Erstmals seit der Gründung des Deutschen Fußball-Bundes anno 1908 hat uns das Losglück verlassen. Trägt Bundestrainer Jogi Löw auch dafür die Verantwortung?

Stuttgart - Aus Anlass der Gruppenauslosung zur Fußball-EM 2020 hat man dieser Tage wieder an Tom Hanks denken müssen, wie er in „Forrest Gump“ seine Mama zitiert: „Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel – man weiß nie, was man kriegt.“

 

Inzwischen wissen wir es. Knüppelhart hat das Schicksal die deutsche Mannschaft erwischt, in Form der französischen Weltmeister und der portugiesischen Europameister. Beide sind als Gegner keine Mon Cheries, und wenn der Teufel es will, finden wir als dritte bittere Praline am Ende auch noch die Isländer mit ihrem fürchterlichen Wikingergebrüll („Hu! Hu! Hu!“) in der Schachtel.

„Das ist die Hammergruppe schlechthin“, ahnt der Bundestrainer schon jetzt mit brüchiger Stimme.

Wie auf dem Laufsteg

Dabei hatte dieser verhängnisvolle Abend in Bukarest dank Jogi Löw zunächst wunderbar begonnen. Er war in den Saal eingeschwebt wie auf dem Laufsteg, fehlerlos frisiert, gut rasiert, schicker Schal, kurz: Versace. Wenn die EM im kommenden Jahr als Modenschau der Trainer ausgespielt würde, hätten wir den Pokal jetzt schon sicher. Löw hatte jedenfalls ein prima Gefühl, hören wir nochmal kurz rein: „Ich bin sehr gelassen. Wir nehmen es, wie es kommt.“

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Und dann das.

Der Druck auf den Bundestrainer lässt nicht nach. Nach dem Vertrauensschwund durch den schauerlichen WM-Flop im letzten Jahr ist jetzt auch noch das Urvertrauen in unsere einstmals größte Stärke erschüttert – erstmals seit der Gründung des Deutschen Fußball-Bundes anno 1908 hat uns das Losglück verlassen.

Die Bundestrainer waren immer Glückspilze

Auslosungen vor WM- und EM-Turnieren waren stets das, was wir Schwaben „a gmäht`s Wiesle“ nennen. Der Job des Bundestrainers war immer für Glückspilze reserviert, gerne denken die Älteren und Überlebenden zurück an Sepp Herberger oder Helmut Schön, über den einmal ein Reporter nach der ersten Begegnung schier atemlos schrieb: „Ich habe dem Glück die Hand geschüttelt.“ Seelenruhig konnten wir Deutschen jeder Auslosung entgegenblicken, bequem im Ohrensessel und unter dem wohligen Motto: Das Glück ist ein Rindvieh und sucht seinesgleichen.

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Am schönsten war es in den Zeiten des Teamchefs Franz Beckenbauer. In seiner falschen Bescheidenheit ließ sich der Kaiser damals zu der Behauptung hinreißen: „Keiner darf erwarten, dass das Glück wie ein Vogel zum Fenster hereinfliegt.“ Keiner, nur er. Er müsse, wie beispielsweise vor der WM 1990, nur fehlerfrei zuschauen, und schon änderten die Kugeln im letzten Moment ihre Flugbahn und die Lostrommel spuckte uns die Arabischen Emirate aus. Wenn Beckenbauer mit seinem magischen Draht zum Fußballgott heute noch DFB-Teamchef wäre, hätten sie uns letzten Samstag Gegner aus dem Topf gezogen, die in puncto Kaliber ungefähr Turkmenistan oder der Äußeren Wallachei entsprechen.

Jahrzehntelang wäre es völlig sinnlos gewesen, das deutsche Fußballvolk mit der Aussicht auf eine „Gruppe des Todes“ in Panik zu versetzen, aber nun plötzlich haben wir sie – angesichts eines so haarsträubenden Hammerloses wären die Bundestrainer früher aus dem Saal geflüchtet und hätten um ihre Papiere gebeten.

Ist Jogi Löw schuld?

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Seit dem jähen WM-Aus in Russland ist es guter Brauch, dem Schwarzwälder alles in die Schuhe schieben, was aus dem Ruder läuft, aber in dem Fall ist er jetzt Opfer, nicht Täter. Was kann Löw dafür, dass die Welt immer verrückter wird und die Bosse des Fußballs beim Auslosen neuerdings den Verstand verlieren? Wie konnten sie bloß der Idee verfallen, die Franzosen und Portugiesen in die Lostöpfe 2 und 3 zu stecken, die früher reserviert waren für die Fußkranken und die Stolperer? Wir Deutschen haben nun den Salat, und Joshua Kimmich, der Bayern-Nationalspieler, hat sich noch vornehm zusammengerissen, als er sagte: „Ich verstehe nicht so ganz das Losverfahren.“

Technokraten von der Uefa

Kimmich hat Abitur, aber das genügt nicht mehr, zu anspruchsvoll sind die Abgründe im neuen EM-Modus. Wenn wahr ist, was böse Zungen eisern behaupten, haben die Technokraten der Uefa die sechs EM-Gruppen folgendermaßen zusammengetüftelt: Die Papierform der teilnehmenden Teams wurde addiert zu ihrem aktuellen Fifa-Weltranglistenplatz, das Zwischenergebnis dann multipliziert mit Einsteins Zauberformel sowie dem Satz des Pythagoras, und der Rest ergab sich vollends von selbst.

Jogi Löw hat inzwischen das Beste daraus gemacht, das schwere Los aus den Socken geschüttelt und in seiner EM-Vorfreude auf Frankreich und Portugal verkündet: „Von solchen Spielen lebt der Fußball.“ Es klang allerdings ein bisschen wie das tapfere Pfeifen im dunklen Schwarzwald, nachts um Zwölf.