Vor 20 Jahren war der Hamburger Trainer Joe Zinnbauer erstmals berühmt – als Jungmillionär, der beim KSC seinen Ferrari versteckte. Am Dienstag lässt er nun seinen HSV im Bundesliga-Heimspiel gegen den VfB los.

Stuttgart - Über Al Capone werden schlimme Dinge erzählt, aber der größte Gangster im Chicago der 30er Jahre hat alles wieder gutgemacht, als er der Welt den unbezahlbaren Rat hinterließ: „Du erreichst viel mehr mit einem freundlichen Wort und einem Gewehr als mit einem freundlichen Wort allein.“

 

Das gilt auch für Fußballtrainer.

Reden ist gut, aber der Ton macht die Musik, es geht nicht ohne die flankierende Waffengewalt des Wortes. So war es auch, als der HSV-Trainer seine erste flammende Kabinenansprache hielt: Die Spieler schauten ihm in die Augen, aber es war ein Gefühl, als ob sie in eine doppelläufige Flinte blicken. „Ich hatte eine Gänsehaut“, berichtete hinterher der Mittelfeldspieler Tolgay Arslan. „Die Ansprache war ungewohnt laut“, staunte der Abwehrchef Johan Djourou, und der kleine Ballzauberer Lewis Holtby erschrak: „Der Neue hat uns brutal heißgemacht.“

Die Pistole hat der Neue ihnen auf die Brust gesetzt und ihnen die Leidenschaft in Salven ins Herz gefeuert, damals im September, als der HSV mausetot war. Jetzt haben wir Dezember, der Scheintote zuckt wieder, Platz 14, Tendenz steigend – und wenn der Neue so verheißungsvoll weitermacht, spielen sie aus den Lautsprechern im Stadion als HSV-Hymne irgendwann „Hey Joe“ von Jimi Hendix.

Wird Josef Zinnbauer, kurz: Joe, zum Erfolgshit?

In Halbzeit drei tritt Zinnbauer als Entert(r)ainer auf

Der Vorstandsvorsitzende Dietmar Beiersdorfer hat womöglich nicht viel falsch gemacht, als er seinen U-23-Trainer vor ein paar Wochen in höchster Not zum Chef ernannt und angefleht hat: „Setz neue Impulse und emotionalisiere das Team.“ Die Pflegefälle leben wieder auf – und fragen sich bei der Mannschaftsbesprechung nicht mehr, welches Bein ihnen wohl zuerst einschläft. Als Feuerspucker wird Zinnbauer skizziert, und gegen die Bayern, im ersten Spiel, ist er schon nach zwanzig Sekunden über seine Coachingzone hinaus an den Spielfeldrand gesprungen, um zu zündeln. Im Übrigen hat er auch gleich bewiesen, dass er in der dritten Halbzeit als Entert(r)ainer virtuos auf der Klaviatur der Medien klimpert: Ein Kumpel, plauderte Zinnbauer aus, habe ihm vor dem Spiel das Video „Deutschland, ein Sommermärchen“ geschickt, mit Klinsmanns feurigen Kabinenansprachen von 2006, „und ich hab’ dann halt versucht, das nachzumachen.“

Ein Stimmungstöter ist Zinnbauer jedenfalls nicht, eher hält er es mit dem alten Bayernguru Dettmar Cramer, der einst Luther zitierte: „Aus einem traurigen Arsch kommt kein fröhlicher Furz.“ Der kleine Cramer ließ sich sogar als Napoleon fotografieren. Zinnbauer ist frisch, frech und forsch, und er weiß, wie Erfolg geht: Im ZDF-Sportstudio haben sie kürzlich mit einem tiefen Griff ins verstaubte Filmarchiv daran erinnert, dass er schon mit Anfang 20 stolzer Millionär war. Im grellgrünen Sakko hat man das pfiffige Kerlchen gesehen, als blutjungen Finanzberater, und in grässlich farbigen Socken.

„Haben Sie die noch?“, fragte der Moderator Breyer.

„Ich hoffe nicht“, schämte sich Zinnbauer.

Jedenfalls war er ein bunter Hund. Stellvertretend für alle, die ihn als frühen Joe kannten, hat sein einstiger Präsident Alois Dechant vom drittklassigen SC Weisman in Oberfranken unlängst den Jungs von „Bild“ verraten: „Sagen wir es so: Herr Zinnbauer war schon eine sehr schillernde Persönlichkeit in seiner Zeit bei uns.“ Über sein Finanzunternehmen hinaus führte der junge Kreative schnell zwei Diskotheken und eine Brasserie, jedenfalls hat er allerhand auf die Beine gestellt, und an die spätere, gemeinsame Zeit bei Mainz 05 erinnert sich Zinnbauers heutiger Trainerkollege Jürgen Klopp so: „Kaum einer hatte damals schon ein Handy, aber Joe hatte drei.“

Und alle hat er dringend gebraucht.

