Wie reitet man mit einem Hintern vier Pferde? Das schafft nur Professor Dr. med. Dr. jur. Heiko Striegel, Arzt beim VfB Stuttgart.

Stuttgart - In einer Umfrage ist ermittelt worden, wer die Idole von heute sind. Jesus Christus ist Sechster geworden. Das ist nun allerdings auch schon wieder ein paar Jahre her. Inzwischen wird er links und rechts überholt von aufgespritzten C-Promis ab Körbchengröße G aufwärts - beispielsweise ist eine Unterschrift mit Widmung der Kultblondine Daniela Katzenberger für uns Otto Normalverdiener gar nicht mehr erschwinglich.

 

Spaßeshalber haben wir bei Ebay nachgeschaut, was dagegen eine Autogrammkarte des Mannes kostet, von dem im Folgenden die Rede ist: Unter "Sofort kaufen" fand sich ein preiswertes Angebot für 1,99 Euro, das dann auf 1,39 reduziert und als Schnäppchen für 1,18 Euro vollends verscherbelt wurde. Das klingt nach Ladenhüter.

Dabei ist er der beste Mann des VfB.

Professor Dr. med. Dr. jur. Heiko Striegel heißt diese Kapazität in voller Länge, und überhaupt ist er kein Gewöhnlicher. Unsereins verabschiedet sich morgens: "Ich geh jetzt ins Büro" - und die Frau nickt. Striegels Frau dagegen fragt: "In welches?"

Irgendwas passiert immer in dieser Seuchensaison

Das Büro, in dem wir den doppelten Doktor an diesem Morgen treffen, ist seine medizinische Praxis im Haus des Sports neben der Mercedes-Benz-Arena, wo er seine VfB-Pflegefälle und die Athleten des Olympiastützpunkts betreut. Aber genauso gut könnte er uns in seiner Rechtsanwaltspraxis in Bietigheim empfangen - oder an der Universität Tübingen, wo er der Abteilung Sportmedizin als stellvertretender Ärztlicher Direktor dient. Spontan denkt man an Ronald Reagan. Als der alte US-Präsident noch Westernheld in Hollywood war, hat er als Cowboy mit einem Hintern zwei Pferde geritten.

Doc Striegel reitet vier - und auf seine Steckenpferde und Ehrenämter kommen wir noch.

Den VfB verarztet der Vielseitige jetzt im sechsten Jahr, und fünf davon waren besser. Wenn er zum Training aufs Clubgelände hinüberjoggt, hat er die schmerzstillende Spritze in Gedanken schon gezückt in der Hand, denn irgendwas passiert immer in dieser Seuchensaison. Der eine greift sich ans Knie, der andere bricht sich die Rippe, und der Torwart mindestens den Finger in der Nase. Die Risse gehen durch die ganze Saison, der VfB hat das Pfeiffersche Drüsenfieber. "Pfosten, Latte, Verletzungen", zählt Striegel das unendliche Elend auf, und er sieht dabei aus wie am 22. September 2010, als er in die offene Fleischwunde der Achillessehne von Timo Gebhart blickt.

"Die Sehne lag frei", entsinnt sich der Doc. In Nürnberg war es, sechste Minute, und bei Halbzeit wurde der Abstiegskampf auch noch zum Machtkampf, denn der Verwundete ("Verbindet mich halt") wollte ums Verrecken weiterkicken. "Keine Sekunde länger", befahl Striegel und geleitete Gebhart in die Stuttgarter Sportklinik, wo er dann "nachts um halb eins zur OP auf dem Schragen lag". Wenn für Striegel ein Tag schon nachts um halb eins zu Ende geht, hat er Glück gehabt.

Der doppelte Doc

Seine Frau Annette sieht ihn seltener als der VfB-Trainer. Sie ist Architektin, und geheiratet hat sie ihren Arzt und Anwalt auf dem Sportplatz in Sersheim bei Ludwigsburg, auf der Tartanbahn. Vorher war er nur ihr Trainer, sie war süddeutsche Spitze auf der Mittelstrecke, so wie er früher. Anno 2000 ist er sogar einmal den New York Marathon gelaufen, in 2:30 Stunden, Platz 57.

Abends wird zusammen gejoggt, und anschließend zerreißt sich Striegel, um aus den verbleibenden vier Stunden des Tages acht zu machen. Die eine Hälfte des Docs setzt sich dann an den Schreibtisch und verfasst wichtige Schriften wie das Buch "Doping im Fitnesssport", während der restliche Striegel sich auf Achse begibt, um bei Podiumsdiskussionen vor der wachsenden Dopingbereitschaft jugendlicher Leistungssportler zu warnen oder seinen weiteren Verpflichtungen im Ehrenamt nachzukommen: Antidopingbeauftragter des Landessportverbands, Mitglied der Arbeitsgruppe Recht der Nationalen Antidopingagentur (Nada), Rechtswart und Präsidiumsmitglied des Württembergischen Leichtathletikverbands.

Nebenbei trimmt er regelmäßig eine achtköpfige Läufertruppe für den Halbmarathon beim StZ-Lauf am 29. Mai. Und vor dem Schlafengehen studiert er noch seine vielfältigen Fachzeitschriften oder liest den "Kicker" geschwind quer. Wissen ist Macht. Und zum Herrschaftswissen eines Mannschaftsarztes gehört, unter anderem, den VfB-Profis den Laktatwert abzuzapfen und sie auf ihren Tauglichkeitszustand abzuklopfen. War der Nachholbedarf in puncto Fitness im Winter wirklich so beängstigend, wie von stillen Brütern gemunkelt wird? "Dazu kein Kommentar", sagt der Doc, sichtlich gezeichnet von der ärztlichen Schweigepflicht. Und vom Teamgeist.

Er stiehlt sogar dem Herrgott die Zeit

Denn auch unter dem Brustring des Mannschaftsarztes pocht ein Herz. Er zittert und leidet und sitzt auf der Bank wie auf dem elektrischen Stuhl, und gesetzt den Fall, es steht fünf Minuten vor Schluss 1:0 für den VfB und Gebhart oder Molinaro wälzen sich als sterbender Schwan im Gras, dann ist auch der doppelte Doktor nur noch ein Mensch, schiebt den Professor in sich einen Schritt zur Seite und tut, was er tun muss.

"Dann", sagt er, "laufe ich mit dem Arzneikoffer auch ein wenig langsamer auf den Platz." Normalerweise nutzt Professor Dr. med. Dr. jur. Heiko Striegel als herausragender Leistungsträger dieser Gesellschaft jede Minute - aber wenn es darum geht, dem VfB das Leben zu retten, stiehlt sogar er dem Herrgott die Zeit.