Die Fifa-Trophäe wird streng bewacht. Zu oft wurde sie geraubt. Und vor der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien fragt sich nicht nur der StZ-Kolumnist Oskar Beck: Was führen jetzt die Indios mit dem Pokal im Schilde?

Stuttgart - Für Sepp Blatter hat sich dieser Tage ein alter Männertraum erfüllt: Nicht viel hat gefehlt und die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff wäre vor dem Fifa-Chef niedergekniet. Jedenfalls hat ihn Dilma, als er ihr feierlich seinen WM-Pokal übergab, angesichts des glitzernden Halbedelsteins im Sockel angeschmachtet mit einem Blick, wie man ihn in so feuriger Hingebung nicht gesehen hat, seit Marilyn Monroe einst säuselnd sang: „Diamonds are a girl’s best friend.“

 

Aber nicht nur die Mädels kippen um, auch jeder brasilianische Macho lässt sich den Verstand rauben von diesem Objekt der Begierde. An allen Straßenecken hängen Plakate, auf denen entzückte Menschen die Trophäe küssen, und vor den Souvenirläden lassen sich Fußballfans aus aller Herren Länder knipsen beim stolzen Hochstemmen des edlen Stücks, auch wenn es nur eine preiswert erworbene Fälschung aus Plastik ist.

Wo ist das Original?

Thekenkicker fühlen sich als Weltmeister

Die Sicherheitspolizei von Rio bis in den Regenwald macht bei dieser Frage von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch und die Schotten dicht. Vorbei sind die leichtsinnigen Zeiten wie noch bei der deutschen WM 2006, als das Prunkstück – 37 Zentimeter hoch, sechs Kilo schwer, 18 Karat Gold – wochenlang wie ein Wanderpokal von Thekenkickern arglos herumgereicht wurde auf Ausstellungen. Die Kanzlerin hat den wertvollen Klotz damals sogar kurz auf den Schoß nehmen dürfen, und scharenweise ließen sich Fans damit fotografieren. „50 Euro würde ich zahlen“, haben wir seinerzeit einen WM-Freak stöhnen hören, „wenn ich ihn anfassen dürfte.“

Wer das jetzt versucht, wird erschossen.

Wir sind in Brasilien.

Die Kriminalität ist dort in solche Kategorien vorgestoßen, dass man als Autofahrer an der Ampel bei Rot besser nicht mehr hält, weil einem sonst geschwind die Rolex vom Arm oder der gepiercte Klunker aus der Nase gerissen wird. Jedenfalls wächst stündlich die Sorge: Ist der WM-Pokal bis zum Endspiel noch da? In einem Banksafe soll er sich im Moment befinden, hinter circa 40 Zentimeter dicken Panzerschranktüren und bewacht von abschreckenden Gestalten, die mit Maschinenpistolen bis an die Zähne bewaffnet sind. Aber ist der Pokal wirklich sicher?

Der Raub des Nationalheiligtums

Fragen Sie seinen Vorgänger. Das heißt, den kann man gar nicht mehr fragen, denn die „Coupe Jules Rimet“, erschaffen vom Pariser Bildhauer Abel Lafleur für das erste WM-Turnier 1930, ist verschollen. Die Statuette war der griechischen Siegesgöttin Nike nachempfunden, und das vergoldete Sterlingsilber und die glänzenden Edelsteine waren so unwiderstehlich schön, dass am 20. Dezember 1983 gewissenlose Banditen in das Haus des brasilianischen Fußballverbands in der Rua da Alfandega 70 in Rio eindrangen, den Wächtern die Schlüssel abnahmen, in die neunte Etage hochfuhren, die Vitrine aufbrachen – und weg war das Nationalheiligtum.

