Unser Kolumnist Oskar Beck hatte einen Albtraum: Darin tauchte Bundestrainer Joachim Löw auf, der sich bei einem Verhör durch einen Ermittler der Anklage schwer belastet – wie das Gedächtnisprotokoll belegt.

Stuttgart - Nach dem EM-Aus haben sich alle gefragt: Wo ist Jogi Löw? Abgetaucht war der Bundestrainer. Seine Spur hatte sich derart verloren, dass schon wild spekuliert wurde: Ist er in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden, wird er an geheimem Ort festgehalten – soll er als Kronzeuge aussagen, gegen sich selbst?

 

Der schreckliche Verdacht hat sich über Nacht bestätigt: Im Albtraum ist uns der Vermisste begegnet und hat sich beim Verhör durch den Ermittler der Anklage schwer belastet – wie das folgende Gedächtnisprotokoll belegt.

Herr Bundestrainer, Sie haben Selbstanzeige erstattet – warum?

Löw: „Weil es so nicht mehr weitergeht, Herr Wachtmeister. Wenn ich nach allem, was passiert ist, jetzt rumwulffe, nimmt auch das Amt des Bundestrainers noch Schaden, und wir werden 2014 wieder nicht Weltmeister.“

Aber Sie haben doch viele Fans im Land, die noch fest und treu an Sie glauben . . .

Löw: „Eben. Auch denen muss jetzt endlich reiner Wein eingeschenkt werden, sonst hauen die in ihrem Wahn, mir und dem deutschen Fußball einen Gefallen zu tun, weiter wild auf die Kritiker ein, die nur brav ihre Pflicht tun. Sind Sie eigentlich sicher, dass Ihnen niemand gefolgt ist?“

Was macht Ihnen denn solche Angst?

Löw: „Na, Sie sind naiv. Wenn ich jetzt auspacke, stehen doch ein paar wie die Ahnungslosen in heruntergelassenen Hosen da. Der Netzer hat mich dieser Tage noch mal zu einem der besten Trainer der Welt hochgelobt. Der Günter würde alles tun, damit ich die Wahrheit nicht ausplaudere. Oder mein DFB-Präsident.“

Wolfgang Niersbach hat Ihnen bei der EM einen Klassejob bescheinigt . . .

Löw: „. . . als ob ich die Wiedergeburt von Herberger wäre. Leute, überlegt doch, was ihr sagt, der alte Sepp dreht sich ja im Heldengrab um, der hat damals sein Wunder von Bern mit Kriegsheimkehrern vollbracht, die direkt aus der Gefangenschaft kamen. Mir dagegen laufen die Talente in Saft und Kraft zu, eine goldene Generation von Hochbegabten – und Sie sehen ja, was rauskommt.“

„Ich habe ein weiches Herz“

Ballack hat Sie scharf kritisiert . . .

Löw: „. . . und der Michael hat völlig recht, wenn er sagt: ,Wenn der Jogi 20 Talente hat, heißt das doch nicht, dass er auch alle spielen lassen muss.‘ Wissen Sie, dass ich im Endspiel gegen Spanien auch noch Schmelzer und Gündogan gebracht hätte, und Ron-Robert Zieler im Tor?“

Ist das Ihr Ernst? Wieso?

Löw: „Ha, weil ich halt ein weiches Herz habe. Und dann bettelt neben mir auch noch Hansi Flick: ,Jogi, wann bringen wir eigentlich Tim Wiese, der verweigert schon das Essen?‘ So sind wir, der Hansi und ich, wir haben uns gesucht und gefunden, und wenn’s hart kommt, versteckt sich der Hansi hinter mir, und ich hinter ihm.“

Welches zweite Ich versteckt sich noch hinter Ihnen?

Löw: „Fragen Sie den Mayer-Vorfelder. Der war früher beim VfB mein Präsident, und vor einem Cupspiel anno 98 beim FC Bayern war ich so gelähmt, dass der Gerd den DFB-Pokal aus der Vitrine in Cannstatt geholt und vor dem Anpfiff in der Kabine auf den Tisch gehauen hat, flankiert von einer flammenden Motivationsrede.“

Gelähmt – was heißt das?

Löw: „Schockstarre! Da können Sie mich vergessen. Neulich war es wieder so, als es plötzlich hieß: nächster Gegner Italien. Schauen Sie, ich hab die Jahrhunderttragödie 1970 in Mexiko als zehnjähriger Schwarzwaldbub vor dem Fernseher mitmachen müssen, seither flüchte ich unters Sofa und kaue Nägel, sobald einer Italien sagt.“

Oder Sie flüchten in eine Taktik wie in Warschau?

Löw: „Ja, und an der Videotafel im Stadion sehen meine Spieler in Großaufnahme das Wackelbild vom zitternden Jogi – und packen in Gedanken schon mal die Koffer.“

Aber Sie sind doch sonst so mutig, alle zwei Jahre sagen Sie: Wir holen den Titel!

