Durchschnittstag der Spanier sein und ein Supertag von uns“, verrät der alte Realist Förster im Rahmen der höchsten Formulierungskunst. Also kein Tag wie beim EM-Finale 2008 – oder beim WM-Halbfinale 2010, als er vor dem Fernseher saß und nach den ersten Ballzirkulationen der Xavis, Iniestas und Alonsos wusste: „Irgendwann machen sie ihr Tor, und das Spiel ist verloren.“ Was könnte die Lösung sein?

Das liebe Gesicht als Tarnung

Der schärfste Zweikämpfer aller Zeiten grübelt nicht lange, sondern rät rustikal: „Man muss den Spaniern wegnehmen, was sie am liebsten haben: den Ball. An den dürfen wir sie gar nicht erst kommen lassen. Das Mittelfeld, ihr Prunkstück, muss früh attackiert werden, oder sagen wir es auf Deutsch: Wir müssen ihr Spiel zerstören.“

Hart und humorlos. Und notfalls wortlos, wie er es als kompromisslosester Nahkämpfer jener 80er Europameister gemacht hat, mit den abschreckenden Waffen der einschüchternden Körpersprache – „ich habe während des Spiels nie mit einem Gegenspieler geredet, kein Wort“.

Und wie war die Reaktion? „Manchmal hat mich einer angemacht“, erinnert sich Förster, „aber der hat dann gleich die Antwort bekommen.“ Nicht mündlich oder schriftlich, sondern schmerzlich – sozusagen der Ritterschlag war für ihn das Wehklagen, mit dem sich ein Gegenspieler nach dem Abpfiff einmal in den grässlichen Verdacht verstieg: „Sein liebes Gesicht hat der Karlheinz Förster nur als Tarnung.“

Das nette Gesicht hat er auch heute noch, nur zum Grätschen ist er nicht mehr gelenkig genug.

Schade, jammert Jogi.