Die dritte Liga ist der neue Zirkus. Sie hat alles: Rote Teufel, Löwen – und einen eigenen Schlagerstar, schreibt unser Kolumnist Oskar Beck vor dem Start der dritthöchsten deutschen Fußball-Spielklasse an diesem Freitag.

Stuttgart - Die deutschen Fußballfans ziehen nach dem WM-Debakel die unterschiedlichsten Konsequenzen: Die einen flüchten im Frust in den Alkohol – die anderen in die dritte Liga. Wilde Szenen spielen sich ab, wie in Kaiserslautern. Wenn nicht frei erfunden ist, was man hört, kam es dort an mehreren Vorverkaufsstellen des Fritz-Walter-Stadions wiederholt zu Raubüberfällen, bei denen unbekannte Täter bündelweise Eintrittskarten für das Spiel des FCK gegen 1860 München erbeuteten. Die Einsatzkräfte auf dem Betzenberg stehen Gewehr bei Fuß – den Fans ist alles zuzutrauen in ihrer panischen Angst, der Saisonstart der dritten Liga könnte ohne sie losgehen.

 

Das Spiel ist zwar erst am Samstag, aber schon jetzt sind 30 000 Karten verkauft – und aus München, meldet der „Kicker“ von der Front, droht zusätzlich eine „Invasion der Löwen“. Die deutschen Fans wollen nach der WM endlich wieder bissigen Fußball sehen – und Rote Teufel und hungrige Löwen sind ihnen lieber als jeder zahnlose Löw.

Braucht also irgendwer die Bayern?

„Noch nie war die Liga so attraktiv“, sagt Matthias Maucksch. Er ist der Trainer der Sportfreunde Lotte, die als DFB-Pokalschreck vor zwei Jahren diverse Favoriten aufgemischt haben. Ab sofort legen sie sich mit etlichen Ex-Meistern an, und die Telekom weiß, warum sie alle Spiele live im Internet überträgt. Auch die ARD freut sich auf ein wachsendes Millionenpublikum in der „Sportschau“, denn die Fans von Traditionsclubs sind treu.

Seit zehn Jahren gibt es diese eingleisige dritte Liga. Damals mähten die Spieler noch eigenhändig den Rasen, bliesen die Bälle auf und trugen die Torpfosten selbst auf den Platz. Das ist inzwischen vorbei, der Pioniergeist weicht der Aufbruchstimmung, aber der Thrill der Tradition bleibt trotzdem erhalten. Gleich zur Saisoneröffnung an diesem Freitag empfängt Eintracht Braunschweig den Karlsruher SC. Die nicht mehr ganz Jungen unter uns denken spontan an 1966. Damals siegten die Braunschweiger 4:1, und am Ende der Saison waren sie Meister. Der TSV 1860 wurde Vizemeister, und Kaiserslautern Fünfter, vor dem FC Bayern. Braucht also irgendwer die Bayern?

Der Fan hat den Kommerz satt und giert nach „Zurück-zur-Natur“-Fußball

Die dritte Liga ist der letzte Schrei, da winkt tolle Stimmung und unerträgliche Spannung. Und der Trainer Maucksch sagt im Namen aller: „Ich will nichts versprechen, nur eines: ehrlichen Fußball.“ Das ist es, was der Fan nach der WM am dringendsten braucht. Er hasst Schwätzer, die Sprüche klopfen und sich dann in Zeitlupe über den Platz schleppen wie Kartoffelsäcke. Der Fan hat auch den Kommerz satt und diese aufgeblähten Millionäre in kurzen Hosen, die Reklame für Schüco-Fenster, Erdogan und Gillette machen, sich dann aber von den Südkoreanern rasieren lassen. Der Fan kann auch den lähmenden Ballbesitzfußball nicht mehr sehen. Der wird in der dritten Liga nicht übertrieben, und statt falscher Neuner gibt es dort immer noch echte Mittelstürmer. Die dritte Liga hat zwar keinen Messi, und überschaubar ist die Schar ihrer Zauberer, aber wie behauptet ein alter Wandspruch: Die Wälder wären sehr still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen.

So oder so: die erstklassigste Antwort auf die drittklassige Brotlos-Kunst der WM-Hochstapler ist für viele Fans der bodenständige „Zurück-zur-Natur“-Fußball, bei dem es handwerklich solide zur Sache geht.

SG Sonnenhof Großaspach, der Glamourclub

In diese Marktlücke stoßen nicht nur die Ex-Meister 1860, Kaiserslautern und Braunschweig, sondern auch weitere Gründungsmitglieder der Bundesliga wie der KSC und Preußen Münster oder die Ex-Erstligisten Cottbus, Rostock, Uerdingen, Unterhaching und Fortuna Köln. Jedem Fan, der noch von gestern ist, läuft das Herz über, wenn er an Kölns unvergessenen Präsidenten Jean Löring denkt, der einmal anlässlich eines 0:2-Halbzeitrückstands mit gefühlten drei bis vier Weinbränden im Blut in die Kabine stürmte und seinem Trainer Toni Schumacher mitteilte: „Raus, du hast hier nichts mehr zu sagen!“ Der einstmals beste Torwart der Welt ging nach Hause, Löring setzte sich selbst auf die Trainerbank, und das Spiel endete mit Pauken und Trompeten vollends 1:5.

Könnte eine so irrsinnige Show jemals der FC Bayern bieten? Und welcher Bundesligist kann mit einem eigenen Schlagerstar auftrumpfen wie die SG Sonnenhof Großaspach? Glamour und Lametta bietet der schwäbische Dorfclub. Der Spielerberater Uli Ferber, dem das örtliche Hotel Sonnenhof gehört, hat ihn einst mitgegründet als Thekenmannschaft, aber heute steht mitten im Wald die topschicke Mechatronik-Arena mit ihren VIP-Logen, und Ferbers Gattin Andrea Berg („Diese Nacht ist jede Sünde wert“) singt dort langbeinig und kurzrockig den Doppelpass mit den Kickern. Die Großaspacher munkeln, dass sich hinter einem ihrer gefühlsstärksten Hits ihr heimlicher Herzenswunsch an ihren Mann verbirgt: „Schenk mir einen Stern, denn den hätt’ ich so gern. Flieg mit mir zum Mond, mal sehen, wer da so wohnt.“

Helmut Kohl hier, Andrea Berg dort

So einen Meisterstern hat sich pünktlich zur neuen Saison der 1. FC Kaiserslautern auf die Brust genäht, über dem Wappen, garniert mit einer stolzen „4“. Viermal waren die Pfälzer Meister, und früher hat ihnen so ein Abstieg richtig wehgetan, mitsamt der Häme. Als der FCK erstmals aus der Bundesliga abstürzte, wurde der damalige Kanzler Helmut Kohl von einem Mikrofon noch dabei erwischt, wie er sich glucksend amüsierte: „Kaiserslautern in Meppen, haha!“ Jetzt muss der FCK wieder nach Meppen, diesmal sogar in der dritten Liga – aber zu der will inzwischen jeder gehören.

Die Saison der „Traditionskracher“ („Kicker“) kann also beginnen, die Fans stehen Schlange. Auch in Großaspach. Gleich am zweiten Spieltag erscheint dort der 1. FC Kaiserslautern als Stargast, und für die Halbzeitshow wünschen sich viele Andrea Berg, aus den Hüften wippend zu ihrem alten Hit, der zur Hymne dieser dritten Liga werden könnte: „Ein bisschen Wahnsinn.“