Nach ihrem dritten WM-Sieg hatten die Brasilianer den Pokal 1970 von der Fifa geschenkt bekommen. Und dann diese Schande! Roberto Rivelino, der ihn mit seinem linken Zauberfuß damals in Mexiko mitgewonnen hatte, fuhr die Schurken an: „Ist euch nicht klar, dass der ideelle Wert weit höher als der des Goldes ist?“ Drahtzieher des Coups war ein Bankkaufmann, Chefräuber ein ehemaliger Polizist, die Strolche wurden gefasst, und sie gestanden, den Jules-Rimet-Pokal eingeschmolzen und in Barrenform verscherbelt zu haben. Aber war es wirklich so? „Unsinn“, widersprach später ein des Einschmelzens verdächtigter Juwelier, „der Pokal ist sehr gut versteckt.“

Womöglich unter einem Bett. So hat er nämlich unbeschadet den Krieg überstanden. Damals hüteten ihn die Italiener, als Weltmeister von 1934 und 1938, und bevor Mussolini auf die Idee kam, ihn einer seiner Liebschaften aufs Bett zu legen, hat der Fifa-Vizepräsident Ottorino Barassi das gute Stück lieber bis Kriegsende in einer Schuhschachtel unter seinem Bett verborgen.

Die Promenadenmischung findet den Pokal

Danach kamen dann die Räuber, wie an jenem helllichten Sonntag in London, vor der WM 1966. Der Coupe Rimet schmückte die Ausstellung „Sport und Briefmarken“ in der Westminster Hall, und die Wächter waren beim Mittagessen, als lichtscheue Gestalten das Vorhängeschloss der Vitrine kappten. Scotland Yard stocherte eine Woche lang mit der Stange im Londoner Nebel, eine Lösegeldforderung ging ein, und bei der Übergabe wurde ein Hafenarbeiter gefasst, doch er schwieg wie ein Grab – bis der Fährmann eines Themseschiffs mit seinem Hund Pickles, einer fragwürdigen Promenadenmischung, eines Abends Gassi ging und die Spürnase in einem Vorgarten plötzlich zu scharren begann und den Pokal ausbuddelte.

Pickles wurde zum Ritter geschlagen, bekam als Finderlohn kistenweise Hundekuchen, beim Eröffnungsspiel saß der Hund in der VIP-Loge, der Königin nahe, und beim Schlussbankett stand er auf der Gästeliste der Handverlesenen und durfte hinterher die Teller abschlecken. Es hat dann später mit Sir Pickles aber kein gutes Ende genommen: Bei der Verfolgung einer Katze blieb er mit dem Halsband in einem Lattenzaun hängen und hat sich selbst stranguliert.

Die Angst der Engländer nach dem ruchlosen Raub saß tief. Noch während der WM ließen sie sich eine vergoldete Bronzekopie gießen, und nach dem Abpfiff im Endspiel kamen angeblich zwei Pokale zum Einsatz: Das Original überreichte die Queen an Kapitän Bobby Moore, doch gleich danach soll im Getümmel der Freudentänze der echte Cup von einem Polizisten ausgetauscht worden sein gegen die Fälschung. Blamiert hatten sich die Engländer trotzdem – und an die Spitze des weltweiten Spotts stellte sich ein Funktionär des brasilianischen Verbands, der sagte: „Bei uns könnte das nicht passieren. Selbst unsere Diebe lieben den Fußball. Sie würden nie einen solchen Frevel begehen.“

Höchstens ausnahmsweise – wie 1983. Es gibt ihn inzwischen wieder, den damals verschollenen Jules-Rimet-Pokal. Ein deutsches Goldschmiedehaus hat die alten Gussformen zu einer detailgetreuen Nachbildung genutzt. Die Brasilianer brauchen zurzeit also Augen hinten und vorne, weder den alten noch den neuen WM-Pokal sollen sich Unwürdige unter den Nagel reißen – und bevor Letzterer beim Finale am 13. Juli in die richtigen Hände fällt, also die von Philipp Lahm, muss noch viel gezittert werden. Gerade erst wurde in Brasilia eine Ausstellung mit dem Fifa-Pokal aus Sicherheitsgründen abgebrochen, als 300 Indios mit Pfeil und Bogen aufkreuzten. Nicht einmal vor den Naturvölkern ist das edle Stück sicher.