Das Satiremagazin "Titanic" nimmt den früheren Fußball-Wunderheiler Christoph Daum aufs Korn. Der Abstieg des Mental-Magiers.

Frankfurt - Kurz vor Torschluss der Saison wird die Bundesliga nochmals von einem Wechselgerücht erschüttert - die Spürhunde des Magazins "Titanic" wollen erfahren haben: "Nach Frankfurt-Debakel: Übernimmt Daum jetzt Al-Qaida?" Dass sich inzwischen schon die Satire für Christoph Daum zuständig fühlt, ist kein gutes Omen für diesen Trainer, der einst mit dem Anspruch antrat, ernst genommen zu werden. Als hochgradiger Motivationskünstler wurde er gefeiert, als Magier des Mentaltrainings - aber wenn er am Samstag mit der Eintracht in Dortmund nicht im letzten Moment Löffel verbiegt, bleibt ihm höchstens Pakistan. Ist der Zauberer entzaubert?

 

Jedenfalls schlägt ganz Frankfurt die Hände über dem Kopf zusammen, seit sich der vermeintliche Wundertrainer dieser Tage als normaler Mensch outet, wehrlos die Wirklichkeit akzeptiert und sich mit Sätzen zitieren lässt wie diesem: "Es sieht so aus, als ob wir absteigen. Gladbach und Wolfsburg sind in einer besseren Ausgangsposition. Ich glaube nicht, dass sie sich das noch nehmen lassen." Dabei baumeln ihm die Tränensäcke so tief unter den Augen, dass er fast darauf ausrutscht. Das soll Daum sein?

Daum als Retter in der Not?

Die Frankfurter Fans greifen in ihrem Frust mittlerweile zu Dachlatten, schlagen die Commerzbank-Arena kurz und klein und vermummen sich mit Kapuzen, um dieses menschliche Elend nicht länger anschauen zu müssen. Als Messias hatten sie Daum vor ein paar Wochen begrüßt, als Halbgott und Handaufleger, als Erlöser von allem Übel, als rhetorischen Feuerspucker, als starken Mann, und nun das - schier gestützt werden musste der starke Mann, als er letzten Samstag das ausstieß, was viele vollends als seinen Offenbarungseid werten: "Ich muss mich im Moment mit Durchhalteparolen und Phrasen über Wasser halten." Früher hat er mit diesen Phrasen aus Wasser Wein gemacht. Früher war das so: wer Daum in der Not geholt hatte, war ein paar Wochen später gerettet und im Jahr darauf Deutscher Meister, mindestens aber Türkischer. Man kann in Istanbul nachfragen oder beim VfB, egal, wo er war, er hat sich eingeführt mit dem zündenden Satz "Hier geht jetzt die Post ab!" - und Wort gehalten.

Früher war dort, wo Daum Trainer war, jeden Tag etwas los, sogar an Tagen, an denen nichts los war. Er hat als Lautsprecher mitreißend dafür gesorgt. "Die Luft muss brennen!", tönte er montags. "Wenn kein Wind weht, fällt die Regatta aus", dröhnte er dienstags und ließ sich die nächste Brandrede einfallen, mittwochs, donnerstags und freitags erzählte er dann von der Wirkung seines Glückspfennigs, seiner Hasenpfote und seiner Vereinsnadel vom AC Mailand, die er sich in die Socken oder sonst wo hinsteckte - und samstags, vor dem Anpfiff, ließ er seine Kicker in der Kabine noch schnell an einem Bündel mit dreißig Tausendmarkscheinen schnuppern, begleitet von seinem mit der geballten Faust verabreichten Anfeuerungsruf: "Das ist eure Prämie!" Früher war das der sichere Sieg. Doch die Zeit ist nicht stehengeblieben. Nur der Daum ist stehengeblieben, meckern sie jetzt in Frankfurt, denn die Jungmillionäre der Eintracht haben bei seinem flammenden Begrüßungsappell ("Wir arbeiten ab sofort 25 Stunden am Tag!") offenbar kein bisschen die Ohren gespitzt, sondern den müden Spruch gelangweilt als Altherrengeschwätz links rein- und rechts wieder rausgehen lassen - und seither kein einziges Mal gewonnen.