Eine freundliche Dame am Telefon

Eine Zeitlang war der pfiffige Franke in jenen 90er Jahren Stürmer beim SSV Ulm 1846 und in der Bundesliga beim Karlsruher SC, und als ich einmal mit ihm telefonieren wollte, um ihn zu seiner beruflichen Doppelbelastung auszufragen, ging das nicht ohne einen Haufen Geduld. „Hallo“, meldete sich am anderen Ende ein bildhübsch klingendes Fräulein, „hier ist der Anrufbeantworter von Dany und Joe. Wenn ihr den Joe sprechen wollt, dann probiert’s einfach mal am Handy, unter der Nummer . . . Bis dann, tschüs.“

Doch dauernd war belegt. Joe war immer irgendwie busy. Big Business halt. Wahrscheinlich erklärte er gerade seinem Mitspieler Thomas Häßler bei einem Bier in der KSC-Pinte, wie man aus einem Sack Geld zwei Säcke Geld macht. Der junge Zinnbauer war kein großer Fußballer, aber ein Filigrankünstler in Finanzfragen. Die Geschäfte liefen so blendend, dass ihn sein Trainer Winnie Schäfer zwischen den Übungen einmal beiläufig fragte: „Wollen Sie nicht als KSC-Sponsor einsteigen?“ Die Firma „Zinnbauer & Partner“ deckte die volle Palette ab: Versicherungen, Immobilien, Finanzierung, Anlagen, Leasing.

Gelegentlich war in der Zeitung von 70 Millionen D-Mark Jahresumsatz die Rede, worauf der Jungunternehmer Zinnbauer ohne falsche Bescheindheit korrigierte: „Na ja, ein bisschen mehr ist es schon.“ In der Branche erzählte man sich: Wo Joe gerade Fußball spielte, machte er immer auch eine Zweigstelle auf. Am Ende waren es sieben Clubs und fünf Filialen.

Ach ja, irgendwann bekam ich den Tausendsassa dann doch an die Strippe und konnte ihn endlich fragen: Sind die KSC-Stars wie der Weltmeister Häßler eigentlich nicht neidisch auf Sie – den Ersatzbänkler, der im Geld schwimmt? „Ich passe schon auf“, beruhigte mich Zinnbauer, „zum Training fahre ich meistens nur im Golf vor.“ Was ihn zweifellos viel Überwindung kostete, denn zu seiner imposanten Privatflotte gehörten noch ein Porsche Carrera Cabrio, ein Mercedes SL Cabrio und ein Ferrari 308 GTS Spider. Geleast? „Gekauft“, sagte Joe. „Den Ferrari hatte ich schon mit 21.“

Als Versicherer ganz schnell der „Newcomer des Jahres“

Wie schafft man das, bohrte ich staunend weiter – mit 24 Jahren? „Hart arbeiten“, antwortete Joe Zinnbauer, und dass er am 1. Mai 1970 geboren wurde, am Tag der Arbeit, hielt er nicht im geringsten für Zufall. Der Ehrgeiz trieb ihn an. Ursprünglich hatte er eine Lehre als Zerspanungsmechaniker absolviert, bis er sich sagte: Lieber einen Porsche fahren als einen bauen. Er schulte deshalb um zum Versicherungskaufmann, war auf Anhieb „Newcomer des Jahres“ und, nach der Managerausbildung, bald Millionär. Unser damaliges Telefonat beendete Zinnbauer mit dem lebensbejahenden Satz: „Ich denke immer positiv.“

Wie jetzt beim HSV.

Und es sieht auch dort gar nicht übel aus. Statt sich bei „Zinnbauer & Partner“ eine Versicherung gegen den Abstieg zu kaufen, hat sich der HSV sicherheitshalber lieber gleich den Chef der Firma als Trainer geholt, und der will an diesem Dienstagabend gegen den VfB nachlegen und ein neues Brikett ins Feuer schieben, damit die Glut nicht erlischt. An der nötigen Wortgewalt wird es Zinnbauer nicht fehlen, denn bevor er ins Bett geht, legt er immer einen Notizblock auf den Nachttisch – und wenn ihm nachts um drei ein zündender Gedanke kommt, schreibt er ihn sofort auf und gibt ihn vor dem Spiel an die Mannschaft weiter, dass die Kabinenwand glüht.

„Der Joe“, hieß es schon damals beim KSC, „redet dir mitten im Wolkenbruch ein, dass die Sonne scheint.“