Wenn er über seine gesunde Lebensweise als Abstinenzler erzählt, als Nichtraucher und Nichtalkoholiker, ist der Pfälzer früher oft belächelt worden, durstige Wirtshaushocker haben ihn als Milchshake-Miro verunglimpft oder gar den lästerlichen Dialog zwischen dem Patienten und dem Arzt nacherzählt.

 

„Rauchen Sie?“, fragt der Arzt.

„Nein.“

„Trinken Sie?“

„Nein.“

Ein Dritter wollte dann noch wissen, wie sich ein WM-Finale anfühlt, und Klose antwortete: „Seit 2002 weiß ich es: beschissen.“ Deshalb zähle diesmal nur eins: der Sieg.

Vor uns saß ein argentinischer Kollege, und wenn wir sein nervöses Augenzucken richtig deuten, hat er dann in seinen Notizblock geschrieben, dass der Albtraum morgen im Maracanã-Stadion den Faden dort wiederaufzunehmen gedenkt, wo er ihn 2006 in Berlin und 2010 in Kapstadt hat fallen lassen.

„Wir erleben ein Rendezvous mit der Geschichte“, sagt der Trainer Alejandro Sabella im Gedenken an die WM-Endspiele 1986 und 1990 – aber vor allem droht den Argentiniern ein Rendezvous mit Klose.

Blicken wir für die Vergesslichen kurz zurück.

WM 2006, Viertelfinale in Berlin. Acht Jahre später können wir es ja zugeben: Das Spiel war verloren. Aus und vorbei, Ende des Sommermärchens, wir Deutschen waren besiegt und von den Argentiniern so gut wie nach Hause geschickt von der eigenen Weltmeisterschaft. 1:0 stand es für die Gauchos im Olympiastadion, sie hatten alles im Griff, ihren Jungstar Messi schonten sie schon fürs Halbfinale, und dann haben sie auch noch Crespo, ihren gefährlichsten Stürmer, lachend vom Platz geholt – von deutscher Seite war nichts mehr zu befürchten. Warum Tim Borowski, der Bremer, mitten hinein in diese Aussichtslosigkeit dann trotzdem noch mal geflankt hat, weiß kein Mensch. Jedenfalls stand vor dem argentinischen Tor plötzlich Klose, der hat sich geschwind nach vorne geworfen, dem Ball über Kimme und Korn die Stirn geboten, lange Ecke, 1:1, und der Rest ist Geschichte. Elfmeterschießen, Deutschland weiter, Klose Torschützenkönig der WM.

Dann die WM 2010, Viertelfinale in Kapstadt. 2:0 Klose . . . 4:0 Klose . . . an der Stelle hören wir jetzt besser auf, sonst bestellen unsere argentinischen Abonnenten die Zeitung ab. Nur noch so viel: Diego Maradona stand mit Tränen in den Augen an der Seitenlinie und ließ nach dem Spiel seine Trainerlizenz annullieren.

Und nun also Rio de Janeiro, WM 2014. Die Geschichte wiederholt sich, diesmal sogar im Finale, wieder geht es um die Wurst – wieder Klose? Wie ein Kloß steckt der den Argentiniern im Hals, und wenn sie Zeitung lesen, kriegen sie ihn auch nicht mehr heraus, denn seit Tagen werden die Geister der Vergangenheit beschworen nach dem Motto: Miro, du weißt doch als Wiederholungstäter, wie man gegen Argentinien trifft, erzähl mal.

Aber noch lieber erzählt Miro, warum er nach wie vor kein Wrack, sondern immer noch putzmunter ist, oder, um es mit dem Bundestrainer Jogi Löw zu sagen: „Topfit.“

Warum Miro Klose überhaupt noch leben will ...

Wenn er über seine gesunde Lebensweise als Abstinenzler erzählt, als Nichtraucher und Nichtalkoholiker, ist der Pfälzer früher oft belächelt worden, durstige Wirtshaushocker haben ihn als Milchshake-Miro verunglimpft oder gar den lästerlichen Dialog zwischen dem Patienten und dem Arzt nacherzählt.

„Rauchen Sie?“, fragt der Arzt.

