Am Mittwochabend geht es in Amsterdam gegen Holland, und als Freund des boshaften Fußballs und Genießer gutnachbarlicher Sticheleien wird man von der Vorfreude übermannt: Es geht zwar um nichts, aber das richtig.

Stuttgart - Schlagen Sie mich, aber es fällt mir kein Thema ein, zu dem Uli Hoeneß je geschwiegen hätte – über Freundschaftsspiele der Nationalmannschaft hat der Münchner Präsident beispielsweise einmal behauptet: „Ein Trainingsspiel bei den Bayern zwischen A-Team und B-Team bringt mehr.“ Aber nicht am Mittwochabend.

 

Da geht es nämlich in Amsterdam gegen Holland, und als Freund des boshaften Fußballs und Genießer gutnachbarlicher Sticheleien wird man von der Vorfreude übermannt: Es geht zwar um nichts, aber das richtig. Dieser Klassiker lässt keinen kalt, und die jüngsten Wortgefechte zwischen Hoeneß und Louis van Gaal, der nach seinem Rauswurf beim FC Bayern jetzt Holland trainiert, passen ins Gesamtgefühl dieser Begegnung: In den Köpfen werden immer noch alte Rechnungen beglichen. Eine grandiose Stimmung wird zwar wieder herrschen im Amsterdamer Stadion, zu den Tönen ihrer Blaskapellen werden die Fans in Oranje fröhlich singen – aber zwischendurch auch durch die Zähne zischen: „Eindelijk wraak!“

Als Nazischweine beschimpft

Endlich Rache. So kompliziert und kitzlig ist das holländisch-deutsche Verhältnis – und vielleicht am besten zu beschreiben mit der Erinnerung an ein anderes Freundschaftsspiel, bei dem es wirklich um rein gar nichts ging.

Im November 1978 war es, und Johan Cruyff, der Weltstar von Ajax und Hollands auf ewig Bester, hatte sich für sein Abschiedsspiel den FC Bayern als Gegner ausgesucht – die beiden Clubs hatten in den Jahren zuvor den Fußball beherrscht, dreimal gewann Ajax den Europacup der Landesmeister, dreimal die Bayern.

60 000 Zuschauer kamen ins Amsterdamer Stadion, und Paul Breitner, damals der Kopf der Münchner, hat das Geschehen so nacherzählt: „Als wir zum Aufwärmen auf den Platz kamen, beschimpfte man uns von der Tribüne als Nazischweine. Auf dem Weg in die Kabine wurden wir durchs Publikum bespuckt.“ Nun war dieser Breitner genau das, was man einen Bandenchef nennt, und er hielt an die Mitspieler prompt eine flammende Rede. „Herrschaften“, befahl er, „wir werden heute Geschichte schreiben. Ich will, dass ihr euch keine dreißig, keine sechzig, sondern neunzig Minuten die Beine aus dem Leib rennt!“

„Wir stürmen weiter“

Irgendwann stand es dann 4:0, und als Breitner Mitleid mit Cruyff bekam, erstickte es Gerd („Bomber“) Müller mit dem Machtwort sofort im Keim: „Wir stürmen weiter.“ Die Bayern überrollten Ajax mit 8:0. Der letzte große Tag des niederländischen Volkshelden Cruyff war ein niederschmetterndes Begräbnis, sogar in Manndeckung sei er von den Bayern genommen worden, schwören holländische Blätter bis heute, jedenfalls bewarfen die Fans die Sieger am Ende mit Sitzkissen. Soviel sollten Sie unbedingt wissen, falls Sie heute Abend vor dem Fernseher sitzen – denn auch das ist wieder so ein Freundschaftsspiel.

