Seit einer Woche schlagen sich die Fußball-Stammtische nun schon die Köpfe ein – und alles nur wegen Klose, meint StZ-Kolumnist Oskar Beck.

Stuttgart - Miroslav Klose kann froh sein, dass er Fußballer geworden ist und nicht Politiker. Wenn schon diesen Sonntag Bundestagswahl wäre, könnte er als Kanzlerkandidat einpacken – rapide sind seine Umfragewerte diese Woche an den deutschen Stammtischen in den Keller gerauscht, um Kopf und Kragen hat er sich geredet mit dem verhängnisvollen Satz: „Ich habe immer für den Fußball gelebt, ich habe nie geraucht und Alkohol getrunken.“ Schlagartig ist der Torjäger der Nationalmannschaft damit nicht mehr mehrheitsfähig, denn ungefähr jeder dritte mündige Wähler gießt sich nach glaubhaften Studien der Suchtforschung gerne mal tüchtig einen hinter die Binde, oft genug flankiert von einem entspannenden Lungenzug – und erst recht unten durch mit seinem Gesundheitsrezept ist Klose bei der einflussreichen Gruppe der Alkoholiker und allen, die es noch werden wollen.

 

Viele gusseiserne Aschenbecher sind jedenfalls mit Wut und Wucht von dampfenden und durstigen Wirtshaushockern auf die Stammtische geknallt worden, seit Klose vorigen Freitag nach seinem Tor gegen Österreich erklärt hat, warum er mit 35 immer noch fit und kein Wrack ist. Als Milchshake-Miro wird er von den einen zur Strafe verspottet, und die anderen erzählen sich wiehernd den berühmten Dialog zwischen dem Patienten und dem Arzt.

„Rauchen Sie?“, fragt der Arzt. „Nein.“ „Alkohol?“ „Nein.“ „Frauen?“ „Nein.“ Darauf der Doktor: „Warum wollen Sie dann noch leben?“

Die Verbindung zwischen Geist und Flaschengeist

Klose spaltet die Nation. Ein tiefer Graben tut sich auf zwischen den Gesundheitsfanatikern und den Genießern, und Letztere schicken als ihr Lieblingsbeispiel ausgerechnet einen Toten vor, den genialen brasilianischen Denker und Trinker Sócrates. In den 80ern spielte der in Italien, gab ein Interview, bei dem er soff und qualmte, und auf die Frage, ob ihm das als Fußballer denn guttue, nahm Socrates den nächsten Schluck und sagte durch die Rauchwolke: „Ich bin Fußballkünstler.“ Als Lebenskünstler wurde er selbst dann noch gefeiert, als er an dem Leben, das er geführt hat, viel zu früh gestorben ist. Geist und Flaschengeist wurden auf erstaunliche Art miteinander in Verbindung gebracht, und viele Alkoholiker schöpften daraus erleichtert die Kraft zu der Frage: Wäre dieser geistreiche Fußball, der Spirit des großen Sócrates, gar nicht denkbar gewesen ohne seinen Hang zu den Spirituosen?

Wir nähern uns in diesem Moment gefährlich dem kritischen Punkt, an dem die Diskussion kaum noch das Schnaufen verträgt: Sind Alkoholiker die besseren Kicker? Max Merkel hat diese Schnapsidee schon in der Gründerzeit der Bundesliga zum viel diskutierten Thema gemacht. In alten Schriften ist nachzulesen, dass er als Zampano bei 1860 München im Training versuchsweise die Abstinenzler gegen die Trinker spielen ließ. Das ungleiche Duell endete 1:7. „Sauft’s weiter“, sagte darauf der stramme Max, und die Sechziger wurden Deutscher Meister.

Das spricht zunächst alles nicht direkt für Klose, sondern eher für den schlimmen Verdacht, dass einem Fußballer erst im Rausch die kreativsten Dinge gelingen, stimuliert und enthemmt durch einen möglichst im Sturztrunk genossenen, abendfüllenden Kasten Bier – auch Mario Basler hat zu einem gut gezapften Pils selten Nein gesagt und im Anschluss daran manchen Eckball direkt verwandelt. Aufsehen erregte auch ein neueres Interview, in dem er fleht: „Wenn ich sterbe, möchte ich Zigaretten mit auf die lange Reise nehmen. Keine Blumen bitte!“ Eine Stange Glimmstängel wünscht er sich als letzten Gruß in den Sarg – und wer will, kann einen Kasten Bier hinterherwerfen.

