Mächtige Präsidenten und Patriarchen waren früher als Vereinsführer gern gesehen. Das ist nun vorbei - wie man beim VfB sieht.

Stuttgart - Nach einer kurzen, hastigen Sitzprobe an seinem Schreibtisch ist der neue VfB-Präsident dieser Tage im Rahmen der ersten Amtshandlung Hals über Kopf zu seinen Fußballern nach Längenfeld ins Ötztal geflüchtet, um sich bei einem Hüttenabend mit Wein und Gesang den Kopf zu leeren. Die Luft ist dort gesünder.

 

Und die Leute sind lieb. Jedenfalls muss man weit wandern, bevor einem mit gestrecktem Bein und dem Schaum vor dem Mund ein VfB-Mitglied über den Weg läuft - vermutlich haben die gastfreundlichen Ötztäler sogar alle Internetzugänge gesperrt, so dass Gerd E. Mäuser wenigstens für ein paar Stunden verschont geblieben ist von anonymen Debattierern wie "Iroon 13", der die neue rot-weiße Führungsstruktur auf den kessen Nenner gebracht hat: "Der Hundt und sein Mäuslein".

Der Hundt muss nur bellen

Wenn man diese Wortmeldung und viele, die ihr sehr ähnlich sind, salopp interpretiert, ist der VfB auf den Hund gekommen. Der Aufsichtsratschef, dieser machtbesessene Drahtzieher, lässt sozusagen seinen willenlosen Präsidenten an allen vieren zappeln - der Hundt muss nur bellen, und der Duck-Mäuser pariert.

Aber nicht nur als ferngesteuerte Marionette wird der neue Präsident in der Tiefe des Debattierraums skizziert, sondern auch noch ungeniert verdächtigt, dass er in puncto Kicken von Tuten und Blasen keinen Schimmer hat - und sich von Dieter Hundt jetzt erst einmal beibringen lassen muss, dass ein Fußball sechseckig, innen hohl und außen aus Birkenholz ist. Fußballfreund B. schwört mit dem Herrschaftswissen des Frühgeborenen: selbst Senator Hans Weitpert, der unvergessliche VfB-Präsident aus den frühen 70ern, ist zuvorkommender behandelt worden, obwohl er als Verleger vom Buchgeschäft tausendmal mehr wusste als vom Fußball. Man nannte ihn aufgrund seines schillerndes Haarschopfes "Lila Hans", und in einer Vorstandssitzung schlug er zur Stärkung der VfB-Abwehr einmal die Suche nach einem "Librio" vor.

Mäuser der nächste Tollpatsch im Tollhaus

In der berüchtigten "Nacht der langen Messer" hat ihn Gerhard Mayer-Vorfelder dann von jener Bühne geputscht, auf der Mäuser jetzt von vielen Fans unter dem Druck des vorauseilenden Ungehorsams so hingestellt wird, als sei er der nächste Tollpatsch im Tollhaus. Da hat sich einer bei der Machtübernahme die verkehrte Zeit ausgesucht. Und die falsche Stadt.

Stuttgart ist die Hauptstadt des neuen Trends, wir Schwaben klopfen den Mächtigen auf die Finger, wir stürzen uns für unser Mitspracherecht in den Strahl der Wasserwerfer, und seit es am Hauptbahnhof losging, haben die Machthaber weltweit keine ruhige Minute mehr, fragen Sie Mappus und Mubarak oder Ghaddafi und Assad. Früher haben wir noch gelacht über die "Bild"-Schlagzeile "Mann beißt Hund", beim VfB wird der Scherz von der Wirklichkeit plötzlich überholt: Fan beißt Hundt.

Auch die VfB-Mächtigen regieren im Gegenwind - und weinen mit Krampfadern im Gesicht den Zeiten nach, als es im Fußball zwei Traumjobs gab, die das Höchste der Gefühle waren: Patriarch und Präsident.

Die Herrscher von damals

Manche waren sogar beides auf einmal, wie Karl-Heinz Wildmoser. Der König der Münchner Löwen hat noch eigene Autogrammkarten verteilt, auf denen er jedem Fan garantierte, "dass Sie mir persönlich begegnet sind und mich warmherzig, höflich, intelligent und witzig fanden". In Wahrheit war er ein Alleinherrscher, jedenfalls galt auch für ihn noch das gesprochene Wort des alten FC-Bayern-Patriarchen Wilhelm Neudecker. "Wann ich aufhöre? Erst wenn ich ins Grab falle. Und dann mache ich noch zwei Jahre weiter." So sahen es viele. Ungestraft und unbehelligt wurde der Einfachheit halber nach Gutsherrenart regiert, von Baulöwen und Devisenmaklern, Teppichhändlern, Herrenausstattern und Unternehmensberatern, Generalvertretern für Aspach Uralt und neureichen Pinkeln, die ihren Club als Sonnenkönige von ihrem Wasserschloss aus regierten oder von ihrer Südseeyacht. Ein Arbeitgeberpräsident oder ein ehemaliger Topmanager von Porsche wären damals mit Kusshand empfangen worden auf dem rot-weißen Teppich. Und heute?

Der Teppichklopfer würde jedem zweiten VfB-Mitglied vollauf genügen, um einen der mächtigsten Männer des Landes als geprügelten Hund vor die Tür zu jagen. Fast des Amtes haben sie den Aufsichtsratschef geschwind enthoben und ihm ungefähr gesagt, dass er auch nicht besser als ein Diktator in China und so wenig einen Schuss Pulver wert sei wie das Politbüro in Pankow. Selbst wenn der Hundt jetzt in die Knie gehen würde nach Mielke-Art ("Ich liebe euch doch alle!"), hätte er es in der VfB-Volkskammer schwer - zu obrigkeitskritisch galoppiert der Trend auch über das Tribunal der Tribüne und durch die Diskussionsforen im Internet, dem sozialen und asozialen Netzwerk der offenen und anonymen Kommunikation.

Hundt hat eine dicke Haut

Selbst seine schlimmsten Feinde müssen dem Hundt allerdings eines lassen: seine dicke Haut. Mit der hat er schon den Volkszorn beim österreichischen SV Bad Aussee ausgehalten. Dort war er erst Präsident und dann Aufsichtsratschef, aber dann ist alles den Bach runtergegangen, und im Namen der frustrierten Fanfront ging ihm ein "Lobbyist" mit einem Vers aus Reinhard Meys "Narrenschiff"an den Kragen: "Klabautermann führt das Narrenschiff / volle Kraft voraus und Kurs aufs Riff / Der Ausguck ruft: Endzeit in Sicht!"

Hundts VfB-Feinde werden an der Stelle schonungslos nicken und den Klabautermann einbauen in ihre nächsten Beschimpfungen dieses verpönten Allmächtigen, der sich - sie sind sich da sicher - dauernd einmischt ins sportliche Tagesgeschäft und Schoko Schachner und Franco Foda, nur weil er die einmal im Urlaub an einer österreichischen Seitenlinie hat stehen sehen, fast zum VfB-Trainer gemacht hätte. So wie jetzt Mäuser zum Präsidenten. Denn Letzteres steht für die schärfsten Kritiker fest, seit sie den frisch gewählten Vorsitzenden nach seinem Zittersieg in der Hauptversammlung haben stöhnen hören: "Ich gehe jetzt erst einmal mit meinem Hund spazieren" - dabei habe Mäuser, behaupten lästerliche Lippenleser, den Hund hinten eindeutig mit "dt" ausgesprochen.