Der VfB ist für die Bundesliga zu schlecht. Aber das macht nichts. Denn Hannes Wolf ist sein Talisman, mit ihm geht nicht schief – und das seit einem Jahr.

Stuttgart - Liebe Leser, falls Sie VfB-Fan sind, sollten Sie jetzt kurz weghören, denn der folgende Satz ist kein Ohrenschmaus: Der VfB ist für die Bundesliga zu schlecht.

 

Aber das macht nichts.

Denn sogar gegen einen Viertligisten war der VfB zuletzt im DFB-Pokal ungestraft zu schwach. „Cottbus hätte den Sieg verdient gehabt“, sagte Hannes Wolf hinterher, wirkte aber ganz locker. Gesichtsanalysten deuteten seine Entspanntheit als die Seelenruhe eines Trainers, der genau wusste, dass sich der VfB durch ein schräges Eigentor des Gegners noch in die Verlängerung rettet und ein Cottbusser im Elfmeterschießen dann am Innenpfosten scheitert und dem letzten vollends das Standbein wegrutscht.

Der VfB steigt nicht ab.

Denn dieser Trainer ist das fleischgewordene Dauerglück. Alles geht gut, und das schon seit einem Jahr, dabei hat der VfB in der zweiten Liga oft einen Fußball gespielt, dass einem die Haare ausfielen. Wir haben einmal mit Buffy Ettmayer telefoniert, dem VfB-Mozart von einst. Der Wiener erzählte, dass ihm nach einem Infarkt ein Herzschrittmacher und ein Defibrillator implantiert wurde und Letzterer, wenn er beim VfB zuschaut, „sich zehn Minuten vor Schluss automatisch einschaltet“. Aber irgendwann begriff Buffy: Er muss sich keine Sorgen machen.

VfB-Trainer Christoph Daum war seinerzeit Motivationskünstler und Taktikfuchs

Statistiker haben errechnet, dass der VfB ohne seine Tore in den Schlussminuten und in der Nachspielzeit auf einem Platz im gesicherten Zweitliga-Mittelfeld gelandet wäre. Ständig wechselten die Bälle unterwegs schnell noch die Richtung und die Flugkurve, oder sagen wir es mit Günter Netzer, der früher mit der Philosophie aus der Tiefe des Raums kam: „Keine noch so kluge Taktik ist so gut wie ein dummes Tor.“

Warum ist der VfB wieder in der Bundesliga?

Es kursieren dazu die verrücktesten Erklärungen: Am Teamgeist soll es liegen, am Siegeswillen, an der ausgetüftelten Taktik oder der guten Luft im Stuttgarter Talkessel. Es ist zum Totlachen, was uns die Gelehrten oft weismachen wollen, alles Blabla. Entscheidend ist nicht auf dem Platz, entscheidend ist im Himmel. Das Vaterunser muss ein moderner Trainer beten und, wenn der da oben dann nicht gleich spurt, wie früher Christoph Daum hinaufbrüllen: „Wofür zahle ich eigentlich Kirchensteuer?“

Wir Älteren erinnern uns: Als Motivationskünstler wurde der VfB-Trainer Daum seinerzeit gefeiert, und als Taktikfuchs – bis dann herauskam, dass er in Wahrheit nur eine Hasenpfote und eine Meisternadel des AC Mailand in der Hose hatte und sich Münzen in die Socken steckte. Der VfB stieg nicht ab, sondern wurde Deutscher Meister.

Dem Kaiser genügten Glück, Dusel und Massel

Es gab solche Trainer immer, die mit ihrem Glück Löffel verbiegen und im Handstand eine Dose Cola austrinken, ohne einen Tropfen zu verschütten. „Ich habe dem Glück die Hand geschüttelt“, berichtete schon in den 1970ern ein „Bild“-Reporter nach einer Begegnung mit Bundestrainer Helmut Schön, und später meinte der schottische Teammanager Andy Roxburgh fassungslos über Franz Beckenbauer: „Er ist der einzige Mensch, der nach oben fällt, wenn er aus dem Fenster stürzt.“ Der Kaiser wurde als Teamchef Weltmeister, ohne Lizenz, ohne großes Konzept, ohne erkennbare Linie – es genügten ihm die drei Tugenden, die ein Trainer wirklich braucht: Glück, Dusel und Massel.

Alles andere rächt sich, fragen Sie Alexander Zorniger. Nie hat ein Tabellenletzter der Bundesliga einen so aufregenden Fußball gespielt wie der VfB unter ihm. Gegen Schalke hätte es damals 7:0 ausgehen müssen, aber heraus kam ein 0:1. Zorniger hätte nicht mehr trainieren, sondern mit der Mannschaft zum Spanferkelessen gehen sollen – denn Schwein muss man haben.

Ein Trainer muss heutzutage ein Talisman sein, wie Hannes Wolf. Der bringt das Unmögliche fertig: Er hat mehr Glück, als Zorniger Pech hatte.

Die Sache mit Jürgen Kramny wirkt noch nach

Ein paar Erschrockene und Sensible unter den VfB-Fans fragen sich jetzt: Wie lange währt so ein Glück, kann man es nachbestellen oder upgraden? Diese Zweifler trauen dem Frieden aufgrund zweier furchtbarer Schlüsselerlebnisse nicht: Christoph Daum wechselte damals in der Champions League gegen Leeds United plötzlich falsch aus, der VfB war draußen, und Daum kurz danach auch.

Aber vor allem die Sache mit Jürgen Kramny wirkt noch nach. Der wurde vor knapp zwei Jahren VfB-Trainer, kam, sah und siegte, und alle Welt war platt – bis sich jäh herausstellte: Es lag vor allem an seinen Jeans, die Glückshose war so unschlagbar wie der blaue Pullover von Udo Lattek Ende des letzten Jahrhunderts. Kramny ernannte die Jeans dann sofort zu seinem Co-Trainer, doch fortan ging plötzlich jeder Schuss in die Hose. Der VfB verlor. Und verlor. Und war verloren. Aber das ist jetzt anders. Diesmal hört das VfB-Glück einfach nicht auf, und spätestens nach den Vorfällen von Cottbus gilt der alte römische Satz von Ovid: „Überall herrscht der Zufall, lass deine Angel nur hängen. Wo du’s am wenigsten glaubst, sitzt im Strudel der Fisch.“ Und Wolf angelt und angelt, am Ufer des Neckars.

Ja, eigentlich ist der VfB zu schwach. Eigentlich ist diese Abwehr keinen Schuss Pulver wert. Eigentlich schauen viele der hektisch eingekauften Talente viel zu schwachbrüstig aus für den ab sofort drohenden Männerfußball. Doch die Seelenruhe des Trainers schlägt alle Bedenken. Sogar Michael Reschke, den für seinen Realismus gefürchteten neuen Sportchef, hat Hannes Wolf beruhigt. Ein Lippenleser will aufgeschnappt haben, wie Wolf dem besorgten Reschke („Sag mir drei vernünftige Gründe, warum wir nicht absteigen sollten“) die richtigen Antworten geschwind nacheinander ins Ohr flüsterte: „Glück hat auf Dauer nur der Glückliche. Das Glück ist ein Rindvieh und sucht seinesgleichen. Und wem das Glück hold ist, dem kalbt ein Ochs.“

Also, Kommando zurück: Der VfB ist stark genug.

VfB Stuttgart - 1. Bundesliga

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