„Nein.“

„Trinken Sie?“

„Nein.“

„Frauen?“

„Nein.“

Darauf der Doktor: „Warum wollen Sie dann noch leben?“

Klose hat in der Pressekonferenz jetzt erzählt, warum er leben will: für diese unwiederbringlichen Augenblicke, die ihm der Fußball gibt, diese unvergleichlichen Emotionen, die ihm als Gänsehaut den Buckel rauf und runter gehen. „Ich sauge alles auf“, sagt er, „jeden Moment.“

Es ist noch nicht oft vorgekommen, dass man einen 36-Jährigen so brennen sieht. Und weil es so ist, schafft Miroslav Klose es immer wieder, wie Phönix aus der Asche zu steigen. Vor der letzten WM hatte er eine lange Ladehemmung, gegrübelt hat er, frei vor dem Kasten ist er verzweifelt wie ein Postbote, der den Brief nicht mehr durch den Schlitz bringt. Seine Körpersprache war die eines gequälten Hundes, der die Schlappohren hängen lässt, das Futter verweigert und nicht mehr bellt und beißt.

„Ich zweifle nie an mir“, sagte Klose damals – und kam zurück.

Vier Jahre später? Wieder sagt er Ätsch zu den Skeptikern oder uns Kritikern, die den lange Verletzten in der schwülen brasilianischen Hitze jämmerlich wegschmelzen sahen und prophezeiten: Der Alte macht diesmal kein Spiel, geschweige denn ein Tor, eher bricht er sich den Finger in der Nase. Stattdessen traf der Zähe dann gegen Ghana beim ersten Ballkontakt, und beim Jahrtausendspiel gegen Brasilien saß auf der Expertentribüne der große, alte, dicke Ronaldo und musste wehrlos ertragen, wie sich der große, alte, fitte Klose mit dem 16. WM-Tor in der ewigen Kanonenliste an ihm vorbei auf Platz eins schoss.

„Welche Botschaft haben Sie für Ronaldo?“, wollte ein brasilianischer Reporter von Klose danach wissen. Der wusste es sofort: „Ronaldos Botschaft an mich hieß neulich: Willkommen im 15er-Club. Meine Botschaft heißt jetzt: Willkommen im 16er-Club, es sind alle herzlich eingeladen.“

Klose ist gefährlich gut drauf. Er genießt die WM mit der Leichtigkeit des letzten Hurras, seinen Geburtstag hat er mit den Indianern von Santo André gefeiert, um ihn herum spielt überall die Musik – sogar die röhrende Rihanna („R&B“) hat sich gemeldet und nach seinem Tor gegen Ghana einen gemeinsamen Schnappschuss weltweit durch die sozialen Netzwerke gejagt sowie die Liebesgrüße „My Nigga Klose“ und „Da German bae“, was ungefähr heißt: „Der weit und breit beste Deutsche“.

Fehlt nur noch der finale Salto.

„Den mach ich nicht noch mal“, hat der alternde Jubler gedroht, als er einem Steißbeinbruch und Beckenschiefstand neulich nach dem Ghanaspiel nur knapp entronnen war. Der Klose-Salto im Fußballtempel Maracanã wäre die Krönung, kein Mensch würde danach noch von Gienger-Salto, Becker-Faust, Biellmann-Pirouette, Kempa-Trick, Fosbury-Flop oder dem vierfachen Rittberger reden – würde Klose der Fußballwelt diese Luftnummer im Fall der Fälle wirklich vorenthalten? Wetten Sie nicht drauf. Und schon gar nicht darauf, dass er sich im Fall des WM-Siegs mit einem Glas Milch betrinkt.

„Sie haben ja“, fing in der Pressekonferenz einer an, „noch nie Alkohol getr. . .“

„Selten“, fiel ihm Klose ins Wort. „Es könnte durchaus mal der Fall eintreten, wo ich für nichts mehr garantiere. Ich fürchte, ich könnte dann auch ein Feierbiest sein.“

Der Argentinier, der vor uns saß, hat sich schnell erhoben, er musste dringend telefonieren – und es war womöglich nichts Beruhigendes, was er über das Schreckgespenst in die Heimat durchgab.