Löw: „Das bin doch nicht ich, das hat mir der Klinsi eingetrichtert, vor dem Sommermärchen. Wir waren ja damals auf null. Per Zeitungsanzeigen haben wir Freiwillige für die WM gesucht, und es haben sich Leute gemeldet wie Odonkor oder Robert Huth. ,Mensch, Jürgen‘, hab ich gesagt, ,wie kommen wir aus der Nummer nur wieder raus‘, und er meinte: ,Pass auf, wenn dich einer fragt, sag einfach, wir werden Weltmeister.‘“

Fast hätte es ja geklappt . . .

Löw: „Fast. Wie danach bei der EM 2008, der WM 2010 und der EM 2012. Wissen Sie, was unter mir Fortschritt heißt: In Südafrika habe ich den Lahm rechts und den Boateng links gebracht, und diesmal den Lahm links und den Boateng rechts. Und gleich heißt es wieder: ,Mensch, unser Jogi, er ist halt schon ein Fuchs . . .‘“

Aber zumindest als Taktikfuchs gelten Sie doch als lebende Legende?

Löw: „Und Weihnachten ist im Februar, ja. Jetzt mal im Ernst: 2008 ist mir gegen das Tiki-Taka der Spanier taktisch nichts eingefallen, 2010 noch geringfügig weniger, und diesmal wären wir gar nicht mehr an den Ball gekommen. Gott sei Dank haben uns die Italiener davor bewahrt. Die Italiener! Die waren vor zwei Jahren noch eine Ruine, ohne Trainer, ohne Konzept, ohne Taktik.“

„Mit mir wären die Bayern nur Dritter geworden“

Sie wollen sich das alles selbst in die Schuhe schieben?

Löw: „Ja, wem denn sonst? Das bin ich unserer wunderbaren Mannschaft schuldig. Wissen Sie, was Franz Beckenbauer in der großen Frühzeit des FC Bayern einmal zum Pfarrer von Pasing gesagt hat: ,Selbst mit Ihnen als Trainer wären wir Meister.‘“

Und was hat das jetzt mit Ihnen zu tun?

Löw: „Mit mir wären die Bayern nur Dritter geworden. Ich bin keiner, der übers Wasser läuft, ich kann dieses Heilandgerede nicht mehr hören. Meine Frau sagt immer: ,Joachim, von wem reden die – das bist du doch nicht.‘“

Aber wer sind Sie dann?

Löw: „Ein Trainer wie du und ich, nicht einmal gegen die Färöerinseln wüsste ich jetzt auf Anhieb geschwind ein Rezept. Das darf man doch alles nicht schönreden.“

Das waren zuletzt auch die Worte von Ballack: Diese EM darf man nicht schönreden . . .

Löw: „Ja, der Michael. Mein guter, alter Capitano. Wenn ich am Boden lag, hat er mich aufgehoben, durchgeschüttelt und wieder an die Wand gelehnt. Wie konnte ich so einen nur rausekeln? Die Italiener haben am Pirlo festgehalten, als der mal schwächelte, und zum Dank war er jetzt ihr Leitwolf, ihr Hirn.“

Was ist mit Lahm?

Löw: „Nächste Frage.“

Schweinsteiger?

Löw: „Mit Schweini kannst du keinen Saustall stürmen. Trotzdem hab ich ihn spielen lassen, und keiner ist mir in den Schritt gefallen. Bis auf den Sammer gelegentlich – bei dem kann ich mich im Nachhinein nur entschuldigen.“

Wofür?

Löw: „Der Matthias hat als DFB-Sportdirektor alles versucht. Er hat sich das Maul fusselig geschwätzt und mich gewarnt, dass ich auf dem Holzweg bin, wenn ich es nur auf den schönen Fußball setze, ohne ein paar alte Tugenden, ohne Siegertypen, ohne Hierarchie.“

Jetzt ist Sammer weg . . .

Löw: „Da sehen Sie es, sogar den hab ich vollends geschafft, und ein paar Gipsköpfe sind auch noch glücklich darüber, dass dieser Querdenker mir nicht mehr auf die Finger klopft. Ich nehme auch das auf meine Kappe, alles muss jetzt auf den Tisch. Ich packe aus, da werden sich ein paar umgucken.“

Ende des Verhörs. Der Ermittler der Anklage bedankt sich beim Bundestrainer für die Kooperation, wünscht ihm viel Mut für den Prozess, drückt ihm schon einmal eine Straßenkarte und einen nagelneuen Personalausweis der Hinteren Mandschurei in die Hand und sagt ihm, dass er alle Brücken ins alte Leben abbrechen muss – und vor allem nie mehr Bundestrainer sein darf.

„Danke“, sagt Jogi Löw erleichtert.