Der tschechische Radprofi Roman Kreuziger hat sich dem Lügendetektor gestellt – und damit selbstredend alle Dopingvorwürfe ins Reich der Fabeln verwiesen. Warum bloß tragen wir nicht alle so ein Ding, fragt sich der StZ-Kolumnist Oskar Beck.

Stuttgart - Der des Dopings bezichtigte tschechische Radprofi Roman Kreuziger hat vor ein paar Tagen den schweren Verdacht mit der Bekanntmachung ausgekontert, dass er einen Test am Lügendetektor bestanden hat. Die Maschine schaute ihm tief in die Augen und stellte ihm drei knallharte Schlüsselfragen. Haben Sie jemals gedopt? Haben Sie nie eine Bluttransfusion benutzt, um Ihre Leistung zu steigern? Haben Sie je Epo benutzt?

 

Nein, nein und nochmals nein, besänftigte der Fünfte der Tour de France 2013 den hartnäckig bohrenden Apparat und sagt jetzt: „Der Detektor hat dreimal bestätigt, dass ich die Wahrheit sage und kein Lügner und Betrüger bin.“

So einfach ist das, man muss nur wollen. Die Nachricht aus Prag lässt die Welt des Sports jedenfalls wie elektrisiert aufhorchen – und spontan stellen sich die letzten Aufrechten, also Sie und ich, die Frage: Warum werden wir nicht alle gesetzlich verpflichtet zum 24-stündigen Tragen eines Lügendetektors, der sofort zu glühen, ticken und rattern beginnt, wenn sein Besitzer Dinge erzählt, mit denen er sich nicht ganz im Zentrum der Wahrheit bewegt?

Wann schöpfen wir schamlos Betrogenen wieder Hoffnung?

Es sollen inzwischen schon Zauberapparate in der Entwicklung sein, die den geringsten Schweißausbruch unter den Achseln messen und bei einem Transpirierenden sogar dessen dunkelste Gedanken, die kaum das Schnaufen vertragen, so gut wie lesen und entschlüsseln – und wenn nur die Hälfte davon wahr ist, könnten wir schamlos Belogenen und Betrogenen endlich wieder Hoffnung schöpfen in diesen von haarsträubenden Märchenstunden geprägten Zeiten, die fest in der Hand von Wettbetrügern, Bestechern und Dopern sind, die beim Augenlicht ihrer Kinder schwören, dass sie ihre Hände in Unschuld waschen. Längst ist es mit den falschen Aussagen wie mit den falschen Zähnen – man trägt sie mit Fassung.

Bis vor Kurzem konnte man wenigstens uns Journalisten noch jedes Wort blindlings glauben, bis dann neulich diese packende Tragödie mit dem Bayern-Star Arjen Robben im Trainingslager in Katar passiert ist. Besorgte Reporter fragten den Holländer nach der Ursache seines leicht geprellten linken Daumens, und als Schreckensbotschaft schwirrte anschließend Robbens Erklärung um die vernetzte Welt: „Als ich beim Billard eine Kugel aus dem Loch geholt habe, hat mich ein Krokodil gebissen.“ Als bare Münze würde die dramatische Nummer von clever formulierenden Internetfuzzis verkauft, und die Aufregung war so groß wie bei Michael M. (59) aus Gorleben, der einmal mit einem Gewehr in der Hand bei „Bild“ posierte und verriet: „Ich habe ein Krokodil in der Elbe erschossen – mit einem Schuss genau zwischen die Augen.“ Es stellte sich dann heraus: die vier Meter lange Echse, vor der er prahlend kniete, war ausgestopft und schon vierzig Jahre tot.

Die Leichtgläubigen und die Sehschwachen

Welches Krokodil lebt? Keiner weiß es mehr, nicht nur im Sport. Vor ein paar Tagen schlugen sich bei Günther Jauchs Talkthema „Schicksalstage in Europa – auf wen hört Putin noch?“ der im Kalten Krieg gestählte frühere US-Botschafter John Kornblum und die Putin-Versteherin und frühere Moskau-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz schonungslos ihre Wahrheiten um die Ohren. „Ohne Frage“ sei Russland der Aggressor, fand Kornblum, worauf Krone-Schmalz schwor: „Überhaupt nicht. Da müssen Sie mal lesen, was ich so schreibe.“ Aussage gegen Aussage. Einer lügt, oder?

Wir Leichtgläubigen unter den Naiven und Sehschwachen wissen immer weniger, was wir glauben sollen, wir sind umzingelt von Interessenvertretern, die ihre Rolle spielen als Rädchen in einem großen Getriebe und uns schlimmstenfalls als Lobbyist der Tabakindustrie erklären, dass Rauchen gesund ist und das Leben verlängert. Auch Fußballstars tun täglich, was der Millionenzirkus ihnen verordnet, ihre Meinung ist abhängig von Zwängen, jede Wortmeldung dient einem Zweck, und der Held des Tages schwört als Wahrheitsverdreher in die Kamera: „Meine fünf Tore heute sind völlig unwichtig. Ich freue mich für die Mannschaft, den Club und unsere super Fans.“

Ein Ehrenwort jagt das andere, ein Meineid den nächsten, und wir merken es schon gar nicht mehr, denken wir an das „Aktuelle Sportstudio“ im ZDF. Dass es mitten in der Nacht zum Sonntag, also nahe der beginnenden Morgenröte, noch aktuell sein soll, ist die infamste Lüge der Weltgeschichte, seit US-Präsident Bill Clinton versicherte: „Ich habe keine sexuellen Beziehungen zu Miss Lewinsky gehabt.“ Mit diesem Schwur hätte er unbehelligt dem „Club der Schwindler“ beitreten können, der einmal in Burlington/Kentucky tagte und den ersten Preis an die widerliche Lüge eines Bauern vergab: „In diesem Sommer war es bei uns so heiß, dass die Eidechsen ins Herdfeuer krochen, um den Schatten der Bratpfanne zu genießen.“

Der Achselschweiß muss vermessen werden

So kann es nicht weitergehen, irgendwas muss her, notfalls dieser Lügendetektor. Man könnte ihn beispielsweise problemlos am Hosengürtel befestigen, und sobald der Zeiger ausschlägt und sich ein grässlicher Sirenenton meldet, würden die Daten zu Herzfrequenz, Blutdruck und Achselschweiß automatisch ins Büro von Terry Mullins weitergeleitet – das ist jener unabhängige Lügendetektor-Experte, auf den sich Roman Kreuziger jetzt beruft und der normalerweise für Gerichte, militärische Organisationen und Regierungen weltweit arbeitet.

Terry Mullins ist übrigens Brite. Das ist kein Zufall. Denn die Engländer waren die Ersten, die die Weltherrschaft der abgebrühten Lügner rechtzeitig kommen sahen – genau gesagt war es ihr Kriegspremier Winston Churchill, der früh erkannte: „Nur Kinder, Narren und sehr alte Leute können es sich leisten, die Wahrheit zu sagen.“