Leverkusen ewiger Zweiter.

Glück gehabt, atmet derweil halb Stuttgart erleichtert auf. Denn die andere Hälfte hätte den unvergessenen Meistermacher Ende vergangenen Jahres in der Panik beim VfB mehr als gerne wiederbelebt - ohne Rücksicht auf die Frage, ob seine Methoden der rhetorischen Hexerei in der modernen Trainingslehre zwanzig Jahre später noch greifen. Früher hatte es Daum jedenfalls in sich. Unvergesslich bleibt, wie er auf seine Bayer-Kicker in Leverkusen einmal den bekannten Mentaltrainer Jürgen Höller ansetzte. Drei Weinflaschen zertrümmerte der, barfuß mussten die Kicker anschließend über die Scherben laufen - und der Spieler Torben Hoffmann als Erster laut sagen: "Ich, Torben Hoffmann, gehe in Eigenverantwortung über das Glas, um mein Ziel zu erreichen." Wenig später hat Hoffmann, mental gestärkt, prompt mit einem Bombenschuss gegen den FC Bayern getroffen - ins eigene Tor. "Wir werden", verkündete in München darauf sicherheitshalber Kalle Rummenigge, "vorläufig keine rostigen Nägel bestellen."

So oder so, man hat über die Beteiligten des Leverkusener Motivationsversuchs später eher Gemischtes gehört: Leverkusen endete als ewiger Zweiter, Höller landete aus anderen Gründen vorübergehend im Gefängnis - und Daum wurde nicht Bundestrainer. Zwar brannte das Feuer in seinen Augen lichterloh, sie glühten, er stand unter Strom, aber irgendwie hat er sich dann selbst angezündet und unter Pulver gesetzt. Haaranalyse. Türkei. Exil.

Euphorie verpufft

Doch Hexer leben länger. Schnell redete sich der Verstoßene in Managerseminaren mit flammenden Vorträgen wieder gesellschaftsfähig, virtuos klimperte er auf der Klaviatur der Medien, auch Clubs und Fans hingen wieder an seinen Lippen. Für die Daum-Jünger war er der alte Herrgott, mindestens aber noch ein Halbgott, und bei seinem Comeback als Papst im Dunstkreis des Kölner Doms stand "Willkommen Messias!" auf den Plakaten, und "Bild" schob nach: "Der neue Heilsbringer ist da." Unter dem Strich war der neue aber schon da nicht mehr der alte: Aufsehenerregend war nur noch die öffentliche Trauung mit seiner zweiten Frau im Anstoßkreis des Kölner Stadions - und die einzige Trophäe, die Daum noch gewonnen hat, war die "Homogurke" von der Schwulenbewegung, die sich von ihm auf deftige Art verunglimpft fühlte.

Nicht einmal Geißbock Hennes hat ihm in Köln eine Träne nachgeweint - sondern wie ein Brauereigaul gewiehert, als die Frankfurter vor ein paar Wochen überzeugt waren, dass Daum im Jesuskostüm über den Main wandelt und alles zum Guten wendet. Mit viel gemeinsamem Händeklatschen im Training hat er fünfundzwanzig Stunden am Tag versucht, das Teamgefühl zu stählen und "neurolinguistisch" die Blockaden seiner Pflegefälle zu lösen - wofür ihn seine Kritiker jetzt abwechselnd auf gut Deutsch beschimpfen, als Dampfplauderer und Schaumschläger.

"Fußball ist kein Hokuspokus", hat Daum einmal gesagt. Aber für Dortmund muss er sich jetzt dringend irgendwas einfallen lassen - und wenn es das Blut geköpfter Hühner ist, das er seinen Frankfurtern vor Anpfiff einflößt. Es ist seine letzte Chance. Wenn er die vertut, ist er als Messias erledigt, ja womöglich sogar als Gotteskrieger.