Zeitlich betrachtet beginnt dieses Gefühl, das die holländisch-deutschen Spiele prägt, mit dem Einmarsch der Wehrmacht anno ’40, aber der Fußball hat die Dinge danach oft nicht besser gemacht – wir reden vor allem vom gestreckten Bein von Wim Janssen, das Bernd Hölzenbein im WM-Endspiel 1974 in München im Strafraum der Holländer dankbar annahm. Das war gut für die deutsche Mannschaft, aber schlecht für die weitere Lebensplanung des Frankfurters „Ich würde“, sagte er in der Folgezeit, „so gerne mal wieder nach Holland fahren . . .“

Sie hätten ihn erkannt. Denn Hölzenbein ist unter den Holländern ein Schimpfwort – er gilt sozusagen als Auslöser der nun schon jahrzehntelang von uns Deutschen feixend gestellten Frage: Wie kann man nur so hinreißend schön spielen – und so haarsträubend wenig gewinnen?

Charme eines Schweinkotletts

Als Augen- und Zeitzeuge diverser Nachbarschaftsduelle will ich mich jetzt nicht in die maßlose Übertreibung hineinsteigern, dass das deutsche Spiel im Vergleich zum holländischen gelegentlich den Charme eines Schweinkoteletts hatte, aber zumindest diesen WM-Sieg ’74 hätte Cruyff mit seinen angriffslustigen Kameraden verdient gehabt. König Johan regierte, und um ihn herum kombinierten und wirbelten Haan, Neeskens, Rensenbrink und Wim van Hanegem, der im Krieg den Vater, zwei Brüder und die Schwester verloren hatte. Nach dem holländischen 1:0 in der ersten Minute begannen die Holländer zu zaubern, und sie packten derart die Trickkiste aus, dass Hölzenbein später sagte: „Die wollten uns verarschen.“ Vor Wut stürmte er in ihren Strafraum, suchte ein Bein, und platsch. Den Pass zum entscheidenden 2:1 gab dann Bonhof – der war fünf Jahre vorher noch Holländer.

Als Beckenbauer den WM-Pokal hochhielt, schauten ihn die Cruyffs und Haans an, als wollten sie sagen: „Euch armseligen Weltmeistern haben wir gezeigt, wie Fußball gespielt wird.“ Wir Deutschen haben, als anständige Sieger, die Holländer dazu neidlos beglückwünscht.

Wie sie es uns heimgezahlt haben? Niederträchtig, durch einen Schiedsrichter. Der Schuft hieß Leonardus van der Kroft und pfiff 1976 den Gladbachern im Viertelfinale des Europacups der Meister im Bernabeustadion gegen Real zwei korrekte Tore weg – um die schändliche Tat wiedergutzumachen, ließ Rudi Carrell danach in seiner TV-Show „Am laufenden Band“ die Kandidaten Mohrenköpfe auf ein Foto seines Landsmanns werfen.

An vorderster Gefühlsfront

Um zu verhindern, dass die Dinge an der Gefühlsfront vollends außer Kontrolle gerieten, haben wir die Holländer dann ausnahmsweise einmal gewinnen lassen, bei der EM `88 in Hamburg. Olaf Thon tauschte nach dem Abpfiff mit Ronald Koeman das Trikot, worauf der sich zum Dank symbolisch seinen Hintern damit abgewischt hat. Bei der WM 1990 in Mailand machten die Holländer gerade so weiter, in Form der unappetitlichen Fontäne von Frank Rijkaard, der keinen Geringeren als unseren Lieblingsrudi mit einem Spucknapf verwechselt und Völlers Frisur ruiniert hat. Zur Strafe haben wir Kapitän Gullit und seine sehenswerten Oranjes nach Hause geschickt und am Ende der WM die immer wieder beliebte Frage beantwortet: Warum haben holländische Kinder Schlappohren? Weil ihre Väter sie an der Grenze an den Ohrlappen hochziehen und sagen: „Guckt mal, da drüben wohnt der Weltmeister.“

Doch in letzter Zeit hat man nun den Eindruck, dass das Verständnis immer besser wird. Also könnten wir die Holländer mal wieder gewinnen lassen, am besten gleich heute. Es geht ja um nichts.