Mario Gomez ist zurück beim Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart. Das wirft bei unserem Kolumnisten Oskar Beck Fragen auf. Ist er zu alt? Liegt er sich, lästern die Schollis, im Strafraum noch wunder als früher, ist er ein Auslaufmodell, reif für die Abwrackprämie?

Stuttgart - Rudi Gutendorf ist der größte Globetrotter des Fußballs. Die halbe Welt hat er als „Rudi Rastlos“ trainiert, von Samoa bis Stuttgart, wo er in den 60ern als „Riegel-Rudi“ auch noch die engmaschige Defensive erfand. Voriges Jahr wurde er neunzig, und als „Der Spiegel“ das Geburtstagskind interviewte, kam eine verblüffende Wahrheit ans Licht.

 

„Im letzten Jahr“, verriet der Rüstige, „hat sogar der VfB Stuttgart noch einmal bei mir angefragt. Das ist dann leider nichts geworden. Aber mit mir wären die nicht abgestiegen. Ich hätte hinten dicht gemacht.“

Der VfB macht so einen verhängnisvollen Fehler nur einmal – und hat deshalb jetzt einen anderen alten Sack zurückgeholt, mit dem er nicht absteigen kann, denn der macht vorne die Kisten.

Mario Gomez ist noch nicht neunzig, aber ein paar Schreckhafte fragen besorgt: Hält er noch neunzig Minuten durch? Die Heimkehr des verlorenen Sohnes spaltet Fans und Professoren. „Hasst mich, aber ich find’s geil!“, hat ein „Blog aus Cannstatt“ in seinem Internetforum den Skeptikern zugejubelt, während mein geschätzter Leser Dr. Hartmut Stirner, der Jens-Schüler in Tübingen war und dem Fußball so mitfiebernd zugeneigt ist wie einst sein philosophischer Mentor, mir über Weihnachten den grüblerischen Gedanken zugesandt hat: „Also ich finde Gomez sehr gut, aber – das Alter?? Führungsspieler für eine gewisse Zeit?“

Michael Reschke tickt wie Axel Dünnwald-Metzler

Mittels eines uralten Dialogs aus den ruhmreichen Tagen der Stuttgarter Kickers habe ich den Zweifler besänftigt. Axel Dünnwald-Metzler, der unvergessene Boss der Blauen, kaufte seinerzeit etwas überraschend einen nicht mehr ganz taufrischen Stürmer, worauf ich ihn voller journalistischer Neugier anstaunte: „Sind Sie mit Ihrer jungen Mannschaft denn nicht langfristig gut aufgestellt?“

„Schon“, nickte er, „aber nur, wenn wir nicht kurzfristig absteigen.“

So tickt jetzt auch Michael Reschke, der Sportchef von Cannstatt. Die VfB-Fans sollten ihm vor dem nächsten Heimspiel sechzigtausendfach die Füße küssen, denn ab sofort hat der VfB eine realistische Chance, nicht abzusteigen. Wir wollen hier keinen beleidigen, aber was in der Hinrunde als Abteilung Attacke für den VfB aufs Feld lief, war von erbärmlicher Harmlosigkeit und ein historischer Tiefpunkt dieses Clubs seit Gründung der Bundesliga, fragen Sie Rolf Geiger. Unwiderstehlich hat der VfB-Nationalstürmer mit seinem Pendant Erwin Waldner im ersten Bundesliga-Heimspiel anno 63 das 2:0 gegen Hertha BSC herausgeschossen, unter dem Freudengeheul des Kolumnisten, der damals 13-jährig in der Untertürkheimer Kurve stand. Ein halbes Jahrhundert lang hatte der VfB stets scharfe Kanonen, bis letzten August plötzlich nur noch zahnlose Tiger zur Torjagd bliesen. Jetzt, über Nacht, ist endlich wieder einer da, der weiß, wo das Tor steht.

Mario Gomez verändert alles.

Oder doch nicht? Ist er zu alt? Liegt er sich, lästern die Schollis, im Strafraum noch wunder als früher, ist er ein Auslaufmodell, reif für die Abwrackprämie? Fährt er womöglich schon mit dem vierten Motor auf Reserve, wann rostet er vollends durch, wann verliert er den Auspuff? Will der VfB Stuttgart in den Antiquitätenhandel einsteigen?

