Der US-Trip ist gewagt, schließlich warten Duelle mit Ecuador und den USA auf das deutsche Team – aber Jogi Löws zweite Garnitur will der Hitze Miamis trotzen, schreibt unser Kolumnist Oskar Beck.

Stuttgart - In Amerika gibt es einen Club der Schwindler, und als er zur Jahreshauptversammlung einmal in Kentucky tagte, bekam folgender Satz eines Farmers den ersten Preis: „In diesem Sommer ist es so brütend heiß, dass die Eidechsen ins Herdfeuer kriechen, um den Schatten der Bratpfanne zu genießen.“

 

In Miami ist es dieser Tage noch wärmer, und es wird jetzt langsam auch noch so richtig schwül – jedenfalls schützen sich die vernünftigen Floridianer mit aufgespannten Regenschirmen vor der sengenden Sonne und staunen über diese schwitzenden Verwegenen, die da jeden Morgen auf dem Sportplatz der Barry University mit Bällen kicken, ohne Rücksicht auf jeden drohenden Sonnenbrand oder Hitzschlag.

Was treibt die Nationalkicker bloß in die Glut des Herdfeuers?

Es handelt sich dabei um die deutschen Fußballer, und vieles ist wieder wie vor zwanzig Jahren – das Beste an der damaligen Floridareise war die unvergessliche Schlagzeile, mit welcher der „Miami Herald“ die Mannschaft empfing: „Viele fragen sich warum, aber die Deutschen sind da“.

Was treibt Jogi Löw und seine Nationalkicker am Ende der Saison in die Glut des Herdfeuers? Überhaupt ist es eine merkwürdige Reise: Am vergangenen Samstag saßen die Spieler in ihrem Hotel im vornehmen Bal Harbour im Norden von Miami Beach vor dem Fernseher und schauten den besten deutschen Fußballern zu – live aus London.

Die Resterampe ist urlaubsreif

Die in Miami sind nur die Zweitbesten – und diese Rumpftruppe von der Resterampe, die der Bundestrainer anstelle seiner Champions-League-Finalisten aus München und Dortmund und der verhinderten Auslandslegionäre Miroslav Klose, Mesut Özil und Sami Khedira dieser Tage beaufsichtigt, kommt zudem ausgelaugt auf den Speichen daher nach der harten Saison, ist also urlaubsreif. Tote Hose. Luft raus. Reifen platt. Trotzdem droht der Co-Trainer Hansi Flick den kommenden Gegnern Ecuador und USA: „Wir wollen gewinnen.“

Der Wille lebt noch. Obwohl es vom Mannschaftshotel in Miami nur eine Dreiviertelstunde ist bis zum Stadion in Boca Raton, wo morgen gespielt wird, reist die Mannschaft schon heute an und übernachtet in einem Hotel am Spielort – wer gerne nörgelt, kann an der Stelle getrost die Sinnfrage stellen, wie bezüglich der ganzen Reise.

„Palmen, Pech und Pleiten“ lautet die Devise

So ein Trip nach Florida ist mutiger, als viele denken, und Jogi Löw ist nun schon der dritte Bundestrainer, der diese Tradition der Nationalmannschaft pflegt, zur gewagtesten Zeit in dieses extreme Klima zu fliegen und sich unter der Devise „Palmen, Pech und Pleiten“ am Ende womöglich den Angstschweiß abzuwischen. Ganz eklatant war es anno 2000, als der Teamchef Erich Ribbeck nach einem 0:3 gegen die USA in Jacksonville den grässlichen Nachteil einer solchen Lustreise so beschrieb: „Leider zählen die Ergebnisse auch.“ Es war das hanebüchenste Spiel, das einer deutschen Nationalmannschaft vermutlich jemals gelang, und Ribbeck war danach so fix und fertig, dass ihm für die Nachwelt der verwirrende Satz glückte: „Es ist manchmal schwer, Worte in Sprache umzuwandeln.“

Der bei Weitem Reiselustigste war allerdings Berti Vogts. Kurz vor Heiligabend 1993 ging der als „Kosmopolit von Korschenbroich“ mit seiner DFB-Adventstortur – Frühstück in Miami, Lunch in San Francisco, Dinner in Mexiko City – ins Guinnessbuch der Rekorde ein, denn für drei Freundschaftsspiele binnen zehn Tagen flog der Bundestrainer seine Kicker und uns 25 000 Kilometer durch die Welt, scharf durch die Schallmauer durchbrachen wir täglich neue Klima- und Zeitzonen und bestanden den Bettentest in diversen Nobelherbergen der Welt.

Vom Tellerwäscher zum Nationalspieler

Diesmal, unter Jogi Löw, ist es das Luxushotel St. Regis. Früher stand dort das alte Sheraton, in dem Bill Clinton als US-Präsident seine Pressekonferenzen abhielt – heute tun das im feinen Ballroom nun Philipp Wollscheid und Max Kruse. Die zwei sollen gegen Ecuador debütieren, sofern und soweit die Füße sie noch tragen, und der Freiburger sagt: „Ich will meine Chance nutzen.“ Vom Tellerwäscher zum Nationalspieler, das würde zu Amerika passen. Wollscheid, der Leverkusener, bekämpft die Müdigkeit im Übrigen mit „der Ehre, für mein Land spielen zu dürfen“. Auch René Adler, der in Abwesenheit von Manuel Neuer ausnahmsweise ins Tor darf, pocht auf dieses Wort: Ehre.

Wenn nichts mehr geht, wenn am Ende der Saison oder in der Hitze die letzten Körner verpulvert sind, kann das Gefühl der Ehre womöglich noch helfen. Wie der Bundestrainer seine müden Männer darüber hinaus motiviert, damit sie (Vorsicht, Fußballerdeutsch!) noch zweimal Gas geben, Gras fressen und die Backen zusammenkneifen? Mit Druck und Daumenschrauben geht in dieser Phase gar nichts mehr, nur noch mit Spaß und guter Laune, also geht man auch zum Beachvolleyball oder, wie vergangenen Freitag, zum Basketballkracher der Miami Heat gegen die Indiana Pacers.

Andy Köpke weiß: Reisen bildet!

Und wenn das alles nichts hilft, muss halt notfalls auch noch Andy Köpke, der Bundestorwarttrainer, einen Lichtbildervortrag darüber halten, dass Reisen bildet. Er war schon bei jenem Trip anno 93 dabei, damals noch als Torwart, und wir erinnern uns, wie er den Rasentest seinerzeit zu einem wichtigen Bestandteil der Reise erklärte. „Der amerikanische Ball“, philosophierte Köpke, „ist weicher, der Boden härter.“

Andere Länder, anderer Luftdruck.

Morgen wissen wir jedenfalls, wie der Ball in Boca Raton aufspringt. Und am Sonntag dann der in Washington. Und danach steht dann endlich auch fest, ob diese US-Reise wirklich so eine Schnapsidee war, wie es im Moment noch aussieht.