Johan Cruyff paffte zwei Schachteln am Tag

Ob Baslers Glas in dem Moment halb leer oder halb voll war? Auf jeden Fall deckt sich seine Philosophie mit der vorzüglichen Erfahrung, die er als Fast-Europameister 1996 (er wurde damals mitten im Turnier nach Hause geschickt) gemacht hat – demnach wurden als Erfolgsgeheimnis abends „einige Gläser Bier, Wodka-Lemon oder Gin-Tonic geleert und ein paar Marlboros geraucht“. Wer hat am Ende des Tages recht: Miro oder Mario? Was spricht eher für Kloses nüchternen Lebenswandel – und was mehr für das alternative Wandeln auf dem schmalen Grat zwischen Bierglas und Kippe?

Für uns Sprudeltrinker in der Nichtraucherecke ist der Fall glasklar: Tabak fördert erstens die Schuppenflechte, und wer raucht, hat überdies weniger Sauerstoff im Blut. Zudem verkleinern und verkrampfen sich die Lungenbläschen – und dieser Nachteil ist selbst mit vier oder fünf Bier nur schwer wettzumachen. Spontan denken wir an Johan Cruyff. Der große Holländer hatte sechs Finger – der sechste war die Zigarette. Er paffte zwei Schachteln am Tag. „Bei Halbzeit rauchte er eine Camel ohne Filter“, erinnern sich Mitspieler. Relativ früh dankte König Johan ab, und bald folgte einem Herzinfarkt eine Bypass-OP.

Für Kloses These spricht aber noch ein anderes abschreckendes Beispiel, das er vor seiner Haustür, in Kaiserslautern, schon als früher Miro erlebt hat: Walter Frosch. Der war als FCK-Verteidiger ein besonders Lebensbejahender und verriet einmal den „Bild“-Jungs: „Ihr könntet mir das Mädchen von Seite 1 nackt auf den Bauch binden, ich würde sie sofort gegen eine Zigarette eintauschen.“ Später wurde Frosch sehr krank, wiederholt operiert und sagte: „Mein größter Gegner war die Kneipe.“

„Weiß einer, wo Garrincha wohnt?“

So gibt es unter den Fußballern viele namentlich bekannte Argumente, die stichhaltig gegen zwei Schachteln Zigaretten am Tag sprechen, genossen womöglich noch in Tateinheit mit drei bis vier ex hinuntergeschütteten Steinhägern. Lange vor dem Engländer Paul Gascoigne schwankte schon Garrincha, der legendäre Brasilianer, nachts raumgreifend nach Hause und fragte sich durch: „Weiß einer, wo Garrincha wohnt?“ Und gar schon mit 25 ging George Best die Luft aus, der bei Manchester United der größte Dribbler aller Zeiten war. Wieso er die Risiken der Leberzirrhose für überschaubar hielt? Man kann auch ihn nicht mehr dazu befragen.

Es spricht, von den Friedhöfen aus betrachtet, also allerhand für Kloses Rezept – doch die Gegenseite verweist oft auf Pistensäue à la Bode Miller. Seit ein schwedischer Barkeeper protokollierte, wie sich der wilde US-Hund nächtens für einen Super-G in Form brachte („Nach dem Champagner ging er zum Tequilla über, danach gab es Jägermeister und sechs Wodka mit Red Bull“), sind sämtliche Suchtgefährdeten unter uns überzeugt, dass Miller nur deshalb x-facher Ski-Weltmeister wurde, weil er sich zum Frühstück einen Jack Daniels hinter die Binde goss.

Der härteste Konter, der an den Stammtischen gegen Klose vorgebracht wird, ist Eckhard Dagge, ein Mittelgewichtler, der sagte: „Viele Weltmeister wurden Alkoholiker – ich bin der einzige Alkoholiker, der Weltmeister wurde.“

War Klose je Weltmeister? Wir hätten ihn gerne weiter verteidigt, aber an der Stelle gehen uns die Argumente aus.