Der Deutsche Fußball-Bund bekniet Joachim Löw, für den jämmerlichsten deutschen WM-Auftritt aller Zeiten bloß nicht die Verantwortung zu übernehmen. Denn eine Bundestrainersuche ist heikel, furchtbare Dinge sind da in der Vergangenheit passiert, schreibt Oskar Beck in seiner Kolumne.

Stuttgart - Selten zuvor ist ein Bundestrainer vom Deutschen Fußball-Bund so gefeiert worden wie Jogi Löw nach der WM-Blamage in Russland. Die DFB-Bosse haben seine planlose Taktik und das blutleere Gekicke seiner unmotivierten Ex-Weltmeister nicht überbewertet, sondern nach einer beschwingten Telefonkonferenz dieser Tage noch mal einstimmig und schunkelnd erklärt: „Für einen Umbruch ist Joachim Löw genau der Richtige.“

 

Für dieses klare Bekenntnis gab es zwei gute Gründe. Erstens befreite es DFB-Präsident Reinhard Grindel vom schweren Verdacht, dass seine vor der WM ohne Not vorgenommene Vertragsverlängerung mit Löw blanker Unsinn war.

Zweitens: Es gibt keinen anderen.

Klopp, Tuchel und Nagelsmann sind zu gut und nicht zu kriegen, und alle weiteren Namen vertragen kaum das Schnaufen. Steffi Jones, die Ex-Bundestrainerin, wäre zwar gerade frei und preiswert zu haben – aber der DFB hat dann doch lieber den in den letzten Tagen im Schwarzwald über sich grübelnden Löw bekniet, für den Zustand seiner Truppe und den jämmerlichsten deutschen WM-Auftritt aller Zeiten nicht die Verantwortung zu übernehmen.

Nachfolger für Jupp Derwall 1984: „Warum nicht der Franz?“

Der DFB fürchtet eine Bundestrainersuche nämlich wie der Teufel das Weihwasser. Furchtbare Dinge sind da in der Vergangenheit passiert. Nach der EM 1984 beispielsweise, als Jupp Derwall seine Titelverteidiger in Paris viel zu früh aus dem Turnier trainierte, hätte der DFB ohne die Jungs von „Bild“ den Laden dichtmachen können. Es waren dramatische Stunden, in denen in der „Bild“-Krisenzentrale damals die Köpfe rauchten – bis plötzlich einer sagte: „Warum nicht der Franz?“

Das war eigentlich undenkbar, denn der Kaiser war als „Bild“-Kolumnist unersetzlich, fachkundig hatte er bis dahin Überschriften wie „Ruiniert Derwall unseren Fußball?“ mit zündenden Argumenten untermauert. Aber plötzlich ging es um mehr, nämlich ums Land, und „Bild“ beschloss: Der Kolumnist wird freigegeben – und mit sofortiger Wirkung Bundestrainer. Es gab nur noch ein Problem. „Wer“, fragte einer, „sagt es dem Franz?“

Im Hotel war Beckenbauer nicht aufzutreiben, und der Redaktionsschluss nahte. Das sind die Momente, die nach einer blitzschnellen Entscheidung schreien, und unbürokratisch rang sich „Bild“ durch zu der Schlagzeile: „Franz: Ich bin bereit.“ Es musste nur noch irgendwie dem Franz mitgeteilt werden. Ein „Bild“-Reporter spürte den Gesuchten dann auf, und bei einem Glas Wein im Hotel Henri IV in St-Germain-en-Laye konfrontierte er Beckenbauer, der sich zunächst sträubte, mit dem Unabänderlichen. So oder ähnlich lief die Kaiserkrönung damals ab, und bald danach wurde Deutschland unter Beckenbauer Vizeweltmeister und Weltmeister.

Nachfolger für Berti Vogt 1998: Auf Teneriffa wird DFB-Präsident Braun fündig

Ohne „Bild“ tat sich der DFB schwerer.

Ganz verzweifelt war Präsident Egidius Braun, als er nach dem Viertelfinal-Aus bei der WM 1998 nach einem Nachfolger für Berti Vogts fahndete. Er stocherte mit dem Stange im Nebel, jeden Tag fühlte sich ein anderer alter Kämpe als kommender Bundestrainer, auch Ex-Weltmeister Paul Breitner. Der Bayer hatte am Tag des Vogts-Rücktritts rigoros verlangt, „dass die alten Zöpfe jetzt abgeschnitten werden“, worauf ihn Braun sofort anrief und ihn um ein Urteil zu mehreren Teamchef-Kandidaten bat.

„Nach dem vierten“, erinnerte sich Breitner später, „habe ich gesagt: Hören Sie auf mit dem Schmarrn, bei den Namen wird mir ja schlecht. Nach einer Viertelstunde fragte mich Braun: Möchten Sie denn Teamchef werden?“ Breitner sagte zu, doch anderntags teilte Braun ihm mit: „Herr Breitner, ich muss das Ganze zurücknehmen. Wenn Sie sagen, Sie machen Tabula rasa, dann muss ich ja damit rechnen, dass Sie auch mich rasieren.“ Auf Teneriffa wurde Braun schließlich fündig, bei Ex-Trainer Erich Ribbeck, der dort im Vorruhestand lebte, als Golfspieler. „Sir Erich“ setzte die EM 2000 dann sofort in den Sand, und als Bundestrainer fand der DFB jetzt Christoph Daum, den bekannten Hexer und Handaufleger.

Nachdolger für Rudi Völler 2004: Jürgen Klinsmann hatte gerade in Kalifornien nichts zu tun

Alles schien diesmal bestens, bis Uli Hoeneß in einem Interview die rätselhafte Bemerkung ausstieß: „Der DFB kann doch keine Aktion ‚Keine Macht den Drogen‘ starten, und Herr Daum hat vielleicht damit etwas zu tun.“ Das haarige Ende ist bekannt: Daums kokainhaltige Frisur hielt der gerichtsmedizinischen Analyse nicht stand, und der DFB war froh, dass sich Rudi Völler, der nie Trainer war, als Notnagel opferte.

Nach Völlers EM-Flop 2004 half dann nur noch das biblische Motto „Suchet, so werdet ihr finden“ (Matthäus 7, 7), aber es wurde nicht Lothar Matthäus. Denn zufällig besuchte Alt-Bundestrainer Berti Vogts in Kalifornien seinen alten Weggefährten Jürgen Klinsmann, und der hatte gerade nichts zu tun. Klinsmann brauchte dann nur noch einen Co-Trainer. Als sich die Suche hinzog, sagte Franz Beckenbauer tröstend: „Irgendeiner wird es schon machen.“

Das war dann Jogi Löw.

Vierzehn Jahre lang war der dann Co. und anschließend Chef, und es waren für den DFB traumhafte Jahre ohne Stress. So soll es bleiben, sagen sich die DFB-Bosse deshalb einhellig, und vermutlich haben sie Jogi Löw in den letzten Tagen auch noch einstimmig den alten Hit von KC and the Sunshine Band ins Ohr gesungen: „Please, don’t go.“