Der Sport wird einseitig, meint unser Kolumnist Oskar Beck: Unser südliches Bergvolk aus Bayern zeigt seine Überlegenheit. Das ist nicht nur im Fußball so, sondern auch bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi.

Stuttgart - Was sich seit einiger Zeit im Fußball und dieser Tage nun auch noch in Sotschi abspielt, kann man getrost auf den gemeinsamen Nenner bringen: Die Bayern fahren mit dem Rest der Welt Schlitten. „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer sind die Besten im ganzen Land?“, fragt sich unser Bergvolk im Süden beim täglichen Blick in den Medaillenspiegel, und die entzückte Antwort heißt „mia san mia“. Die Bayern sind ungefähr Zweiter in der Welt. Deutlich vor Deutschland.

 

Vor allem ihre Rodler können sich vor Einladungen gar nicht mehr retten, man kann sie als Stargäste bei Firmenjubiläen, Fassanstichen oder Kindergeburtstagen mieten, und am Samstag wurden Natalie Geisenberger, Felix Loch, Tobias Wendl, Tobias Arlt und ihr Erfolgstrainer Norbert Loch aus dem fernen Kaukasus geschwind ins ZDF-Sportstudio geflogen und hinterher wieder zurück – und alles nur, damit der Doppelolympiasieger Loch das Unfassbare verkünden konnte: „Ich bin Fan des FC Bayern.“

Die Drohung von Uli Hoeneß ist Realität geworden

Bayern regiert die Welt. Die alte Drohung von Uli Hoeneß („Die anderen können uns in der Tabelle bald mit dem Fernglas suchen“) ist weit über den Fußball hinaus endgültig Realität geworden – die Bayern sind so überlegen, dass die Konkurrenz jetzt schon zu fragwürdigen Methoden greift und Maria Höfl-Riesch unterwegs gelegentlich einen Streckenposten vor die Ski wirft, damit sie ausnahmsweise nur Zweite wird.

Doch bleiben wir beim Schlittenfahren. Vier Wettbewerbe, viermal Gold. Wenn Rodeln Boxen wäre, wäre der Ringrichter in Sotschi dazwischengesprungen und hätte die Rennen in der Eisrinne abgebrochen, um die Rivalen vor bleibenden Schäden zu bewahren. Im Grunde ist es bei den Winterspielen wie in der Fußball-Bundesliga: Glaubwürdigen Umfragen zufolge rechnen neun von zehn Fußballfans eher damit, dass heute früh, wenn sie zu Hause ihr Badezimmer betreten, Uli Hoeneß vor dem Spiegel steht und sich rasiert, als dass der FC Bayern dieses Jahr ein Spiel verliert.

Was schläft zuerst ein: das rechte oder das linke Bein?

Diese bayrische Überlegenheit konfrontiert den Sport mit einer neuen Variante der tödlichen Langeweile: Die Frage ist nicht mehr, wie es ausgeht – sondern ob einem beim Zuschauen erst das linke oder das rechte Bein einschläft. Und, zweitens: wann verlieren die Gegner die Lust? Jochen Breyer, dem ZDF-Sportstudiomoderator, schwant jedenfalls Schlimmes. Scharf hat er Felix Loch ins Auge geschaut und gebohrt: „Ist zu viel Dominanz gefährlich?“ „Nein“, hat ihn der Dauersieger beruhigt, „das bleibt ja nicht immer so.“

Aber im Moment ist es so, in Sotschi und im Fußball. Sogar ein Boxkampf der Klitschko-Brüder ist packender. Oder die Alleinfahrten von Sebastian Vettel. Alle Welt kann nur noch fassungslos staunen – wie jener Amerikaner, der im Hofbräuhaus sein Bier trinkt, in einen Bierdeckel beißt und auf die Frage des Kellners („Schmeckt’s?“) antwortet: „Bier sehr gut, Keks sehr hart.“ Uns Deutschen dagegen schmeckt’s. Neun Millionen haben beim Rodeln im Schnitt den Fernseher eingeschaltet, gar nicht genug haben wir davon kriegen können, wie man das nicht mehr erlebt hat seit dem legendären Sportstudio-Dialog in den 80ern zwischen Harry Valerien und Franz Beckenbauer, der lang und lustig war und so endete: „Franz“, sagte Valerien, „ich krieg’ ein Zeichen, wir müssen zum Schluss kommen.“ „Nix is“, sagte Beckenbauer, „wir machen jetzt weiter.“ Und der Kaiser fuhr fort, von Gott und der Welt und sich selbst zu erzählen („Ach, Harry, des derfst alles net so ernst nehmen“), bis ihn Valerien gegen Mitternacht irgendwann fragte: „Hat’s eigentlich scho an Schnee in Kitzbühel?“ „Oben am Berg“, sagte der Franz.

David Alaba, die Pistensau des FC Bayern

So ungefähr ist das, wenn Bayern unter dem Motto „Jetzt red’ i“ Dominanz ausüben, aber zurzeit wird ihre Überlegenheit fast erdrückend. Sie geht schon soweit, dass in Österreich nicht mehr der schnellste Abfahrtsläufer Sportler des Jahres wird, sondern David Alaba, der als Pistensau der Bayern am linken Flügel die Gegner wie die Slalomstecken umkurvt. Viele Nichtbayern halten das alles irgendwann nicht mehr aus, sondern gehen Gassi mit ihrem Neid und feixen klammheimlich nach innen, wenn gelegentlich wenigstens der Hoeneß mit einem Schweizer Konto, der Rummenigge vom Zoll mit zwei Rolex-Uhren, der Ribéry mit einer Minderjährigen oder Felix Neureuther bei der Unfallflucht in Richtung Sotschi erwischt wird. Aber wahrscheinlich holt er im Slalom diese Woche selbst mit seiner Halskrause Gold.

Mia san mia.

Doch das hört auch mal wieder auf, hat Felix Loch im Sportstudio alle Nichtjodler und Hinterherrodler getröstet. Und siehe da: prompt haben die Bayern erstmals verloren, nämlich der Wendl und der Arlt, an der ZDF-Torwand gegen einen unbekannten Buben namens Corvin. 1:2. „Und jetzt gegen Arsenal“, sagt Felix Loch, „wird’s in der Champions League ja auch schwerer.“ Lochs Wort in Gottes Ohr, beten die Bayernhasser.