Zum modernen Fußball gesellt sich oft eine neue Interviewmode – sie werden zensiert, pardon: autorisiert. Wie reagieren Journalisten darauf?

Stuttgart - Als Prinz Philipp einmal auf Staatsbesuch in Afrika war, sagte er angesichts des wilden Medienauftriebs schier angewidert zu einem Tropenarzt: "Sie haben Ihre Moskitos, ich habe die Presse." Schlimmer sind nur noch die Fußballer dran. Als Franz Beckenbauer, gleichfalls in Afrika, letztes Jahr die geballte Pressemeute im deutschen WM-Quartier erblickte, schwach geschätzt mindestens 250 Griffelspitzer, starrte er fassungslos in die Runde und stöhnte: "Wie die Welt sich verändert hat." In des Kaisers glorreichen Liberozeiten waren die Journalisten zu den Pressekonferenzen manchmal noch zu fünft eingetrudelt. Nein, früher war nicht alles besser. Aber anders. Vor allem die Interviews.

 

In den 70ern, die Beckenbauer meint, war so ein Frage- und-Antwort-Spiel noch ein Kinderspiel. Beispielsweise anno 78, bei der WM in Argentinien, wo wir Journalisten mit den Kickern unter einem Dach hausten, in einer Golfanlage, und wenn der Schreiberling B. vom Schalker Schützenkönig Klaus Fischer spätabends nach dem Sonnenuntergang noch rasch etwas wissen musste, schlich er in Pantoffeln und im Pyjama geschwind hinüber zu dessen Flachdachbungalow, klopfte an die Tür, und Fischer sagte: "Was, auch noch wach? Hereinspaziert!" Aber vor allem durfte man das, was er dann sagte, auch noch schreiben.

Heute Zensur bei Interviews

Wenn früher ein Fußballer im Interview kein Blatt vor den Mund nahm, war das wunderbar, aber heute ist es so ziemlich das Schlimmste, was einem Journalisten passieren kann. Denn im modernen Fußball nimmt so ein Spielerinterview nicht mehr den direkten Weg in die Zeitung, sondern muss der Presseabteilung des betreffenden Clubs oder Verbandes erst einmal zur Zensur, pardon: zur Autorisierung, vorgelegt werden - und was als genehmigt schließlich zurückkommt, ist mitunter hemmungslos geändert, glattgeschliffen und geschönt.

So ein Interview geht sozusagen den Weg aller schmutzigen Wäsche - es wird geschleudert, bis es aus der Waschmaschine blütenweiß wieder rauskommt. 

Interview mit Lukas Podolski 60 Zeilen kürzer

Zorn und Verzweiflung sind manchmal die garstigen Folgen. Bei der letztjährigen WM teilte Sportsfreund B. ein Gästehaus mit zwei Kollegen eines großen deutschen Blattes, und eines Tages musste er sie fast stützen - denn als ihr Interview mit Lukas Podolski autorisiert vom DFB zurückkam, war es circa sechzig Zeilen kürzer. An 38 Interviewstellen, in Worten: achtunddreißig, fand sich der Hinweis "gelöscht", und gelöscht waren, beispielsweise, die beiden Poldi-Sätze: "Früher haben die deutschen Mannschaften vor allem in der Defensive alles weggehauen" - und: "Den alten deutschen Klopperfußball gibt es nicht mehr." Da hatte Podolski zwar zweimal, ja wahrscheinlich sogar achtunddreißigmal die Wahrheit gesagt, die reine Wahrheit, nichts als die Wahrheit - aber der moderne, von pflichtschuldigen PR-Imagepflegern geschminkte Fußball wünscht sich eine übergelagerte, schönere, heilere Wahrheit und Wirklichkeit.

Was tun? Wir Kolumnisten haben leicht reden. Interviews lassen wir andere machen, stattdessen verstecken wir im Schutz der Narrenfreiheit hinter ein paar Anekdoten unsere Meinung. Wir schreiben also, was uns grad einfällt und fragen keinen danach, und sobald ein Presseverhinderungschef einen Autorisierungswunsch hätte, würden wir zu ihm sagen: "Interview dich doch selbst" - und eine Kolumne schreiben über seinen unerträglichen Achselschweiß und sein Loch in der Schuhsohle.

Interviews werden nicht mehr gedruckt

Anders ist das bei den Reportern. Sie stehen an der Front, müssen sich bei Interviews mit diesen Sonderwünschen herumschlagen und sind gezwungen zu Zugeständnissen - aber es gibt trotzdem auch wehrhafte Beispiele des gelebten Widerstands: Als von sieben Antworten eines Frankfurter Fußballers beim Autorisieren vier wieder gestrichen wurden, hat die FAZ es gemacht wie die "Welt am Sonntag" im Fall eines Gesprächs mit dem Bayern-Star Ribéry - und das Interview nicht gedruckt.

Auch das Wochenblatt "Zeit" findet, dass es gelegentlich Zeit wird zur Gegenwehr - und hat deshalb bei der WM in Südafrika nach einem Interview mit Oliver Bierhoff, dem Manager des Nationalteams, die Antworten weggelassen und nur die Fragen abgedruckt. Das war schade, denn das Gespräch mit Bierhoff muss richtig brisant und ergiebig gewesen sein. Eine halbe Stunde lang hatte er sich offen geäußert. Und mutig. Und ehrlich. Zu ehrlich? Ist Bierhoff anschließend vor sich selbst erschrocken? 

Interview mit Oliver Bierhoff komplett verboten

Das Gespräch wurde zur Veröffentlichung von Seiten des DFB nicht freigegeben. Dabei war der DFB-Medienchef Harald Stenger früher selbst Länderspieljournalist, ehe er die Front wechselte. Genauso gut, lästern böse Zungen, hätte er auch auf Friseur umsatteln können - so, wie die Interviews beim Autorisieren inzwischen frisiert werden, schlimmstenfalls mit der Heckenschere.

Bierhoffs Antworten hat die Öffentlichkeit jedenfalls nie zu lesen bekommen, und als Begründung, schrieb die "Zeit", habe der Pressesprecher gesagt: "Das ist nicht der Bierhoff, wie er sonst rüberkommt."

"Es gilt das gestrichene Wort."

Das reine Rüberkommen ist für viele das A und O und der tiefere Sinn des modernen Interviews, und wir Romantiker heulen verschärft in unseren Notizblock und trauern den Zeiten nach, als Kaiser Franz und Uns Uwe noch eigenhändig die Torlatten auf den Platz getragen, die Seitenlinien mit Sägmehl gestreut und den Ball noch selbst aufgepumpt haben. Genauso naturbelassen war damals noch der Journalismus, man hat sein Interview in das Nachkriegsmodell der Reiseschreibmaschine Olympia getippt und, falls man eine Münze parat hatte, geschwind aus einer öffentlichen Telefonzelle vor dem Stadion in die Heimatredaktion durchdiktiert - und das Allerschönste: es galt das gesprochene Wort.

Heute? Am schönsten hat es der alte "Kicker"-Chef und geschätzte Kollege Wolfgang Uhrig gesagt, der auch noch einer von gestern ist: "Es gilt das gestrichene Wort."