Mario Gomez wirft jetzt die Weisheit des Alters in die Waagschale

Oh ja, man muss bei einem 32-Jährigen aufpassen, mit Gicht und Gebrechlichkeit ist nicht zu spaßen. Ab 32 macht das Leben einem Fußballer den Prozess, siehe Bastian Schweinsteiger. Bei dessen Wechsel zu Manchester United, behaupten böse Zungen, habe der dortige Mannschaftsarzt dem Weltmeister aus Bayern nach dem Medizincheck mit einem bedenklichen Hin- und Herwiegen des Kopfes eröffnet: „Endgültiges wissen wir erst nach der Autopsie.“ Die Engländer haben Schweinsteiger trotzdem genommen – und wenn seine Knochen noch ein Weilchen mitgemacht hätten, würde er die Bälle vermutlich noch heute als Führungskraft routiniert durchs Mittelfeld zirkulieren lassen.

Was Routine ist? Joe Frazier hat es in einem Gespräch mit Muhammad Ali einmal überzeugend erklärt. Drei der blutigsten Schlachten der Boxgeschichte haben die zwei sich geliefert, und als sie sich dann später zufällig wieder vor einer Kamera trafen, schob sich Frazier im Mund seine dritten Zähne gerade und sagte: „Ali, wie wär’s noch mal mit ein paar Runden? Ich weiß, du bewegst dich nicht mehr gut, aber ich kann dir ja sagen, wann du dich ducken musst.“ Das ist Erfahrung. Oder lassen wir es Ex-Weltmeister Frank Mill sagen, der als Bundesliga-Haudegen verriet: „Mit 37 hilft die Routine. Wenn drei Mann hochspringen, geht man weg und wartet auf den abtropfenden Ball.“ So macht es künftig auch Gomez. Wo er früher als junger Wilder nur seinen eisernen Willen und seinen Waschbrettbauch hatte, wirft er jetzt auch noch die Weisheit des Alters in die Waagschale.

Wie gut ist Mario Gomez noch? Wenn wahr ist, was man hört, steht er nach wie vor mit dem ersten Hahnenschrei auf und beginnt den Tag mit zwanzig Kniebeugen und dreißig Liegestützen auf einem Arm, gefolgt von einem Bauernfrühstück mit Erdnussbutter, Bienenhonig und drei hart gekochten Eiern im Tomatensaft. Gomez hat immer diszipliniert trainiert und gelebt, und ebenso solide folgt er dem Prinzip seines früheren Nationalmannschaftskameraden Torsten Frings, der noch im hohen Alter pflichtbewusst sagte: „Ich schaukle nicht meine Eier über den Platz.“ Der Geist ist also willig.

Aber wie intakt ist der Körper?

Seine beste Zeit ist vorbei – aber jetzt kommt die gute

Der VfB hat seinen neuen alten Star auf Herz und Nieren geprüft. Archäologen haben ihm die Beine aufgesägt, seine Jahresringe gezählt und verblüfft festgestellt: Gomez ist noch gar nicht 32, sondern befallen vom Bob-Hope-Syndrom. Das ist benannt nach dem berühmten US-Komiker, der die Altersforschung einst mit dem Satz bereicherte: „Ich bin jetzt 81, aber wenn ich die Zeit abziehe, die ich damit verbracht habe, auf Flughäfen nach meinem Gepäck zu suchen, bin ich 43.“

Gomez ist also vermutlich erst ungefähr 25. Trotzdem hat ihm der VfB beim Vorsorgecheck nichts erspart. Kann er noch ohne Brille die Überschriften in der „Bild“-Zeitung lesen? Riecht er ranzig? Schimmelt er? Müssen wandernde Nierensteine beobachtet werden? Ohrensausen? Blutdruck? Prostata? Der Stuhlgang jedenfalls funktioniert tadellos, und wenn der VfB-Ausrüster jetzt noch pünktlich die Stützstrümpfe liefert, ist Gomez schon beim Rückrundenstart in der Lage, im Strafraum von Hertha BSC noch allerhand Schaden anzurichten, wie einst Erwin Waldner und Rolf Geiger.

Nein, der VfB hat keinen alten Gaul gekauft, der nur noch sein Gnadenbrot frisst. Daheim in Unlingen auf der Schwäbischen Alb lässt sich Gomez diese Woche von einem Schmied die Hufe noch neu beschlagen, anschließend reist er ins Trainingslager, und dann geht die Post ab. Mario Gomez ist bereit: Seine beste Zeit ist vorbei – aber jetzt kommt die gute.